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(c) Pester Lloyd / 39 - 2013   POLITIK   25.09.2013

 

An die Arbeit, Ihr Clowns!

Verfassungsgericht in Ungarn erklärt Umdeklarierung von Frührentnern für rechtens

Das ungarische Verfassungsgericht hat in einem Urteil vom Dienstag Klagen von Betroffenen, Gewerkschaften sowie dem Ombudsmann für Grundrechte, in Bezug auf neue Regelungen zur Frührente abgewiesen. Der Staat schickt Frühpensionisten zurück zur Arbeit oder kürzt ihre Bezüge, die Betroffenen beklagen Eingriffe in ihre Lebensgrundlagen. Finanzielle Belange durfte das VfG bei der Urteilsfindung gar nicht erst prüfen, auch das Problem der rückwirkenden Gesetzesanwendung wurde ausgelassen.

Die Kläger beanstandeten
eine Gesetzesänderung, die am 1. Januar 2012 in Kraft trat, wonach Frührentner des öffentlichen Dienstes, die jünger als 57 Jahre alt sind, an die Arbeit zurückzukehren haben oder andernfalls ihre Pension als Einkommen angesehen und mit 16% Einkommenssteuer und Abzügen für die Sozialversicherung belegt werden. Betroffen von der Maßnahme sind in der Mehrzahl Lehrer, Polizisten, Feuerwehrleute, Gesundheitspersonal und Verwaltungsangestellte.

Unverhältnismäßiger Eingriff in die Lebensgrundlage?

Das Gesetz forderte damals heftige - überparteiliche - Proteste der Betroffenen heraus und fußt auf einer Verfassungsänderung vom Juli 2011, die besagt, dass Renten gekürzt, in eine Sozialleistung umdeklariert oder gestrichen werden können, wenn die Bezieher das allgemeine Renteneintrittsalter noch nicht erreicht haben, aber arbeitsfähig sind. Die Betroffenenvertreter sehen das Gesetz und diesen Passus als diskriminierend an, die rückwirkende Änderungen eines ihnen vom Staat verliehenen Status` verletze Grundrechte und andere Rechtsgrundsätze und greife unverhältnismäßig in die Lebensplanung sowie die sozialen Lebensgrundlagen der Menschen ein.

Ansprüche künftiger Generationen gefährdet?

Der Staat hingegen argumentiert, dass der Bezug einer Rente vor dem Renteneintrittsalter gerade die anderen, die nicht in diesen Genuss kommen, diskrimieren würde, zudem seien die Bezüge nicht durch ausreichend Beiträge in der Rentenkasse gedeckt, was die Rentenansprüche der anderen gefährde. Die rückwirkende Anwendung wurde offiziell nicht argumentiert, ist aber das eigentliche Problem, selbst wenn man - und das sollte man - die großzügigen Frühpensionierungsregelungen der Vorgängerregierungen in ihrer Allgemeinheit als ruinös und unsinnig erkennt.

Dass sich unter den Betroffenen jedoch auch zigtausende "Einzelfälle" befinden, z.B. Feuerwehrleute, die mit 57 einfach körperlich nicht oder kaum mehr in der Lage sind einen Dienst an der Front zu tun, ohne dass ihnen z.B. angemessene Bürojobs oder leichtere Tätigkeiten angeboten werden konnten, fällt bei diesen grundsätzlichen Betrachtungen meist unter den Tisch.

Startschuss der “Clownsbewegung”

Das Bild von jugendlichen Pensionsbeziehern, die sozusagen sozialschmarotzend einem vierzigjährigen Lebensabend entgegensehen, wurde von der Regierungspartei jedoch mehr als einmal an die Wand gemalt, die Protestierer von Orbán als "Clowns" abqualifiziert. Die zynischen Formulierungen der Regierungspolitiker vom “zuführen” zum Arbeitsmarkt und dem “Ende der sozialen Wohlfahrt” taten ihr übriges. Der politischen Gegenseite fiel nicht viel mehr ein als "Diebstahl" zu rufen und die soziale Kaltherzigkeit der Regierung anzuprangern, wogegen diese recht wenig anzubringen hatte. Massenproteste waren die Folge, es schlug die Stunde der “Clownsbewegung” (siehe Abb.) und der neuen Gewerkschaftsbewegung "Szolidaritás", die mittlerweile in der Wahlallianz "Gemeinsam 2014" von Ex-Premier Bajnai angekommen ist. Auf dessen Wahlagenda steht die Rückgängigmachung der Maßnahme allerdings nicht, sie wäre zu teuer. Auch extrem rechte Gewerkschaftstruppen nutzten die Proteste damals als Bühne.

Für eine differenzierte Lösung des Problems, die die berechtigten Sorgen des Staates um die Stabilität des Gesamtsystems mit den ebenso berechtigten Härtefällen in einen Ausgleich bringt, war, wie so oft im zerfurchten Grabenkampf Ungarns, wieder mal kein Platz. Auf der Strecke bleiben letztlich immer die Gleichen, kleiner Hinweis: es sind nicht die sozial Stärksten.

Verfassungsgericht urteilte 8:5 im Sinne der Regierung

Zum Urteil: Das Verfassungsgericht erkannte den Verfassungspassus im Bezug auf die Grundrechte als nicht diskriminatorisch, die Klage von Ombudsmann, Gewerkschaften und Betroffenen wurde abgewiesen. Die finanziellen Aspekte der Klage, deren Prüfung womöglich Einfluss auf die Entscheidung gehabt hätten, durfte das Verfassungsgericht indes nicht prüfen, da es von der Orbán-Regierung um seine Kompetenzen, "die das Budget betreffen" beschnitten worden war. Fünf der 13 Verfassungsrichter formulierten eine abweichende Beurteilung des Falles, 8 folgten dem Urteil, ein nicht ungewöhnliches Splitting.

Widersprüchliche Rentenreform

 

Die "Rentenreform" der Regierung ist insgesamt widerspüchlich und riskant und ein klassischees Beispiel für das stets negierte "Austerity"-Programm der Regierung. Hat sie doch ebenfalls gesetzlich verfügt, dass alle öffentlich Bediensteten, die das Renteneintrittsalter von derzeit 62 Jahren erreichen, zwingend in Pension gehen müssten (von zu beantragenden Ausnahmen abgesehen), andernfalls sie ihre Rente gestrichen bekommen und nur das Gehalt behalten. Das in Ungarn, aufgrund der sehr niedrigen Renten, oft so notwendige Hinzuverdienen wird damit unterbunden, die Maßnahme führt zudem zu teils dramatischen Personalengpässen vor allem im ländlichen Gesundheitsbereich.

Zweckentfremdung von Beiträgen

Ein anderer "Meileinstein" der Fideszschen Rentenpolitik war die Beschlagnahme und weitgehend zweckentfremdete Verwendung der Beiträge zur ehedem obligaten privaten Säule der Rentenversicherung in einer Größenordnung von über 10% des BIP. Kritiker gehen davon aus, dass sich daraus für die Zukunft ein großes Versorgungsrisiko ergibt bzw. erworbene Ansprüche von zukünftigen Rentengenerationen gestrichen oder zurückgestuft werden müssen. Den Preis für eine Abwendung der Staatspleite zahlen also wieder die Kleinen, aber das ist ein politisches, kein rechtliches Problem.

Einschränkung der Tätigkeit und Bedeutung des Verfassungsgerichtes
(mit weiterführenden Links)

red.

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