THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 40 - 2013   POLITIK   29.09.2013

 

Generalmobilmachung

Premier Orbán bereitet Ungarn bei Parteitag auf "Krieg gegen äußere und innere Feinde" vor

Beim XXV. Parteitag des Fidesz folgten die Genossen ihrem Vorsitzenden, dessen Eigenlob und den simplen Parolen widerspruchslos. Der "Krieg um die Wohnnebenkosten" gegen "aus- und inländische Feinde", die ungarische Familien wieder versklaven wollen, wird die zentrale und simple Botschaft für die Wahlen 2014. Einige Auftritte von Parteisoldaten lieferten sogar komische Momente, nur für das Land ist das alles nicht so witzig, findet die linke Opposition, die am Wochenende immerhin einen kleinen inneren Parteitag feiern konnte.

Mit 1.240 der 1.241 Delegiertenstimmen wählte der 25. Parteitag der nationalkonservativen ungarischen Regierungspatei, Fidesz, Premier Viktor Orbán, am Samstag, im Millenium Center in Budapest, erneut zum Parteichef und hat damit dem Begriff Einheitspartei eine neue quantitatve Dimension gegeben, nicht einmal János Kádár erreichte eine solche Quote! Beobachter streiten sich, ob die fehlende Stimme jene Orbáns war, der, bescheiden wie er ist, nicht für sich selbst stimmen wollte oder ob einer der Delegierten gerade Zigaretten holen war, was heute bekanntlich länger dauern kann.

"Endkampf" gegen Feinde von innen und außen...

Der Gehalt der langen Rede des Regierungs- und Parteichefs am Samstagabend war wieder sehr überschaubar, umso klarer waren die Vorgaben an das Parteivolk hinsichtlich Agitation und Propaganda für den Wahlkampf 2014 (
Themenseite). Es war eine Generalmobilmachung. Die inhaltlichen Weichenstellungen erledigte längst der innere Zirkel bei der Fraktionsklausur vor zwei Wochen.

Zwar sollte schon 2013, nach der ursprünglichen 5-Jahres-Planung das erste "Jahr der Ernte" werden, doch "äußere und innere Feinde" zwingen die Nationalrevolutionäre zu einer kleinen Verlängerung des Krieges: 2014 wird also "das Jahr der Schlacht um die Wohnnebenkosten", "rezsiharc" (Regiekostenkrieg) heißt das kurz und bündig auf Ungarisch, ein Wort, dass es bis vor ein paar Wochen noch nicht gab und nun Teil des Neusprechs geworden ist, sozusagen die Fortsetzung des bereits für gewonnen erklärten "Unabhängigkeitskrieges" gegen das "neue Moskau" (Orbán über Brüssel), den IWF etc...

"...die für Öffentlichkeit bestimmten Reden Orbáns
haben eine Qualität erreicht,
die sich nur noch durch das Absingen
von schmutzigen Liedern oder Fußballchören senken ließe..."

Weite Passagen seiner kämpferisch vorgetragenen Rede füllte Orbán mit dem Lob der eigenen Regierungsarbeit, darin nicht viel Neues: Fidesz war seit der Wende die Kraft, die gegen die Blockierer einer "nationalen Erneuerung" stand, seit 2010 habe man die "Wohlfahrts- in eine Arbeitsgesellschaft" umgewandelt und heute ist Ungarn "stärker als es zuvor war" und - die offizielle Parole durfte natürlich nicht fehlen - "macht es besser!".

Von der Annahme ausgehend, dass die Zielgruppe diese Behauptungen annimmt, baute der Premier sodann das Feindbild auf, der Bausatz ist alt bekannt, aber das Spiel wird noch immer gern gespielt: schon sieben Monate vor der Wahl höre man wieder die gleichen Stimmen wie vor zehn Jahren, die Stimmen jener, die den Banken und Monopolisten (gemeint: ausländische, Anm.) die Türen des Landes öffneten und deren Politik Ungarn in einer "Allianz mit den Banken und Multinationalen gegen die ungarischen Menschen" in den Ruin getrieben hätte.

Noch mehr Tagespolitik in die Verfassung

Diese wollten, gewännen sie die Wahlen, genauso fortfahren, sie würden, so Orbán, nicht nur die Bankensondersteuern abschaffen, sondern auch die Steuererleichterungen für Familien und erst recht die Senkung der Wohnnebenkosten. Das müsse verhindert werden, weshalb darüber zu beraten sei, wie die "Sozialpolitik" dieser Regierung derart in Gesetzen, auch im Grundgestz verankert werden kann, dass sie dem Zugriff der "aus- und inländischen Feinde des Volkes" entzogen werden können. Eine entsprechende "Resoulution" wurde sodann per Akklamation angenommen, die von der "Verteidgung der ökonomischen Unabhängigkeit und der Sicherheit der ungarischen Familien gegen ausländischen und inländischen Druck" handelt und
in einer neuerlichen Verfassungsänderung münden wird.

Orbán schob nach: Ungarn solle niemals vergessen, dass es die Kommunisten waren, die ihren Mantel gegen einen Business-Anzug tauschten, um mit Banken, Spekulanten und Multis gemeinsame Sache zu machen. "Das ist die Wahrheit.", so der Premier, hinter dem ein Bühnebild mit der Aufschrift: "Ungarn wird es nicht zulassen!" aufgebaut war, so als stehen die Panzer der Multis und Kommunisten schon an der Donau.

Selbstkritik gab es keine, Fragen, Anträge, die vielleicht auf Richtungskämpfe, Zweifel an der eigenen Unfehlbarkeit hätten aufkommen lassen können: Fehlanzeige. In Summe war festzustellen, dass die Simplifizierung, ja Primitivisierung und Parolenhaftigkeit in den für die Öffentlichkeit bestimmten Reden Orbáns und seiner Armee mittlerweile eine Qualität erreicht hat, die sich nur noch durch das Absingen von schmutzigen Liedern oder Fußballchören senken ließe. Doch ist bekannt: je simpler die Botschaft, desto besser kommt sie an.

Die Linke will den Menschen alles wieder wegnehmen

Die Epigonen des großen Vorsitzenden, Fraktionschef Rogán (Foto oben), der anstelle des Wirtschaftsministers Varga neu zum Parteivize aufgestiegenen Staatssekretär János Lázár, der u.a. über alle EU-Geldvergaben bestimmt und als ein möglicher Kronprinz für eine Orbán-Nachfolge (in vielleicht 20 Jahren) gilt sowie - natürlich - auch der Demokratenfresser und sog. Parlamentspräsident László Kövér, der gerade erst darüber sinnierte,
wie sinnlos ein Parlament eigentlich ist, stießen ins selbe Horn und gaben sich alle Mühe die Ansagen des Chefs mit Zahlen auszuschmücken.

Rogán: die Rückzahlung des IWF-Kredites belegt die gewonnene Unabhängigkeit "Die EU- und IWF-Bürokraten haben keinen Einfluss mehr auf das Alltagsleben der ungarischen Familien" und "diese Regierung" hat die Belastungen der Krise gerechter verteilt und sich nicht sklavisch den Multis und Banken untergeordnet wie das Bajnai-Kabinett. Alle stellten eine Zahl in den Raum. Aus den Ankündigungen zu den Wahlprogrammen der linken Opposition will man errechnet haben, dass die Linken mehrere Milliarden (EUR) "den Familien wieder wegnehmen und den Banken geben" wollten. 532 Mrd. Forint Mehrbelastung brächte das, außerdem stünde die Kappung der Energiepreissenkungen im Wert von ca. 2.000 Mrd. HUF bei den Sozis auf der Tagesordnung.

Wirtschaftsminister: Ungarn lebt nicht mehr von fremden Geld....

Weitere Wortspenden kamen von Vizepremier und Chef der KDNP, eines fundamental-christlichen Wurmfortsatzes des Fidesz, Zsolt Semjén, der über 516.000 Neuungarn in den Vortrianongebieten rapportierte, die bei der Wahl nun ihre Dankbarkeit für den ungarischen Pass ausdrücken dürfen. Verfassungs-"Erfinder" József Szájer, ein EP-Abgeordneter, betonte, dass Ungarn seine Stimme bei EU-Angelegenheiten heute als Gleicher unter Gleichen erhebt und die Zeiten der "Selbsterniedrigung" vorbei seien. Wirtschaftsminister Mihály Varga meinte, dass Ungarn nun "nicht mehr von fremdem Geld" leben und "enorme Zinsen zahlen" müsse, was angesichts einer Staatsschuldenquote von knapp 80% und bevorstehenden
Anleiheverkäufen in Höhe von über 5 Mrd. EUR eine recht mutige Interpreation ist. Auch der “ausgezeichnete” Superminister Balog sagte wieder irgendetwas Linientreues, was aber keine Erwähnung wert ist.

Der politischen Grabenkampf hat Ungarn seit wenigstens
einem Jahrzehnt zerfurcht und zu einer
politischen (Hinter-dem-)Mondlandschaft verkommen lassen

Parlamentspräsident: Vorwärts vom 20. - ins 19. Jahrhundert!

Parlamentspräsident Kövér (Foto), der länger als die anderen sprechen durfte, hofft, dass Fidesz und Orbán "das Vertrauen der Menschen in den nächsten vier Jahren" behalten können, denn so könnte man "das 20. Jahrhundert endgültig abschließen", aber nicht etwa, um ins 21. Jahrhundert zu schreiten, sondern: um die "Träume der Freiheitskämpfer des 19. Jahrunderts von einem bürgerlichen Staat" (ungarische Magnaten übernahmen weitgehend die Wirtschaftsmacht von österreichischen) wahr werden zu lassen. Kövér selbst ist allerdings eher doch die Verkörperung des 20. Jahrhunderts und zwar dessen brauner Mitte, wie er u.a. durch seine Nyirö-Verehrung in Rumänien und seine "Kriegserklärung" gegen die Slowakei schon demonstrierte. Und ganz im Duktus des 19. Jahrhunderts schloss er: "bei den Wahlen 2010 geht es noch mehr als je zuvor" (!) um "die Existenz, die Freiheit und die Unabhängigkeit" des Landes. Fidesz müsse "das Ungarntum" gegen jene verteidigen, die es ausrauben und verkaufen wollen.

Permanenter Alarmismus als Vorbereitung auf Notstandsgesetze?

Diesen Satz, überhaupt das ganze nicht enden wollende Kriegsgerede, mag man vielleicht als dümmliche Propaganda oder überhöhte Klientelpolitik auffassen, er beinhaltet aber einen tieferliegenden Ansatz. Denn Kövér steht mit seiner Demokratieverachtung nicht allein. Orbán selbst merkte einmal an, dass in Zeiten ökonomischer Krisen "auch andere Regierungsformen als die der parlamentarischen Demokratie notwendig werden könnten". Im Zusammenhang mit dem ständigen Notstands-Alarmismus, den die regierende Partei verbreitet, kann dahinter bereits der Plan für gewisse "außergewöhnliche Maßnahmen" schlummern, der zu greifen beginnt, wenn Fidesz eines Tages seine Felle wegschwimmen sieht. Daher tut man gut daran, der Forderung Orbáns, die er einmal vor ausländischen Diplomaten stellte, zu folgen, ihn nämlich "an seinen Taten" zu messen.
Und er tat einiges

Parteivize: Wahlkampf soll juden- und schwulenfreundlicher werden, bitte

Die einzig unabhängig klingende, vielleicht als nachdenklich oder doch eher als entlarvend zu bezeichnende Stimme, die sich öffentlich vernehmbar auf diesem Parteitag äußerte, war die des Fidesz-Bildungssprechers und Bürgermeisters des XII. Bezirks von Budapest, Zoltán Pokorni. Dieser macht sich weniger Sorgen um den Geist, als um die Form des politischen Grabenkampfes, der Ungarn seit wenigstens einem Jahrzehnt zerfurcht und zu einer politischen (Hinter-dem-)Mondlandschaft verkommen ließ. Pokorni sagte, dass man nicht die unentschiedenen Wähler vergessen soll, diese gilt es vor allem zu überzeugen (immerhin knapp 50%). Dabei sollte auch darauf geachtet werden, dass "jeder bei Fidesz auf verletzende Äußerungen gegen die politischen Kontrahenten" verzichten solle, "das gilt auch für homophobe und antisemitische Statements." Ein Rat, der rund acht Jahre zu spät kommt, es wäre aber schön zu wissen, an wen im Parteitagsrund er dabei genau gedacht haben könnte...

Opposition: Regierungspartei lebt auf einer Insel weit weg von Ungarn

Die Opposition sieht sich in dem Parteitag darin bestätigt, dass die Regierungspartei längst von der Lebensrealität im Lande verabschiedet habe. Die "Erfolgsberichte" vom Kongress und 1.200 offenbar sehr glückliche Menschen, zeigten, dass "Orbán und die Seineen sich eine Insel, weitab von Ungarn" errichtet haben, wo man das "Leben auf der Sonnenseite" genieße. Dass die Fidesz-Größen "unfähig" seien, irgendetwas "substantielles über Ungarns Zukunft" zu sagen, sei das eine, dass sie aber die Realität von "500.000 Kindern unter der Armutsgrenze", "kleinen und mittleren Betrieben im Bankrott, Massenentlassungen, einen Gesundheitssektor im kritischen Zustand, gekappte Rentenerhöhungen und Chaos im Bildungssektor" so vollständig ausblenden, sei gefährlich, so ein MSZP-Sprecher.
 
Wahlbetrug in Baja: innerer Parteitag für MSZP und G2014

 

Einen inneren Pareteitag hielten am Samstag auch die Oppositionsführer Bajnai (G2014) und MSZP-Chef Mesterházy bei einer gemeinsamen Pressekonferenz ab: ein Gericht hat die Beschwerde der Opposition hinsichtlich mutmaßlicher Wahlmanipulation im 3. Wahlbezirk von Baja angenommen und in dem inkriminierten Wahlsprengel eine Wiederholung angeordnet, weil die "Wahlkampfruhe" gestört wurde, die u.a. kollektive Fahrdienste zum Wahllokal untersagt. Ein Fidesz-naher Roma-Funktionär hatte dagegen verstoßen, was dokumentiert worden war. Der Fidesz-Kandidat gewann nur aufgrund der in dem betroffenen Wahllokal gesammelten Mehrstimmen gegen den Kandidaten der vereinigten Linken (MSZP, G2014, DK).

Für Ex-Premier Bajnai von G2014 und und MSZP-Chef Mesterházy ist die Botschaft klar: seit heute steht fest, "dass Fidesz Wahlbetrug betrieben hat" und "ohne illegale Methoden die Wahl nicht gewinnen" kann. Die Menschen hätten "genug von Lügen und einem korrputen Regime." Etwas weinerlich gab der sonst eher derbe Fidesz-Sprecher Róbert Zsigó zurück, dass es der "abgehalfterten Linken" (stehender Begriff, Anm.) offenbar gar nicht um die Bewohner der Kommune geht, sondern nur darum, sich selbst in Szene zu setzen. Fidesz werde aber auch diese "neue Herausforderung" annehmen...

red. / cs.sz. / m.s. / Fotos: fidesz.hu

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