THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

 

Hauptmenü

 

 

 

 

(c) Pester Lloyd / 30 - 2014 WIRTSCHAFT 24.07.2014

 

Wühlmäuse gegen Heuschrecken: Verteilungskampf um EU-Agrarsubventionen in Ungarn

Orbán will die ganze Ernte einfahren: Die Regierung wird große Teile der EU-Agrarsubventionen umverteilen, unter der Losung einer besseren Förderung von Kleinbauern und arbeitsintensiven Anbauformen - gegenüber großen, technisierten Landwirtschaftsunternehmen. Hinter der zunächst nachvollziehbar klingenden Maßnahme steckt jedoch eine Subventionierung parteinaher "Neubauern". Die "roten" Landbarone laufen nun Sturm und drohen gar mit Hungersnöten.

Goldgräberstimmung und Wertschöpfung der besonderen Art
in der protektionierten Landwirtschaft...

Wie Landwirtschaftsminister Sándor Fazekas und Orbáns Amtsleiter und Minister für Alles, János Lázár, am Montag in Budapest mitteilten, soll in der Budgetperiode 2014-2020 "der gesamte Betrag der EU-Agrasubventionen für Flächen über 1.200 Hektar zurückgehalten" und an "Kleinbauern und Viehzüchter" neu verteilt werden. Ungarn ist unter den Top Ten der Empfängerländer für Agrar-Fördergelder der EU mit rund 1,3 Mrd. EUR im Jahr (mehr als Rumänien, das doppelt so viele Einwohner hat). Mehr als die Hälfte davon fällt auf die genannten "Großbetriebe".

Damit will man, so die offizielle Version, "Familienbetriebe" gezielt fördern sowie den Anbau von heimischen Obst- und Gemüsesorten stärken, der wegen seiner hohen Arbeitsintensität und entsprechend geringeren Effizienz sonst vom Massenanbau von Getreide und Energiepflanzen durch große Agrarunternehmen überdeckt würde. Zusätzlich zu den umgeleiteten Subventionen, will die Regierung weitere Millionen Staatsbeihilfen für Kleinbauernbetriebe locker machen, die sich auch mit der Lebensmittelproduktion und -vermarktung befassen.

Die damit verbundenen Zielvorgaben lesen sich atemberaubend: allein die U-Subventionsumleitungen sollen praktisch aus dem Stand "50.000 bis 70.000 neue Arbeitsplätze schaffen", "mit dem Endziel, die Anzahl der Ungarn, die von der Landwirtschaft leben von derzeit 195.000 auf dann 500.000 bis 600.000 zu erhöhen." Das wäre jeder 5. Arbeitsplatz. Fazekas und Lázár sagten jedoch nicht, wie hoch der Anteil der steufinanzierten Kommunalbeschäftigten unter dem Mindestlohn an dieser Zahl sein wird (bisher arbeiten von den 244.000 Közmunkás ca. 80.000 in der Landwirtschaft)


 

Umgehend meldeten sich die Lobbyisten der Agrarindustrie zu Wort, in deren Vereinigung MOSZ findet man vor allem die großen Player der Branche: Genossenschaften, die sich mit Hilfe einflussreicher Netzwerke aus den dereinst volkseigenen Strukturen bildeten, Großbetriebe mit ausländischem Kapital im Hintergrund, aber auch Unternehmungen einschlägiger Oligarchen. Diese warnen nicht nur davor, dass viele Betriebe durch den Mittelentzug ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ausländischen Anbietern einbüßen würden und so dem Konkurs entgegensteuern könnten, was also zum Verlust, statt zum Gewinn von Arbeitsplätzen führen müsste, sondern drohten Ungarn fast noch eine Hungersnot an.

Es dauerte keinen Tag, da sich die "sozialistische" MSZP vor den Karren des MOSZ spannte und warnte, dass "ungarische Getreide- und Fleischproduzenten so binnen Jahren gänzlich vom heimischen Markt verschwinden würden". Denn da die Kleinbauern die Versorgung der Bevölkerung mit vielen Grundnahrungsmitteln nicht zu vernünftigen Preisen und in ausreichender Menge sicherstellen könnten, würden ausländische Produkte den Markt überschwemmen, zu Preisen, die sich viele Ungarn nicht leisten könnten.

Dass die Subventionspolitik der EU kritik- und reformwürdig ist, wissen alle, sogar bei der EU. Dass Energiekonzerne, Kirchen und dubiose Stiftungen, ja sogar die öffentliche Hand Großempfänger sind, während Kleinbauernbetriebe mitunter von Saison zu Saison ums Überleben kämpfen müssen, ist miserabel. Doch Orbán nutzt - wie er es z.B. auch bei den Banken oder den EU-Strukturfonds tat - vorhandene Missstände, um sich als Robin Hood zu verkaufen, die Probleme aber im Sinne seiner Klientel umzugestalten, anstatt dabei zu helfen, sie - im Sinne des Erfinders - abzustellen.

Orbán ist begeisterter Vertreter eines Neofeudalismus, eines Ständestaates mit einer von ihm geadelten Schicht von Lehnsherren, nennen wir sie, was sie sind: Fidesz-Funktionäre und -günstlinge und ihnen beigeordnete Abhängige, salopp Bürger genannt, als Untertanen zur Verfügung zu stellen. Alles - vom Arbeits- bis zum Steuerrecht hat er darauf ausgerichtet. Dem gegenüber steht in der Landwirtschaft die Gruppe der "Sozialisten", darunter viele alte und fachlich durchaus beschlagene Seilschaften, die sich nach der Wende durch graue Privatisierungen und mit westlichem Kapital ihre Pfründe sicherten und seitdem die Liefer- und Nahrungskette in Ungarn in großen Teilen kontrollierten.

Es ist sicher kein Zufall, dass die Familie Orbán und ihr weitreichender Freundeskreis selbst zu diesen "Neubauern" gehören, die jetzt besonders gefördert werden. Die - offiziellen - Flächen- und Betriebsgrößen stimmen, Gemüse und Obst werden angebaut, Rinder hält man sich auch (bzw. verpachtet die Länder an befreundete Viehzüchter unter) - ist also rundum förderungswürdig. Offiziell sind rund 400ha Staatsland pro Person / Betrieb erlaubt, aber die "Familien" halten eben zusammen, allein Orbáns Amtschef Lázár, also einer der Verkünder des neuen Fördersegens,
"organisierte" den Seinen zuletzt 1.300 Hektar, Orbáns Strohmänner und -frauen (seine Gattin, Familie Flier, Felcsút Bürgermeister Mészáros und dessen Umkreis, hier mehr dazu) wurden - in Summe - binnen zwei Jahren zu den größten Landpächtern in mehreren Bezirken und ganzen zwei Komitaten. Wenn man bedenkt, dass in Ungarn schon jetzt im Schnitt 260.- EUR pro Hektar EU-Gelder fließen, wird das Ausmaß des kommenden Geschäftsmodells erst deutlich.

Der jetzige Subventions-Coup, von dem noch nicht einmal klar ist, ob ihn die EU sich einfach so gefallen lässt, stellt die nächste Etappe in einem ruppig geführten Verteilungskampf dar. Orbán hat mit seiner Partei in den vergangenen vier Jahren konsequent an der neuen "Landnahme" gearbeitet, ein "Bodengesetz" verabschiedet, das - zusammen mit dem praktisch unkontrolliert agierenden "Nationalen Bodenfonds" sicherstellt, dass staatliche Ländereien in die "richtigen" Hände verpachtet und nebenbei Ausländer als Konkurrenz ebenfalls ausgeschaltet werden, notfalls durch Enteignungen, z.B. aus Gründen des "Naturschutzes". Intransparenz und Klientelwirtschaft sowie die legislative Absicherung kennzeichnen auch diesen Fidesz-Raubzug.

 

Eine gezielte Geldflusssteuerung, etikettiert als Hilfsprogramm für Jung- und Kleinbauern sorgt für den entsprechenden Mittelzufluss an die neuen Feldherren, durch die Unterverpachtung an die ehemaligen Pächter entstehen neofeudale Abhängigkeiten, außerdem sind Pachteinnahmen in Ungarn großzügigerweise steuerfrei (!). Das Landwirtschaftsministerium setzt Preiskartelle für bestimmte Produzentengruppen durch - auch gegen das Gesetz und gegen Gerichte. Zu diesem Behufe wurde die Wettbewerbsaufsicht eingeschränkt, auch das ein Verstoß gegen EU-Prinzipien. Die jetzt folgende Maximierung der EU-Subventionserlöse für diese "Kleinbetriebe", ist da nur konsequent, wenn auch in ihrer offensichtlichen Motivation ziemlich dreist.

Wie uns heute das Landwirtschaftsministerium mitteilte, sucht gerade eine "Wühlmausinvasion" ungarische Getreideflächen heim. Nach bisherigen Schätzungen verlieren die Bauern bzw. Agrarbetriebe dadurch Einnahmen von bis zu 80 Mio. EUR, die erwartete Rekordernte von über 5 Mio. Tonnen ist wohl futsch, man werde daher den EU-Hilfsfonds angraben müssen. Schätzungen über die Kosten der seit Jahren anhaltenden politischen Heuschreckenplage liegen im Ministerium allerdings noch keine vor...

red.

Der Pester Lloyd bittet Sie um Unterstützung.

 

 

 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.