THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 46 - 2013   POLITIK   12.11.2013

 

"Ohne die Jugend fällt das Land zusammen..."

Oppositionsführer Bajnai: Ungarn braucht Ruhe und Professionalität

Zweckoptimismus oder totale Realitätsverweigerung? In einem aktuellen Interview erklärt Ex-Premier Gordon Bajnai, Chef der Oppositionsbewegung "Gemeinsam 2014 / Dialog für Ungarn", dass er "in einem Jahr Ministerpräsident" sein wird. Dafür muss aber endlich Schluss sein mit den Querelen in den Reihen der Opposition, man will sich nur noch um den Gegner - Orbán - kümmern. Arbeitsplätze, Armutsbekämpfung, Stopp der Jugend-Abwanderung und Steuergerechtigkeit sollen die Kernziele sein.

Vgl. PL-Interview mit Gordon Bajnai vom Juni 2013: Orbáns Siege sind Ungarns Niederlagen
Übergroßes Feindbild:
Bericht vom MSZP-Parteitag Ende Oktober 2013
Generalmobilmachung:
Orbán bereitet Fidesz-Parteitag auf "Krieg gegen äußere und innere Feinde" vor
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WAHLEN UNGARN 2014

Keine Anti-Orbán-Stimme vergeuden

Wie immer man über Allianzen denke und welche sich noch anbahnen, wichtig sei es am Ende, dass die MSZP und seine Bewegung mehr Stimmen und Mandate bekommen als die Orbán-Seite, erklärte Bajnai, Chef der Oppositionsbewegung "Gemeinsam 2014 / Dialog für Ungarn" und Juniorpartner in der Oppositionsallianz mit der MSZP, gestern in einem Interview mit dem News-Portal origo.hu. Erst dann lohne es, darüber zu sprechen, wer Premier wird, höchstwahrscheinlich aber stellt ihn jene Parteiliste, die mehr Stimmen bekommt (MSZP steht derzeit bei über 20%, E2014 bei unter 10% Anm.). Er sieht keinen Nachteil darin, dass man Orbán nicht mit einem klaren Herausforderer-Gesicht entgegentrete, die Botschaft sei der Regierungs- und Regimewechsel. Man wolle durch eine Festlegung auf eine zentrale Wahlkampffigur nicht riskieren, auch nur eine Anti-Orbán-Stimme zu verlieren.

Gyurcsány ist nicht am Wahlsieg sondern am Parlamentseinzug interessiert

Mit Ex-Premier Ferenc Gyurcsány wird er nicht mehr über eine Wahlkooperation sprechen, weil er sich nicht sicher sein kann, ob der DK-Chef (Demokratische Koalition, eine Abspaltung des Ex-MSZP-Chefs Gyurcsány, Anm.) wirklich den gemeinsamen Sieg 2014 erringen will oder nur darauf abzielt, auf dem Ticket seiner Partner wieder ins Parlament einzuziehen, "koste es, was es wolle". Sicher, so Bajnai, habe man im vergangenen Jahr "viele Fehler" gemacht, daraus aber auch "viel gelernt". Gyurcsány habe versucht die Wahlallianz "zu zerstören" (durch seine Inszenierung bei der Kundgebung am Nationalfeiertag, Anm.), das sei kontraproduktiv. Man konzentriere sich daher auf die Bündnissuche bei Gruppen, denen der Politikwechsel wichtiger sei als persönliche Ambitionen (was auch eine Absage an die neuen "1-Mann-Parteien" der Ex-SZDSZler Fodor und Kuncze sowie Bokros ist, Anm.)

"Bei den jungen Leuten eine der beliebtesten Parteien"

Bajnai betont, dass es abseits der internen Streitigkeiten, in dem Jahr seit seines Wiedereintritts in die Politik mit "Gemeinsam 2014" auch viel Positives gäbe: seine Partei sei in allen Wahlkreisen organisiert, man habe über 12.000 eingetragene Mitglieder und ist "bei den jungen Leuten eine der beliebtesten Parteien" (Anm.: Gemeinsam 2014 ist ein Mitte-Links Zusammenschluss aus der Bürgerrechtsgruppe Milla, der übergewerkschaftlichen Arbeiter- und Angestelltenbewegung Szolidaritás und dem Bajnai-Think tank "Heimat und Fortschritt" sowie der Partei "Dialog für Ungarn", einer Abspaltung von den Grünen, LMP.) Den Kooperationspartner MSZP beschreibt Bajnai als teilerneuert, immerhin seien die Kandidaten "fast alles neue Gesichter". Insgesamt kritisiert Bajnai, habe man sich zu viel um sich selbst gekümmert, sei zu ängstlich gewesen, sich klar zu positionieren. Diese inneren Kämpfe hätten "viel Vertrauen und viel Energie" vergeudet. Man hätte von Beginn an stärker "schwarz-weiß" malen sollen, anstatt zu viel Rücksicht auf die Befindlichkeit der Partner zu nehmen.

Energiekostensenkungen eine "unhaltbare Lüge"

Angesprochen auf das Hauptwahlkampfthema der Regierungspartei, die "Reduzierung der Wohnnebenkosten", wiederholte Bajnai seinen Vorwurf, dass dies ein Betrug sei, denn langfristig werde sich diese Politik nicht zu Gunsten der Mehrheit auswirken. Die Regierung wird die kommenden Verluste der schrittweise zwangsverstaatlichten Energiewirtschaft und der Kommunalbetriebe über Steuern hereinholen, die wiederum die Schwächsten am stärksten belasten. Diese Politik sei längst "im Geheimen" beschlossene Sache. Die ganze Geschichte von den Energiepreissenkungen eine einzige Lüge, diese Politik unhaltbar.

"Ohne die junge Generation fällt das Land zusammen..."

Origo.hu will wissen ob sein Versprechen, jedem unter 30 Jahren einen Job (oder qualifizierte Ausbildung) in Ungarn zu "garantieren" nicht auch so ein nicht zu haltenden Versprechen sei. Bajnai meint dazu, dass dem Land gar nichts anderes übrig bleibt, ein solches Versprechen zu geben und einzuhalten, da es sonst "in sich zusammenfällt". Hunderttausende junge, gut ausgebildete und ambitionierte Menschen müssten aufgrund der Ausbildungs- und Arbeitsplatzsituation in den Westen auswandern. Das sind die Menschen, "die Steuern zahlen, die Renten finanzieren und die Kinder kriegen", also alles tun, was das Land am Laufen hält.

Links Gordon Bajnai bei seiner Vorbereitung auf Interview,
rechts Viktor Orbán 2010 bei der Vorbereitung auf vier Jahre Regieren...

Wie finanziert man eine Arbeitsplatzgarantie?

Doch wie setzt man "Vollbeschäftigung" für die junge Generation um? Bajnai kalkuliert für ein solches Programm Kosten von rund 75 Mrd. Forint (250 Mio. EUR), die man "im Rahmen der Modernisierung des gesamten Arbeitsmarktsystems" überwiegend von der EU lukrieren könnte (Sonderfonds im Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit). Dabei gehe es um Lohnzuzahlungen, Entlastungen für die Arbeitgeber, die Berufseinsteigern eine dauerhafte Chance geben, vor allem aber auch um praxisnahe Ausbildungs- und Trainingsangebote für Ungelernte, statt sinnloser, unterbezahlter massenhafter Beschäftigungsprogramme (Közmunka).

80% der Ungarn haben durch die Flat tax verloren

Ein weiteres Anliegen beider Parteien ist die Bekämpfung der Armut, vor allem des Umstandes "das Zehntausende Kinder hungrig zur Schule" gehen müssen. Hier werde man rund 15 Milliarden Forint (50 Mio. EUR) in die Hand nehmen, das sei einfach auch eine ethische Aufgabe. Anhand der Flat tax (pauschale Einkommenssteuer von 16%) sei erkennbar, welche "armeselige" Politik die Orbán-Regierung betreibe. Bajnai wiederholt, dass die Flat tax 80% der Einkommensbezieher schlechter dastehen lässt als bisher, 50.000 Arbeitsplätze gekostet habe (durch steigende Abgabenlasten zur Kompensation der Steuerausfälle, Anm.) und eine dünne Schicht von Besserverdienern mit zweistelligen Einkommenszuwächsen beschenkt.

Zweistufiger Steuersatz soll zur Arbeit motivieren und die Ärmsten schonen

 

Dagegen wende man sich mit dem Volksbegehren gegen die Flat tax, das zu einem bindenden Referendum führen soll (und derzeit der fideszdominierten Wahlkommission zur ersten Prüfung vorliegt, Anm.) Sein Plan sei ein zweistufiges Steuersystem (durch einen wieder einzuführenden Freibetrag für die untersten Einkommensschichten eigentlich dreistufig), das mehr Gerechtigkeit herstelle, wobei die zweite Steuerstufe nicht so hoch ausfallen werde wie vor 2010 und "mehr Arbeit durch mehr Einkommen belohnt". Hingegen sollten die Mindestlöhner wenigstens 8 bis 10.000 Forint im Monat mehr in der Tasche haben als jetzt. Bajnai will weder die Ungerechtigkeiten von heute so belassen, noch die Fehler von 2009 wiederholen (einseitige Sparpakete). Die genauen Steursätze für sein System könne er heute noch nicht nennen, da es "dem Budget an Transparenz fehlt".

Wo sieht er sich in einem Jahr? Als Premier, Minister oder in der Oppositionsbank? Bajnai, der in dem Gespräch komplizierende Ausflüge in rechtsstaatliche und demokratische Grundsatzdebatten und die strukturellen Angriffe des Fidesz auf die Verfassungsordnung zu Gunsten greifbarer Politik unterließ, gibt sich selbstbewußt bis größenwahnsinnig: "Ich werde Ministerpräsident sein." und schließt: Ungarn braucht wieder Ruhe und Professionalität und jenen hoffnungsvollen Ausblick in die Zukunft, den die (seine, Anm.) Regierung 2009/2010 begonnen hat. Dafür werden er und "Gemeinsam 2014" kämpfen.

Vgl. PL-Interview mit Gordon Bajnai vom Juni 2013: Orbáns Siege sind Ungarns Niederlagen
Übergroßes Feindbild:
Bericht vom MSZP-Parteitag Ende Oktober 2013
Generalmobilmachung:
Orbán bereitet Fidesz-Parteitag auf "Krieg gegen äußere und innere Feinde" vor
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