THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 19 - 2014   WIRTSCHAFT 08.05.2014

 

Ungarn in der Chávez-Falle: Planwirtschaftliche Ambitionen und Unberechenbarkeit der Orbánomics unterminieren wirtschaftliche Erholung und Perspektiven

Die statistischen Signale der ungarischen Wirtschaft sind weiterhin zwiespältig. Einer nominellen, vor allem auf niedrigen Basiswerten und der internationalen Konjunktur fußenden Erholung, steht eine unter dem regionalen Schnitt liegende Wachstumsprognose sowie ein instabiles Haushaltsgebahren gegenüber. Die Unberechenbarkeit Orbánscher Plan- vor allem aber Finanzwirtschaft hat hohe Folgekosten, unkalkulierbare Risiken und einen weiteren Kehraus von Fachkräften zur Folge.

Die Quersumme der Einschätzungen von EU, IWF, Weltbank, OECD und ungarischer Regierung liest sich gut, sie ergibt ein für die kommenden drei Jahre anhaltendes Wachstum zwischen 2 und 2,5%, - aber keinen Boom, der jedoch für die Behebung struktureller Mängel nötig wäre. Außerdem wird eine kaum sinkende Staatsschuldenquote (bleibt um die 80%) und extrem knapp an der 3%-Marke kalkulierte Haushalte erwartet, die kaum Spielräume für die bereits ans Limit gesparte Bildung, den vernachlässgiten Sozial- und perspektivisch) Rentenbereich sowie den dringend überholungsbedürftigen Gesundheitssektor offenhalten werden.

Der Ende April an die EU übersandte aktuelle Konvergenzplan erlaubt kaum tiefere Einblicke in die Risikobereiche der ungarischen (Staats-)Wirtschaft, vielmehr gibt man sich - in Budapest und in Brüssel - vorerst damit zufrieden, dass die Hauptindikatoren (BIP-Wachstum, Arbeitslosenrate, Schuldenquote, Inflation) positive Tendenzen gegenüber den letzten vier Jahren aufweisen. Es ist gerade Orbán, der immer wieder betont, man müsse "neue Wege" finden, um die alten Krisen zu überwinden - er selbst ist aber der Erste, wenn es darum geht, steigende Charts und lustige Tortendiagramme für bare Münze zu verkaufen.

Unabhängige Volkswirtschaftler sehen Anzeichen gegeben, die darauf verweisen, dass die 3. Orbán-Regierung glaubt, mit einem einfachen "weiter so" auch die kommenden vier Jahre ökonomisch überstehen zu können. Demgegenüber steht jedoch das Problem, dass die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den regionalen Mitbewerbern (Polen, Tschechien, Slowakei, Rumänien) nachlässt, was sich in niedrigeren Wachstumsraten niederschlägt und die Reserven und Einmaleffekte für die Stopfung der Haushaltslöcher ausgeschöpft sind,
wie wir in diesem Bericht bezüglich des Finanzgebahrens genauer analysierten. Ungarn hat viel höhere Schulden als die genannten Länder, die Löhne hier wachsen langsamer, das soziale Ungleichgewicht ist (bis auf in Rumänien) größer. Offenbar sind  Orbáns "mutige Schritte", bei denen er "immer die Wahrheit gesagt hat" (EVP-Chef Daul), doch nicht so erfolgreich wie die unspektakulären, aber konsequenteren Strategien der anderen Visegrád-Staaten.

Die öffentlichen Investitionen werden - aufgrund der Haushaltslage - nach wie vor
fast zu 90% vom EU-Haushalt getragen, die Inflation wird nach Abklingen der Effekte der gesetzlichen Energiepreissenkungen zurückkehren, der Forint bleibt weiter unter Druck, auch weil die Importe immer deutlicher wachsen als die Exporte (zuletzt 8,8% gegenüber 7,4%), d.h. auch die Schuldensituation der Bürger und damit deren Konsumfreudigkeit verbessert sich kaum nachhaltig, auch wenn uns die Staatsstatistiker mit immer neuen Erfolgsmeldungen eindecken.

Im April meldete der Staatshaushalt ein Defizit von 250 Mrd. Forint, womit man in den ersten vier Monaten des Jahres bereits ein Minus von 951,1 Mrd. Forint (1.031 Minus Defizit, 80 Mrd. Überschuss bei Sozialkassen und außerbudgetären Fonds) bzw. 97% des Jahresdefizitziels "erwirtschaftet" hat. Wie immer beruhigte das Finanzministerium, man werde das alles - wie bisher - bis Jahresende wieder aufholen, doch das Aprildefizit war das höchte, das in Nachwendeungarn jemals gemessen wurde. Der Grund liege, so Finanzminsiter Varga in der vorfristigen Auszahlung der zum 1. Mai (4-Tage-Wochenende) fälligen Löhne und Familienbeihilfen.

Durch den von der Politik forcierten wachsenden Anteil des Staates im Wirtschaftsgefüge dürfte sich die Investitionssituation weiter verschärfen und das Risiko steigender - in Staatsbetrieben zunächst versteckter - Schulden, die anschließend zwingend zu erhöhten Steuern und Abgaben führen müssen, wachsen. Zusätzliche Acquisitionen im Banken- und Energiebereich, weitere Eingriffe in die Marktliberalität kosten Geld und erhöhen das Risiko, das durch die Steuerzahler abgesichert werden muss. Der in Summe 13 Milliarden EUR teure
Atomdeal mit Russland, der zu 80% durch einen russischen Kredit vorfinanziert wird, ist ein zusätzliches Vabanquespiel mit der Zukunft des Landes. Denn weder ist die Gegenfinanzierung, noch die wirtschaftliche Auslastung der neuen Blöcke auch nur annähernd absehbar, von den politischen Abhängigkeiten und den energiestrategischen und ökologischen Folgen ganz abgesehen.

 

Die sprunghafte Entscheidungsmentalität der Jünger der "unorthodoxen" Wirtschaftspolitik (hier das “Programm” für die kommenden vier Jahre”), nennen wir sie Orbánomics, sowie die dazugehörige Klientel- und Selbstbedienungspolitik verringern gleichzeitig das Vertrauen potentieller ausländischer Direktinvestoren, die, bei aller Kritik an den "ausländischen Multis", seit der Wende die einzig stabile Säule für Wachstum und Arbeitsplätze darstellten, während der ungarische Mittelstand - so nicht in den jeweils richtigen Netzwerken verzahnt - traditionell die Melkkuh der Steuereintreiber war und somit zum Schwungrad für den Teufelskreis der Schwarzwirtschaft wurde. Dass der unbeaufsichtigte Liberalismus der Dekade vor und nach dem EU-Beitritt Gewinne und Lasten jeweils einseitig verteilte, kann als unbestritten gelten, doch Orbáns Ausweg weist nicht in eine neue Richtung, sondern in die Sackgasse, aus der man sich Ende der Achtziger zu befreien begann.

Schon heute versucht Orbán durch gesetzlich forcierte Verstaatlichung und Preisdiktate sowie
exzessive Massenbeschäftigungsprogramme unter dem (zudem steuerfinanzierten) Existenzminimum die Differenzen zwischen seinen Versprechungen und den tatsächlichen Zuständen krampfhaft zu kaschieren. Die Folge: da sich die realen Lebensverhältnisse und Perspektiven der Meisten nicht verbessern folgt ein weiterer brain drain aus dem Land, deren qualifizierte Fachkräfte das höchste und fast einzige wirklich hochdotierte Kapital sind bzw. bald waren. In- und ausländische Unternehmer aber müssen in Ungarn heute mit allem rechnen.

Ungarn steckt - so die radikale Einschätzung eines IWF-Analysten - mehr und mehr in der "Chávez-Falle" - nicht nur ökonomisch. Man will eine “Revolution” unbedingt, macht damit aber alles nur schlimmer und isoliert sich zunehmend bzw. setzt auf wackelige Alternativen. - Venezuela aber hat zumindest viel Erdöl...

cs.sz. / ms. / red.

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