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(c) Pester Lloyd / 42 - 2013   POLITIK   20.10.2013

 

Übergroßes Feindbild

MSZP-Parteitag: Die Sozialisten wollen Ungarn vom "Orbán-Trip" runterholen

Die Schärfung des Feindbildes stand im Mittelpunkt des Wahlparteitages der größten Oppositionspartei. Anhand der Skandale der Fidesz-Regierung, versucht man Orbán vom Ross des Nationalrevolutionärs zu stürzen und ihn als einen Ganoven an der Spitze einer Bande von selbstüchtigen Betrügern zu demaskieren, der unverantwortlich mit Land und Ressourcen umgeht. Mit dem Finger auf den Gegner zu zeigen, scheint für beide politischen Lager das probateste Mittel zu sein, von den eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken.

Ein fast zum Fetisch überhöhtes Feindbild gibt auch bei den Sozialsten den Takt vor...

Nach der Regierungspartei Fidesz und der MSZP-Abspaltung von Ex-Premier Gyurcsány, DK, hielt mit der MSZP am Samstag die größte parlamentarische Oppositionspartei des Landes ihren Wahlparteitag ab. Orbáns "Generalmobilmachung" gegen die vermeintlichen, inneren und äußeren Feinde Ungarns nahm dem Oppositionsführer, Attila Mesterházy, die Entscheidung darüber ab, ob die 2010 abgewählte Partei sich mit komplexeren inhaltlichen Angeboten an die Wähler wenden soll oder es wieder um einen Lagerwahlkampf, ein Entweder-Oder gehen würde.

Orbán gibt auch bei den Sozialisten den Takt vor

"Alle und alles gegen Orbán" steht somit als Losung über den nächsten Monaten, der Kampf gegen sein "Regime", eine "diebische und verlogene Regierung wie sie Ungarn noch nicht gesehen hat", soll bis zum Frühjahr genau die kritische Masse unter Anhängern und Unentschlossenen mobilisieren, die einen Machtwechsel zumindest rechnerisch möglich macht. Die MSZP setzt aus der Opposition heraus auf jene Slogans zur sozialen Gerechtigkeit, die man während der eigenen Regierungszeit in der praktischen Politik sträflich vernachlässigt hatte. Orbán gibt auch hier den Takt vor, mit seinen Energiepreissenkungen und einigen Steuergeschenken, die aufgrund des insgesamt gestiegenen Aufkommens jedoch nur vermeintlich sind, erhält er sich die Zustimmung der Masse.

Demaskierung des Offensichtlichen

Die MSZP versucht die mit der "Nation", den "Werten" und dem "Christentum" hausieren gehende Politik der Rechtspopulisten als Betrug zu entlarven. Reagieren, statt regieren. Mit dem alten Slogan "Arbeit und Brot für Alle!" im Gepäck forderte der Kongress "echte Arbeit", im Unterschied zu den zum Massenphänomen gewordenen, steuerfinanzierten, unterbezahlten und perspektivlosen Beschäftigungsprogrammen. Orbán habe knapp die Hälfte des Volkes sich selbst überlassen, den Sozialstaat zerstört, die Jugend ins Ausland getrieben. Vor allem aber stellt man Orbáns und Fidesz´ "Raubzug", belegt durch zahlreiche Korruptions- und Amtsmissbrauchsskandale als das "wahre Gesicht des Fidesz" dar.

Auf der Bühne wurde dazu ein überdimensionales Plakat enthüllt, das Orbán halb sichtbar hinter einer Anonymus-Maske zeigt. Auch vor der Syma-Halle in Budapest verteilten Aktivisten in diesen Masken Flyer. Ein etwas eigenartiges Bild, denn niemand in Ungarn zweifelte je daran, dass Orbán schon immer das "wahre" Gesicht des Fidesz war. Man demaskiert, was sich nie verstellt hat. Es ist dies nicht die erste PR-Nullnummer der sich als "erneuert" behauptenden "Sozialisten" und stilisiert Orbán zu einer Übergröße.

Orbán führt Ungarn zurück "in die Misere des Horthy-Systems"

Mit einer landesweiten Kampagne, begleitet durch eine eigene Webseite
http://egyenesen.hu/, wolle man nun die Skandale der Orbán-Regierung den Menschen näher bringen, durchaus verwundert, dass die geradezu dreist offenen Betrügereien noch nicht längst zu einem Volksaufstand geführt haben. Systematische Bevorzugung von Fidesz-Funktionären und ihrem Umfeld bei der Verpachtung von Staatsland, bei der Vergabe von öffentlichen Ausschreibungen, das Versickern von EU-Fördergeldern in diffusen Firmengeflechten, die Aneignung des Tabakhandelsmonopol zum lokalen Versorgungsnetzwerk für Parteimitglieder, die öffentliche Finanzierung von Prestige-Projekten, die unsoziale Umverteilung durch Flat tax und hohe Verbrauchssteuern auf Grundnahrungsmittel und - nicht zuletzt - die Zweckentfremdung der privaten Rentenbeiträge für Haushaltszwecke. Mit all diesen Maßnahmen, garniert mit historischen Rechtfertigungen, sinnlosen Stellvertreterkriegen gegen die EU und politisch Andersdenkende bombe Orbán das Land zurück "in die Misere der Horthy-Systems", so Parteichef Mesterházy.

MSZP-Chef Attila Mesterházy beschwört wie neu und runderneuert die MSZP nun aufgestellt sei.

Die schwerfällige Funktionärspartei MSZP will das Land rocken

Äußerlich versucht sich die MSZP moderner, vor allem kämpferischer zu geben und den Nimbus einer behäbigen Funktionärspartei abzulegen. Ob das nur mit feschen Grafiken und einem Beraterstab funktioniert, der Social Web und Power Point kann, auch gelingt, mag zweifelhaft sein, denn die auf dem Parteitag verabschiedete Kandidatenliste brachte wenig Überraschendes, auch wenn man auf die ganz alten Granden auf den Spitzenplätzen verzichtete. Mesterházy verkaufte es trotzdem als "Generationenwechsel" und ein "neues Politikangebot", betonte es sogar durch ein eingeblendetes Új, also Neu vor dem Parteikürzel. Die überlaute Rockmusik bei der Präsentation kann jedoch den alten Blues dieser Partei kaum übertönen.

"Zwei Kulturen" stehen 2014 zur Wahl, meint der Parteichef, hier Orbán: der gewalttätig denkt, autoritär, unversöhnlich ist und nichst weiter im Sinne hat, als die Sicherung seiner 2/3-Mehrheit. Die fundamentalen Probleme der einfachen Menschen interessieren ihn dabei nicht, genau "von diesem Trip muss das Land runterggeholt werden." - "Das ist unsere Mission."

Slogans von einer sozialeren Welt, kein Plan

Auf der anderen Seite stehe die MSZP für den Rechtsstaat und Gerechtigkeit, eine Demokratie, in der die Menschen fair behandelt werden, eine Demokratie, die europäisch und freiheitsliebend sei. Das Wahlprogramm hat seine Schwerpunkte vor allem im vom Fidesz zurechtgestuzten und funktionalisierten Bildungs- und Sozialsektor, dort soll wieder mehr investiert werden (-40% seit Regierungswechsel), die finanziellen und strukturellen Zugangshürden, die die höhere Bildung in Ungarn in vielen Bereichen zu einem Privileg der Kinder von Besserverdienern umfunktionierten, sollen fallen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Arbeitsplatzschaffung, ein abgestuftes Steuersystem, das die Besserverdiener nicht mehr bevorzugt, die "Durchschlagung der Schuldenkette", "Rentenerhöhung statt Sozialbegräbnisse", so lauten die Slogans, allein, es bleibt im Wesentlichen dabei, von einer fundierten, durchfinanzierten Umsetzungsplanung kann noch keine Rede sein.

Linke Rollenspiele

 

Ob die Strategie des Besudelns des Gegners, in Ungarn seit über einem Jahrzehnt an der Tagesordnung, für die MSZP für einen Machtwechsel an den Wahlurnen reicht, darf man als unwahrscheinlich annehmen, denn selbst in dieser Disziplin sind sie mittlerweile von der Professionalität und Aggressivität der politischen Gegner übertrumpft worden. Allerdings ist zu beachten, dass die MSZP in der Wahlallianz der demokratischen Opposition mit "Gemeinsam 2014" vor allem die Aufgabe hat, das linke Lager zu mobilisieren, also jene Wählerschicht, die ohnehin gegen Orbán ist und nur noch davon überzeugt werden muss, auch zur Wahl zu gehen. Bajnais Mitte-Links-Allianz hingegen hat eine andere Rolle, sie soll die Zögernden und Enttäuschten aktivieren und bündeln, für die eine MSZP aus vielerlei Gründen nicht wählbar ist, die aber, auch ohne laute Polarisierung erkennen, dass Orbán dem Land mehr Schaden als Nutzen bringt, auch wenn für viele unklar bleibt, wie eine - funktionierende - Welt nach Orbán aussehen könnte.

red. / cs.sz. / ms.

Die linken Oppositionsparteien haben für den Nationalfeiertag des 23. Oktober zu einer gemeinsamen Demo aufgerufen, die Regierung zu einem stillen Gedenken an die Helden von 1956 sowie zu einem "Friedensmarsch". Hier mehr Infos.

Bericht vom Parteitag des Fidesz
Bericht vom Parteitag der DK

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