THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 13 - 2014   POLITIK 27.03.2014

 

Frühjahrsoffensive im Bodenkampf

Enteignungswelle rollt auf Bauern in Ungarn und ihre ausländischen "Geschäftspartner" zu

Ungarische Landbesitzer und ihre "stillen" Geschäftspartner aus westlichen Landen dürfen sich ab Mai auf eine Flut von Enteignungen einstellen. Allein im Komitat Veszprém sollen im Rahmen des neuen "Bodengesetzes" 4.600 Vereinbarungen und Grundbucheintragungen angefochten werden. Mit der Losung "Bauernland in Ungarnhand" bedienen sich Funktionäre der Regierungspartei mit rechtlich zweifelhaften bis offen dem Raubrittertum entstammenden Methoden an lohnendem Agrarland.

Alles wird gut mit dem neuen Bodengesetz. Regierungssujet.

Während man bisher davon ausging, dass die "Jagd auf Taschenverträge" auf Basis des ab 1. Mai in Kraft tretenden Bodengesetzes nur einige Hundert Güter betreffen würde, sprach der Staatssekretär des Landwirtschaftsministerium, Gyula Budai (zunächst gescheiterter "Regierungskommissar” für die Aufklärung von Vergehen der Vorgängerregierungen", später erfolgreicher Vater des staatlichen "Melonenkartells") gestern von allein 4.600 Vereinbarungen in nur einem Komitat, Veszprém, bei denen "der Verdacht besteht, dass das Eigentumsrecht betrügerisch auf Ausländer übertragen wurde", als ab 1994 der Verkauf von Agrarflächen an Ausländer in der Praxis immer restriktiver gemacht und ab 2004 in einem mit der EU ausgehandelten Moratorium ganz (von einigen Ausnahmen abgesehen) gestoppt wurde.

Derzeit untersuche man auf gleiche Weise Verträge in den Komitaten Zala, Vas und Györ-Moson-Sopron, nicht zufällig jene westlichen Komitate, in denen die meisten österreichischen und anderen ausländischen Verflechtungen vermutet werden, in denen das Land aber auch am fruchtbarsten und wertvollsten ist.

Jeder will ein Stück vom großen Kuchen Apfel. Melonenkomissar und Staatssekretär Budai gräbt nun nach kündbaren Verträgen...

Wie geht es dann weiter? Zunächst wird ein "interministerielles Komitee" die in Frage stehenden Verträge bzw. Grundbucheintragungen tiefer prüfen und dann entscheiden, welche Fälle der Staatsanwaltschaft übergeben werden. Kritiker verspotten diese Runde schon heute als das "Budapester Lehnsamt". An der Staatsanwaltschaft allein liegt es - Dank einer rechtzeitigen Verfahrensänderung - dann festzustellen, ob das Konstrukt als "Taschenvertrag" zu werten sei oder nicht.

Ist dem so und fällt die Vereinbarung vor einen bestimmten Stichtag, kommt der Delinquent mit der "Übergabe des Landes an den Nationalen Bodenfonds" , also der zwangsweisen Verstaatlichung davon. Spätere "Taschenvereinbarungen" werden strafrechtlich verfolgt, es drohen mehrjährige Haftstrafen. Auch dazu gab es erst vor ein paar Monaten eine entsprechende Gesetzesanpassung.

Zunächst sollten Richter aufgrund der Feststellung der Staatsanwaltschaft dazu gezwungen werden, die Änderungen ins Grundbuch eintragen zu lassen, doch die Oberste Richterkammer verbat sich diese Anmaßung der Exekutive. Die Gerichte bleiben dann auch die einzige Möglichkeit für die Eigner, der Entscheidung der "Kommission" etwas entgegen zu setzen. Doch dabei handelt es sich dann bereits um eine Art Berufung, denn das erste Urteil wird ab 1. Mai ohne Gerichte gefällt.

Landraub, statt Landzuteilung - sagt die demokratische Opposition genauso wie die Rechtsextremen. Letztere wollen Ausländern noch nicht einmal den Orbánschen Alibi-Hektar zugestehen und zeihen die Regierung des Landesverrats.

Staatssekretär Budai betonte, dass ja per 1. Mai das Landkaufverbot für EU-Ausländer falle - freilich wird pro Applikant nur 1 Hektar erlaubt - man daher vorher unrechtmäßigen Besitz "bereinigen" müsse. Kritiker sehen das anders. Während der österreichische Bauernbund über die von ihm beherrschte Regierungspartei ÖVP in Brüssel interveniert, weil man das von der EU garantierte Vertrags- und Eigentumsrecht seiner in Ungarn tätigen und investierenden Bauern gefährdet sieht, fürchten andere Betriebe und Bauern, dass sie willkürlichen Aneignungswünschen lokaler Parteigrößen zum Opfer fallen könnten.

Denn bekanntermaßen profitierten in erster Linie Fidesz-Kader und deren Familien und "Bekannte" von den Vergaben des Nationalen Bodenfonds in den vergangenen drei Jahren. Eigentlich sollten "Kleinbauernfamilien" mit Kindern die bevorzugten Nutznießer sein, doch die Statistiken weisen meist Begünstigte aus, die zuvor gar nicht aktiv in der Landwirtschaft tätig waren, während eingesessene Bauern und Betriebe regelreche vertrieben worden sind.

Die prominentesten Fälle finden sich rund um die Premiers-Familie Orbán sowie dessen "Gutsverwalter" Mészáros, Bürgermeister von Orbáns Heimatgemeinde Felcsút, der zum
größten Landbaron der Gegend wurde, aber auch Orbáns Staatssekretär Lázár beglückte familiennahe Unternehmen mit Hunderten Hektar staatlicher Ländereien zu einer eher symbolischen Pacht. Landesweit wurden auf diese Weise Funktionäre oder Assoziierte, je nach Bedeutung bedacht, für die kleinen Parteiarbeiter schuf man das Tabakhandelsmonopol. Die Weiterverpachtung dieser Länder ist in Ungarn übrigens - in Europa fast einmalig - steuerfrei, zudem locken teils üppige Agrarprämien aus EU-Töpfen. Teilweise wurden Flächen auch umgehend nach Erwerb umgewidmet, das skurilste Beispiel ist die Genehmigung für einen Airport unweit der 1.700-Seelengemeinde Felcsút...

 

Staatssekretär Budai, sozusagen der Mann fürs Grobe hinter den Landnahme-Ambitionen seiner Parteifreunde, bedient sich bei der Niederringung und "Rückübertragung" ausländischen Fremdbesitzes auch verschiedentlicher Tricks, z.B. der Umdeklarierung (und nachher wieder Rückdeklarierung) in Naturschutzgebieten oder der Anfechtung von Verträgen zum Wassermanagement, wie im sich lang hinziehenden Fall "Hubertus", der nicht der einzige im Lande ist, bei dem unter der Losung "Bauernland in Ungarnhand" zum großen Halali geblasen wurde, obwohl er mit dem Konstrukt von "Taschenverträgen" nun wirklich nichts zu tun hat.

Die ungarische Regierung hat jedenfalls klar zu verstehen gegeben, dass sie sich weder vom österreichischen Landwirtschaftsminister,
der "Betrüger schützt", noch von der EU aufhalten lassen wird, denn: der Schutz der ungarischen Scholle sei eine Aufgabe von nationaler Tragweite, in die "Bürokraten aus Brüssel" nicht dreinzureden haben. Und, so fügte Landwirtschaftsminister Fazekas süffisant und treffend an, die Österreicher sollen sich mal nicht so anstellen: es sei heute für einen Ausländer in Ungarn nicht schwerer an Land zu kommen als in Niederösterreich, der Steiermark oder Kärnten.

cs.sz.

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