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(c) Pester Lloyd / 25 - 2014 WIRTSCHAFT 17.06.2014

 

Sturmreife Banken: Oberstes Gericht in Ungarn weist Weg für Neuregelung von Forex-Krediten

Es ist bereits das dritte "Grundsatzurteil" zum rechtlichen Status der Forex-Kredite in Ungarn. Doch der heutige Richterspruch kann vielen Schuldnern einen günstigeren Weg aus ihrer Misere weisen, wird Banken Milliarden kosten und letztlich den Finanzmarkt des Landes völlig neu ordnen. Nun ist die Politik am Zuge, ein Forex-Zwangsumtausch steht vor der Tür. Doch Freude ist Fehl am Platze: denn Orbán will das Finanzsystem nicht ändern, nur die Kontrolle darüber.

Das Medieninteresse bei der Urteils-Pressekonferenz in Budapest war gewaltig. Doch die Auswirkungen sind es wohl noch mehr, auch wenn sie auf den ersten Blick noch nicht so ins Auge springen wie der herrliche Wandteppich...

In vorherigen Urteilen, sowohl vom Obersten Gericht wie dem Verfassungsgericht als auch dem Europäischen Gerichtshof war der Tenor, dass Verträge grundsätzlich ihre Gültigkeit zu behalten haben, auch wenn einzelne Punkte unrechtmäßig bzw. sittenwidrig sind. Somit kommen weder Politik, noch Banken um Einzelfallprüfungen herum, wobei nun, vor allem druch das heutige Urteil den Gerichten, Mediatoren, Anwälten sowie Banken wie Schuldnern mehr Rechtssicherheit in grundsätzlichen Punkten vorliegt. Zwar verweigerte auch die Kurie der Politik wieder einen Freibrief, ließ aber ausreichend Spielraum für den lange angekündigten großen Wurf.

Forex bleibt Forex, aber Oberstes Gericht versucht nun die "Fairness" von Kreditverträgen zu definieren

Der zentrale Satz im Urteil der Kurie heute lautet, dass "Die einseitige Belastung des Kunden mit dem Währungsrisiko eines Forex-Kredites nicht zu beanstanden ist." Denn dies sei schlicht Merkmal eines Forex-Kredites. Doch die Kurie öffnet dem Gesetzgeber indirekt die Tür für eine Neuregelung von Hunderttausenden Kreditverträgen, denn: jede "einseitige Vertragsänderung, auf die der Kreditnehmer keinen ausreichenden Einfluss nehmen konnte", also z.B. neue Gebühren, Haftungen, Fristen etc. werden als möglicher Auflösungsgrund genannt, wobei auch hier zum Tragen kommt, dass bei einer Ungültigkeit der Klausel bzw. des Vertrages die Banken damit nicht den Kredit einfach fällig stellen und die Kreditnehmer damit über die Klinge springen lassen können (was man nach bisherigen Prozessniederlagen regelmäßig tat), sondern der Vertrag so umzugestalten ist, dass seine Substanz erhalten bleibt.

Es wird ergänzt, dass einseitige Vertragsänderungen dann nicht als "unfair" zu bewerten sind, wenn dem Kunden die Folgen klar und unmissverständlich gewesen seien. Den Nachweis dazu muss im Zweifel jedoch die Bank erbringen. Verträge können ebenfalls hinfällig - also für ungültig erklärt - werden, wenn die Wechselkursrisiken im Kreditvertrag "für einen durchschnittlichen Bankkunden nicht verständlich genug" dargestellt und formuliert wurden. Auch dafür gibt es bereits eine Reihe von Präzedenzen.

 

Mit Skalpell und Keule

Es gibt kaum noch einen Forex-Kreditvertrag, der nicht von Bankseite irgendwann "ergänzt", also letztlich einseitig geändert wurde. Hier werden die Finanzrechtler der Orbán-Regierung ansetzen können, um den angepeilten Zwangsumtausch von Forex- in Forintkredite im Wesentlichen zu Lasten der Banken umzusetzen, ohne dabei die Verträge in Gänze für rechtsungültig erklären zu müssen, was enormen Ärger mit der EU eingebracht hätte. Der Eingriff wird auch so noch kompliziert genug, denn wie immer man es anstellt, ein auf einen Zwangsumtausch herauslaufendes Konstrukt greift auf das Wesen eines Forex-Kredites zu, jedes Gesetz dazu müsste zwangsläufig retroaktiv eingreifen, was gegen rechtsstaatliche Normen verstößt, aber auch die von der EU und der Verfassung garantierten Kapitalfreiheits- und Eigentumsrechte eingreift. Letztlich will die Regierung die Kreditverträge in einem Maße ändern oder neu gestalten, wie die Richter es den Banken gerade untersagt haben, nämlich substantiell. Ein Dilemma, aber nur für den, der die rabiate Art, mit der die Orbán-Regierung rechtsstaatliche Grundsätze beiseite schiebt, noch nicht kennt. Orbán hatte - gegen ein nicht genehmes Urteil tobend - bereits einmal die Stichworte "gesellschaftliches Interesse" und "nationale Sicherheit" angerissen.

Milliarden-Rückforderungen an Banken?
Nur der amtliche Mittelkurs ist rechtens!

Im weiteren bestätigte die Kurie das Urteil eines ordentlichen Gerichtes aus der Vorwoche, wonach die Praxis einiger Banken, die Wechselkurse der Kreditraten bei der Tilgung zum Devisen-Verkaufskurs zu berechnen, während sie bei der Kreditausgabe zum Kaufkurs gutgeschrieben wurden, sittenwidridg und damit nichtig ist. Hier sind sich Opposition und Regierung einmal einig, dass nur der jeweilige amtliche Mittelkurs als Berechnungsgrundlage zu dienen hat, die Kurie bestätigte jetzt diese Ansicht. Allein schon daraus werden vielen Banken Millionenrückzahlungen erwachsen, zusammen mit den zu erwartenden Gesetzesänderungen werden es Millliarden an Euro sein, die das Ende des Ungarn-Engagement von einem halben Dutzend Banken in den kommenden vier bis sechs Jahren bedeuten wird, wie sich Nationalbankchef Matolcsy, Finanzminister Varga und Chef Orbán einig sind. Bankensondersteuer, Kreditausfälle, Forex-Umtausch-Modelle und Konjunkturflaute zermürbten die Institute, der nächste gesetzliche Ausfallschritt macht einige endgültig sturmreif.

Nur nicht zu früh freuen...

Reflexartige aufkommende Freude bei Kapitalismuskritikern und Krisenopfern über die Kante gegen die Finanzwirtschaft sollte man unterdrücken, denn Orbán will keineswegs das System ändern, nur die Kontrolle darüber. Was Orbán mit den Banken vor hat, kann man beispielhaft am atemberaubenden Fall der Genossenschaftsbanken ablesen. Weitere Hintergründe zur Höhe der Forex-Kredite und ihren Ausfallraten hier sowie einige beunruhigende Aspekte zu Orbáns abenteuerlicher Finanzmarktpolitik, die belegen, dass man keine ausländischen Banken braucht, um ein Land zu ruinieren.

cs.sz. red.

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