THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

 

Hauptmenü

 

 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.

 

(c) Pester Lloyd / 03 - 2014 WIRTSCHAFT 17.01.2014

 

Big Deal, Staatsstreich, Meilenstein, Schwindel...

Reaktionen zum Atomdeal Ungarn - Russland

Regierungschef Orbán hat in seiner freitäglichen Radioansprache den
Atomdeal mit Russland verteidigt. Ohne den Ausbau des AKW in Paks gäbe es keine wettbewerbsfähige Wirtschaft. Während die Regierungspartei den "besten Deal seit 40 Jahren", bei dem die EU nichts zu melden habe, bejubelt, Fachleute Zweifel anmelden, spricht der Oppositionsführer von einem "Putsch gegen das eigene Volk", ein Orbán-Zitat...

Simple Formel: Ohne Atomstrom kein Wachstum

Ohne die Erweiterung von Paks sei die ungarische Wirtschaft nicht konkurrenzfähig, so die simple Formel, die Premier Orbán am Freitagmorgen in der Sendung “180 Minuten” (im Volksmund: Freitagsgebet) senden ließ. Die Kernkraft solle langfristig knapp die Hälfte des ungarischen Energiebedarfs decken. Die Beziehungen zu Russland sind prima, das Land sei alle mal ein willkommenerer Geschäftspartner als der IWF. “Die Deutschen und die Russen, beide haben uns einst besetzt, doch jetzt sind beide wichtige Partner für uns.” so Orbán mit einer seiner berüchtigten historischen Anspielungen.

Der Ministerpräsident stellte auch einen Zusammenhang zwischen den geplanten weiteren Energiekostensenkungen für Privatabnehmer und dem am Dienstag in Moskau fixierten AKW-Ausbau her. Kommende Woche wolle die Regierung die dritte Runde der gesetzlichen Preissenkungen (bisher 20%) für Strom, Gas und Fernheizung verkünden. (Mehr zur Energiepreispolitik. Mehr zum "Krieg gegen die Wohnnebenkosten").

Bekommt das Parlament alle Details?

Die von Opposition, Energiexperten und Bürgerrechtsgruppen kritisierten Punkte: fehlende Transparenz bei Verhandlungen und Auftragsvergabe, einseitige Abhängigkeit von Atomkraft auf Kosten alternativer Technologien, zu hoher Kostenaufwand (Steuererhöhungen?), finanzielle und damit politische Erpressbarkeit gegenüber Russland, fehlende Konsultation mit den demokratischen Gremien und der Bevölkerung, wurden von Orbán nicht angesprochen bzw. mit Allgemeinplätzen abgetan.

Orbáns Amtsleiter und Chef der Behörde, die für die Vergabe der EU-Milliarden zuständig ist, János Lázár, bezeichnete die Finanzierung über einen "zwischenstaatlichen Kredit" am Donnerstag als "den besten Deal, den Ungarn seit 40 Jahren" gemacht habe, es sei ein strategischer Meileinstein. Kommenden Mittwoch werde man die Details dem Kabinett vorlegen, anschließend auch dem Parlament. Er ließ offen, ob damit nur der bilaterale Vertrag oder auch alle Durchführungsbestimmungen gemeint sind, also Details zur Umsetzung, Gegenfinanzierung und von der Oppositions befürchtete Seitenabsprachen, die Moskau einen verstärkten Einfluss über das AKW-Projekt hinaus gewähren könnten.

EU geht das alles nichts an

Lázár behauptete weiter, dass die EU mit dem Vergabeverfahren einverstanden sei, man habe Rücksprache mit dem Energiekommissar Oettinger gehalten (DE, CDU). Man beruft sich darauf, dass es sich nicht um einen Geschäftsabschluss, sondern einen bilateralen Vertrag zwischen zwei Staaten handele, zudem nicht um ein neues Projekt, sondern nur den Ausbau eines bestehenden, Brüssel bzw. EU-Regulairen also ohnehin nicht tangiert würden. Wir blicken "jeder Überprüfung mit Gelassenheit entgegen." Die Kommission wiederum ließ gegenteilig mitteilen, dass man das Verfahren erst noch zu prüfen habe und man sich bisher noch keine Meinung dazu bilden konnte, auch weil die Vertragsdetails noch nicht vorliegen.

Herumeiern bei Kreditkosten

Lázár beruhigte hinsichtlich des rund 8 Mrd. EUR schweren russichen Kredits sowie der Eigenmittel von geplanten (!) 2-3 Mrd. EUR (beides zusammen mehr als 10% des BIP) für die beiden neuen Blöcke: die Summe würde sich nicht auf einmal im Staatshaushalt niederschlagen, sondern nur nach und nach abgerufen. Der Kredit von Russland bzw. Rosatom werde  - obwohl vom ungarischen Staat zu verbürgen - ohnehin nicht im Budget verbucht, sondern vermutlich über die Pakser Betreibergesellschaft MVM, womit die Defizitziele für die kommenden Jahre nur eine geringe zusätzliche Belastung (Raten und Zinsen über Kapitalaufstockungen bzw. Kredite oder Garantien an MVM) erfahren sollen. Ob für den Eigenbeitrag Steuern angehoben werden müssen, ließ Lázár offen, die Frage stelle sich heute noch nicht. Außerdem kam außer Russland gar kein anderer Partner in Frage, denn des AKW sei ja von Russen gebaut, andere Anbieter stellten daher ein “Sicherheitsrisiko” dar (in den ursprünglichen Plänen waren französische, deutsche, japanische Kraftwerksbauer als denkbare Interessenten genannt worden.)

Russland macht nichts ohne Gegenleistung

 

Fachleute aus Energie, Finanz und Umwelt kritisieren, dass die Regierung finanziell fahrlässig und politisch naiv an den Deal herangeht, die wahren Kosten (periphäre Infrastrukturmaßnahmen, Sicherungskosten, Zwischenlager, mögliche Garantiegewinnbeteiligungen für den russischen Partner) entweder noch gar nicht kenne, verschweige oder plane, diese über "umgeleitete" EU-Mittel zu finanzieren, was politisch und ökonomisch unredlich wäre. Es kann als ausgeschlossen gelten, dass Moskau einen derart großen Kredit "unter Marktzinssatz" gewährt, ohne sich weiteren Benefiz zu sichern. Beispiele aus anderen Ländern, genannt wurden Weißrussland, Ukraine und die Türkei belegten, dass Russland sich mit Geld tief in Entscheidungsprozesse einkaufe. Schon einmal hatte sich Orbán den Russen als "Drehscheibe für die EU" angedient und wollte für mehrere Milliarden Euro auf ungarische Rechnung in Bahngleise und Logistik investieren, was sich im Anschluss als unsinnig erwies und unterlassen wurde.

Ungarn verpasst Zug in die Energiezukunft

Zudem werfe die einseitige Energiestrategie der Orbán-Regierung Ungarn um etliche Jahre hinter den technologischen Entwicklungen in Europa zurück, was langfristig Arbeitsplätze und ökonomische Perspektiven koste. Umweltschützer betonen zudem die nicht zu garantierende Sicherheit und die maximalen Risiken bei denkbaren Störfällen (mehr zur
Risikolage in Paks und allgemeine Infos zum AKW).

MSZP: Orbán putscht gegen das eigene Volk

Oppositionsführer Attila Mesterházy sprach gestern von einem "Staatsstreich gegen das eigene Volk". In einer Pressekonferenz spielte der MSZP-Chef ein Band ab, in dem Orbán im Jahre 2008 genau diese Worte verwendete, als die Regierung Gyurcsány den Bau der South Stream Pipeline in Zusammenarbeit mit Gasprom beschloss, ein Projekt, das Ungarn nur rund ein Zehntel der Kosten verursacht wie der Paks-Ausbau und von der Orbán-Regierung im übrigen unverändert fortgeführt wurde.

Die grün-liberale LMP spricht von einem fatalen Signal für Umwelt und Erneuerbare Energien und kritisiert vor allem den neuerlich bestätigten Unwillen der Orbán-Regierung, Fragen von solcher Tragweite in einem sozialen und politischen Dialog zu erörtern. Medien schreiben u.a. von der Ironie, dass es Orbán war, der 1989 vehement für den Abzug der Russen aus Ungarn sorgte, um sie sich nun als zukünftig mit Abstand größten Einzelgläubiger wieder ins Land zu holen.

Sämtliche Oppositionsparteien fordern die sofortige, umfassende Offenlegung aller relevanten Dokumente zu dem Deal, in der Frage Ausbau von Paks, Verlängerung der Laufzeiten der Altmeiler etc. ist man indes gespalten. MSZP, E2014 fordern eine Sondersitzung des Parlamentes zum Thema.

red.

Der Pester Lloyd bittet Sie um Unterstützung.