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(c) Pester Lloyd / 41 - 2013   POLITIK / WIRTSCHAFT 09.10.2013

 

Schattenreich der Kleptokraten

Legalisierung des Illegalen: geschäftsmäßige, amtliche Plünderung von Fördergeldern in Ungarn

Dutzende neu gegründete Firmen ohne Umsatz und Mitarbeiter, Eigentümer mit engen Verbindungen zu staatlichen Geldgebern und einschlägigen Oligarchenkreisen, sogar ein durch ferne Lande waberndes Geistertheater, die zusammen Milliarden von EU-Fördermitteln und ungarischen Steuergeldern "absorbieren". Die “Mittelstandsförderung” der Regierung zahlt sich aus, die Aufteilung des Landes scheint unaufhaltsam, denn die Regierung hat den großen Schwindel längst legalisiert und mit dem Etikett “Széchenyi” verkauft sie ihn auch noch als patriotische Leistung. Die Kleptokratie ist die real existierende Staatsform geworden, nur ein paar Unverzagte leisten immer noch Widerstand...

Ganz besonders begehrlich greift die Krake der grauen Wirtschaft in Ungarn schon immer nach den Ausschreibungen der "Nationalen Entwicklungsagentur", NFÜ, jener zentralen, beim Entwicklungsministerium angegliederten Vergabestelle für die EU-Milliarden, die sich seit kurzem unter den Fittichen von Orbán-Intimus János Lázár befindet, der auch Chef der zentralisiserten Außenhandelsförderung ist und bei der u.a. Millionen in halbstaatliche "Handelshäuser" in Osteuropa und Asien versenkt werden. Als Staatssekretär im Vorzimmer des Ministerpräsidenten sorgt er seit August dafür, dass nun wirklich alle Vergaben direkt über Orbáns Schreibtisch wandern. Natürlich nur und ausschließlich im Interesse der Nation, wobei nicht wenige in Regierungskreisen meinen, Orbán sei die legitime Verkörperung selbiger und dann eben auch so handeln.

Sonnenenergie von dunklen Kanälen absorbiert...

Im ersten aktuellen Fall, den die nimmermüden Wühlmäuse des ungarischen WikiLeaks, www.atlatszo.hu, gerade ans Tageslicht gebracht haben, geht es um die Ausschreibung von satten 3 Milliarden Forint, rund 10 Mio. EUR, für die Förderung von Solarenergieprojekten kleiner und mittlerer Unternehmen. Der Tender, finanziert aus EU-Regional- und Umweltfonds, ging an 13 Unternehmen, die jeweils mindestens 100 Mio. HUF bekamen. Die meisten der Unternehmen wurden erst in den letzten zwei Jahren gegründet, neun davon hatten in dieser Zeit nicht einen Forint Umsatz, fast alle kommen ohne gemeldete Mitarbeiter aus, Email-Adressen und Webseiten leisten sie sich ebensowenig.

Insgesamt gingen so rund 1 Mrd. HUF an Phantomfirmen mit klangvollen Namen wie Napfaktor, Fulmineus, Solaris-Technology, Trianghome, Magyar Naperömü., Insolatio, Renergy-Sol sowie Solar Building Hungary. Einige davon geben wechselweise die gleichen Eigentümer bzw. Geschäftsführer an und allein diese cashten, obwohl noch nie in der Branche aktiv, insgesamt 700 Mio. HUF ab, ermittelte atlaszo.hu auf Grundlage der gerichtlich eingeklagten Ausschreibungsunterlagen.

Witziges Detail: zumindest drei der Protagonisten o.g. Firmen waren bis vor kurzem Mitarbeiter der Nationalen Entwicklungsagentur, andere tauchten bereits in der staatlichen Entwicklungsbank auf und nicht wenige der Unternehmen bzw. Personen sind über Beteiligungen mit der Mutter aller Fidesz-Oligarchen, Lajos Simicska geschäftlich verschwägert. Eine Anwaltskanzlei, die für die NFÜ tätig war, ist Miteigentümer von bedachten Unternehmen usw, usf.

EU-Kommissar Hahn bemängelte die Abrechnung, er hätte sich lieber die Vergabe anschauen sollen

Natürlich ist das alles reiner Zufall, genauso wie der Umstand, dass NFÜ-Chef János Lázár, genau einen Tag, nachdem atlatszo.hu mit den Fakten an die Öffentlichkeit ging, die Ausschreibung annullierte. Es muss ihm ein Licht, vielleicht ein Solarlicht aufgegangen sein, dass es hier noch "Nachbesserungsbedarf" geben könnte. EU-Regionalkommissar Johannes Hahn hat die kurzzeitig gesperrten Regionalförderprogramme für Ungarn - übrigens unter sehr milden Auflagen - wieder freigegeben.

Die EVP-Kameraderie funktioniert weiterhin blendend. Die Begründung für die Sperrung lautete auf "Unregelmäßigkeiten bei Abrechnungen", doch schon weit davor, nämlich bei der Vergabe der Mittel beginnen diese "Unregelmäßigkeiten" eigentlich. Das ist nicht das Feld von Kommissar Hahn, sondern eher das des EU-Antibetrugsdezernats OLAF, das sich einmal dringend mit den Aktivisten von atlatszo.hu unterhalten sollte. Ihren "Ruf" können die Investigativjournalisten ohnehin nicht mehr verlieren, denn die Propaganda der Regierungspartei hat ihr längst den universal einsetzbaren Stempel: Diener fremder Herren (lies: EU, Finanzmärkte, IWF, Multis) aufgedrückt.

Steuer-Millionen für Geistertheater in Aserbaidshan

Der zweite, aktuell von den bürgerrechtlichen Nervensägen aufgesägte Fall führt uns in den Bereich, den wir bereits aus der großzügigen Förderung "beliebter Sportarten" aus Steuermitteln kennen, die u.a. zu einem erstaunlichen Geldregen für die Puskás-Fußballakademie in Orbáns Heimatort führte. Ein von Fidesz geschaffenes Gesetz ermöglicht es Unternehmen einen Teil des Steueraufkommens für diesen oder auch soziale und kulturelle Zwecke zu deklarieren. Das derartig zweckgebundene Geld wird dann nach sehr speziellen Kriterien und unter Ausschluss der üblichen Ausschreibungsformalitäten "verteilt". Sieben Beamte beackern dieses Feld mit tausenden Bewerbern. Theater- und Kunstgruppen, die - zum Teil - bisher niemand in Ungarn kannte, kamen 2012 auf diese Weise an Förderungen von über 11,6 Mrd. Forint, fast 40 Mio. EUR und nur rund ein Viertel weniger als die Ausschüttungen für die Fußball-Impresarios.

Der Ablauf hier war besonders kreativ: das Gesetz besagt, dass die Künstlergruppen, die, wie gesagt, in Ungarn eher noch auf ihren Ruhm warten, Förderungen in der Höhe von bis zu 80% der Ticketeinnahmen bekommen können. Da ließen sich einige nicht lumpen und präsentierten der Steuerbehörde Abrechnungen über Ticketeinnahmen in Zigmillionen-Forint-Höhe von umfangreichen Gastspielen - in: Aserbaidshan, den Golfstaaten und sogar in Mexiko. Die Sache begann immer mehr zu stinken, nun musste die Regierung dazwischen gehen und begrenzte die Förderbarkeit auf kulturelle Aktivitäten in der Europäischen Wirtschaftszone. Natürlich erhielten auch bekannte Einrichtungen wie das Budapester Operettentheater Förderungen aus dem Topf, doch kleine, unabhängige, aber wirklich tätige Gruppen, die, aufgrund der Beschneidung der Sockelfinanzierung, auf diese Art der Förderung angewiesen sind, schauen bei dieser Art Selektion meistens durch die Finger, zumal bei den Geförderten auch ein Wandertheater zu finden war, das nicht einmal Personal angestellt hatte, - vielleicht ein Flohzirkus oder ein Schattentheater?

Orbáns Schwiegersohn führt sich in die "Familie" ein

Doch noch einmal zurück zur Solarenergie: Orbáns
frisch gebackener Schwiegersohn führt sich gerade standesgemäß in seine neue Familie ein. Auf windige Weise gewann das Unternehmen Elios Innovatív Zrt., dem der Gatte von Orbáns ältester Tochter als Mitteilhaber und Geschäftsführer vorsteht (die Mehrheit des Unternehmens gehört, selbstredend, unseren beiden Nationalpaten Lajos Simicska und Zsolt Nyerges), einen öffentlichen Auftrag zur Errichtung einer Solarenergieanlage an der Uni Szeged. Ein Subunternehmen übernahm die Installation, Elios erhielt die vereinbarten 482 Mio. HUF von der Uni, doch der Subunternehmer, die Asianet Kft., wartet bis heute auf ihren Anteil von 200 Mio. Forint, nicht einen einzigen Forint sahen die Arbeiter und das Management davon bisher. Eigentlich müssen alle Subunternehmer, die mehr als 10% des Auftragsvolumens übernehmen, vom Hauptauftragnehmer an den Auftraggeber namentlich gemeldet werden. Asianet führte 80% aus, im Vertrag manifestierte man jedoch nur 8% und umging damit die Meldepflicht, den Rest deckte man über "Lieferverträge" ab. Orbáns Schwiegersohn ist nun zu einer weiteren gerichtlichen Anhörung in der Sache geladen, die Asianet in den Ruin treiben könnte.

Atlatszo.hu geht ans Eingemachte

All dies sind wie immer nur Auszüge und man kann nur ahnen, wie sehr die Verantwortlichen des öffentlich-rechtlichen Runfunks mittlerweile den Rausschmiss des Ex-Radioredakteurs Attila Mong bedauern mögen, der - neben anderen - maßgeblich an Aufbau und Betrieb des ungarischen WikiLeak, ataltszo.hu beteiligt ist. Jedenfalls berichtet die Plattform - praktisch im Stundentakt - mit einer für die Machthaber ans boshafte grenzen müssenden Penetranz, nicht nur über die Karrieren der ungarischen Oligarchen, Bestechungsskandale und eigenartige Auftragsvergaben - übrigens der heutigen wie der früheren Regierungsperioden gleichermaßen gründlich -, sondern geht mit Auskunftsbegehren bei Behörden ans Eingemachte. Regelmäßig zerrt man die schweigsamen Beamtengesellen bis vor die höchsten Gerichte, um an Unterlagen von öffentlichem Interesse zu kommen, womit man nicht nur einem demokratischen Grundbedürfnis, sondern auch einem Grundrecht folgt, das immer mehr beschnitten, umgangen, ausgehöhlt wird.

Theater um die Oper, Fragen zu Frequenzen und ein nützlicher Hinweis an die Regierung

Aufgrund der immer wasserdichter gestalteten Gesetzesunwesens zum Thema Informationspflichten der Behröden wird das immer schwerer, doch gerade bekam man vom Verfassungsgericht bestätigt, dass die Regierung die Ergebnisse der seit zwei Jahre andauernden Nachforschungen eines Special Agent-Regierungskommissars an der Ungarischen Staatsoper über die "verschwenderischen Machenschaften" der Direktionen der letzten acht "sozial-liberalen" Jahre publizieren muss. Es sei doch nur logisch, dass man die für den Rausschmiss herangezogene Begründung der "Geldverschwendung" nach 2 Jahren Arbeit belege. Was hat der Kommissar eigentlich die ganze Zeit gemacht und warum kämpfte die Regierung durch drei Instanzen verbissen um die Geheimhaltung der Offenbarung sozialistischer Misswirtschaft?

Diese Fragen werden nun bald beantwortet werden können und das Urteil des VfG öffnet demnächst wohl auch weitere verschlossene Akten, wenn, ja wenn bis dahin - wie beim Betrug mit den Tabaklizenzen den Steuernachlässen für Casinoinhaber und und und - nicht wieder ein neues Anti-Informationspflichtsgesetz beschlossen und in der Verfassung verankert wird. Ein kleiner, ein wichtiger Erfolg der Bürgerrechts-Truppe, doch keine Zeit zum Innehalten. Denn schon steht der nächte Prozess an: diesmal verweigert - wieder einmal - die Medien- und Frequenzbehörde NMHH - eine Auskunft - und zwar die Unterlagen zum ganz aktuellen 300 Mio. EUR-schweren Verkauf von Mobilfunklizenzen. Man wolle erst mit den "Vertragspartnern" beratschlagen, was man der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen könne, so die unbefriedigende Auskunft, die zur nächsten Klage seitens Atlatszo.hu führte.

Die Rechte hat aus den "Fehlern" der "Linken" gelernt

 

In dem aufmüpfigen Begehren der Kläger wie des VfG liegt allerdings schon die Handlungsanweisung für die Regierung, wie man das System der Legalisierung des Illegalen noch "verbessern" kann. Man muss Auskünfte einfach verbieten, prinzipiell und nicht nur grundsätzlich. Denn genau und nur darin liegt der Unterschied zwischen dieser Regierung und ihren Vorgängern: die "Sozis" machten Illegales und schämten sich nicht dafür, die "Nationalkonservativen" - aus den "Fehlern" der Vorgänger schlau geworden, legalisieren ihr Vorgehen zunächst (manchmal auch im Nachhinein) und handeln dan "legal", aber genauso schamlos. Die obigen Beispiele und ihr struktureller Hintergrund hauchen dem Wort von Ex-Premier Bajnai von der "Plünderung des Landes im industriellen Maßstab" Leben ein. Besonders lebendig wird dieser Satz, da Bajnai bis zu seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten 2009 selbst Minister für Nationalentwicklung war und ab 2006 zunächst der Entwicklungsagentur NFÜ vorstand. Der Mann weiß, wovon er spricht.

Széchenyi, Nationalpoker und ein beratungsresistentes Volk

Das zentrale Instrument für die "nationale Umverteilung" ist der Széchenyi-Plan, der offiziell das Ziel hat, EU-Gelder von den Multis auf den ungarischen Mittelstand umzuleiten: das scheint gelungen, zumindest für einen Teil des Mittelstandes. Der Name Széchenyi konnte dabei nicht falscher und nicht richtiger gewählt werden: zum einen war der "größte Ungar" ein entscheidender Reformer, der das Land aus der Lethargie der gescheiterten bzw. rechtzeitig von den ungarischen Magnaten unterbundenen 48er Revolution wieder nach Europa führte, zumindest entwicklungstechnisch und ökonomisch.

Szécheyni steht aber auch für jene verklärte Oberschicht, die über Jahrhunderte mit sog. Patriotismus ihre maßlose Gier zu überdecken wusste, die in der Verdrängung ausländischer Ausplünderung zu Gunsten der eigenen Einnahmen (genannt: Ausgleich von 1867) die "Befreiung" Ungarns kommunizierte und dafür vom Volk noch bis heute gefeiert wird, wiewohl der Untergang und Trianon 1919 genau mit dem hohen Einsatz, dem Nationalpoker dieser Leute zusammenhing. Genau in diese schizophrene, ständische, “gottgegebene” Welt manövriert Orbáns Fidesz das Land wieder zurück, baut - auf den Trümmern der postsozialistischen Wildostkapitalisten und dem von der EU zugelassenen Vakuum - weiter an der faulen Legende, die stets den größten Teil des Volkes in bitterer Armut und Rechtlosigkeit hielt. Ein Volk das historisch beratungsresistent geblieben zu sein scheint.

red. / cs.sz. / ms.

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