THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 37 - 2014 POLITIK / WIRTSCHAFT 13.09.2014

 

Die Höflichkeit des Paten: Wie Orbán seinen Oligarchen in Ungarn Manieren beibringt

Vor wenigen Tagen entließ bzw. versetzte der Minister für Nationale Entwicklung rund 200 Beamte, darunter vier Dutzend Abteilungsleiter und Sektionschefs aus dem Universalgrund "Vertrauensverlust". Dahinter steckt jedoch nicht eine weitere der vielen Säuberungsaktionen gegen "links-liberale Netzwerke", sondern ein Schachzug im Machtkampf zwischen Orbán und einem "seiner" Oligarchen. Der Krieg scheint beendet, es war ein Lehrstück für alle, die glauben, größer sein zu wollen als der Chef.

“Ungarns Ministerpräsident”: Das Oppositionsblatt “Magyar Narancs” illustrierte die hochfliegenden Ambitionen des Unternehmers Simicska

Das Entwicklungsministerium unter Miklós Seszták ist die Abwickelstelle für die zigtausenden EU-geförderten Projekte, während die eigentliche Vergabestelle, das dem Ministerium nachgeordnete Entwicklungsamt NFÜ, bereits aufgelöst und der Agenda des Kanzleramtsministers Lázár übergeben wurde, der so ein Budget von jährlich rund 5 Milliarden Euro bebrütet, fast 6% der Wirtschaftsleistung des Landes

Minister Szészták, bis vor kurzem noch als Rechtsanwalt tätig und als solcher Drehscheibe mit Off-Shore-Expertise, hatte von Lázár nun die Aufgabe erhalten, die Leute des windigen Oligarchen Lajos Simicska, der bisher unter jeder Regierung oben schwamm, aus dem Ministerium zu werfen, um - im Auftrag Orbáns und dessen naher Umgebung - dessen beängstigend gewordene Machtfülle auf ein angemessenes Maß zurückzuführen.

Bei dem täglichen Hauen und Stechen um öffentliche Aufrtäge kommt es, ebenso wie in Putins Reich mitunter vor, dass einigen der Oligarchen ihre ökonomische Macht zu Kopfe steigt und sie sich Dinge herausnehmen, die nicht vorgesehen sind. Das Auslassen erwünschter "Vermittler" oder die Aneignung von politisch nutzbarer Medienmacht gehören dazu. Kurz: Simicska hatte es übertrieben, der Futterneid anderer Fidesz-Günstlinge und Netzwerke wuchs und parallel Orbáns Bedenken, dass er sich einen womöglich mächtigen, potentiellen Gegner aufbaut, wenn er nicht einschreitet.

 

Etliche Aufträge wurden daraufhin um das Simicska-Netzwerk herumgeleitet, dieses schlug mit Indiskretionen Richtung Brüssel über die Abrechnungsmethoden von EU-Geldflüssen zurück. Daraufhin entließ der Minister so ziemlich jeden, der als Simicska-Mann galt und - ein erster Höhepunkt - sperrte vorige Woche zusätzlich auch die Mittel für die Budapester Ringautobahn M0, natürlich ein Közgép-Auftrag, mit der Begründung, dass das diesjährige Budget für die Baustelle bereits ausgeschöpft sei und sich der Auftragnehmer nicht an den Kostenrahmen gehalten hätte. - So als hätte sich in Ungarn oder sonstwo auf der Welt jemals ein Straßenbauunternehmen an einen offiziellen Kostenrahmen gehalten...

Orbán erreichte sein Ziel, Simicska erkannte recht schnell, dass er zwar jede Menge gegen das Fidesz-Netzwerk in Händen hielt, was ihm vor einem Chodorkowskischen Schicksal bewahrt, er aber um Kompromisse nicht mehr herumkam und eine Geste der Unterordnung im Wolfsrudel angebracht war. Der Deal: Simicska trennt sich von all seinen Medienbeteiligungen und behält dafür das Privileg weiter der Erste am EU-Futtertrog im Baubereich zu bleiben - bei Einhaltung der bewährten Verteilstrukturen (also Zypern, Cayman, Bosnien usw.).

Orbán bekommt somit nun direkten und uneingeschränkten Zugriff auf zuvor nur als regierungsnah geltende Medien und schaltet das Risiko aus, dass ein durchgeknallter Oligarch ihn dort irgendwann in Frage oder gar an den Pranger stellten könnte.

Zum Portfolio gehören die beiden reichweitenstarken Radiosender Lánchíd Rádió und Class FM, die führende "nationalkonservative" Tageszeitung "Magyar Nemzet" und der private TV-Nachrichtensender Hír TV (was auch die kürzliche
Äußerung László L. Simons zur Zukunft des Senders erklären hilft). Als Käufer treten - inoffiziellen, aber verlässlichen Quellen zufolge - Unternehmen aus dem Umfeld des Árpád Habony auf, der "strategsiche Chefberater" Orbáns, der auch als Mastermind der neuen zentralen staatlichen Medien- und PR-Agentur (Nemzeti Kommunikációs Ügynökség) mit einem Jahresbudget von 50 Mrd. Forint gehandelt und womöglich ihr erster Chef wird, sowie: Andy Vajna, jener Hollywood-Produzent und Orbán-Freund, der als Regierungskommissar das ungarische Filmwesen so gründlich demolierte, dass ihm sein Mentor zum Dank eine ganze Reihe lohnender Casino-Lizenzen überließ.

Es geht auch harmonisch: Sándor Csányi (Mitte) bei Orbán in der Fußball-Loge. Der Spaßmacher links im Bild ist übrigens der von Kroatien noch immer wegen Bestechungsvrowürfen bei der INA per internationalem Haftbefehl gesuchte MOL-Chef Hernádi, der sich kürzlich in einen längeren (sehr langen) Urlaub verabschiedete. Heute tauchte in den Medien das Gerücht auf, er könne als Top-Berater Orbáns eine neue Karriere beginnen. Immerhin genösse er dann diplomatische Immunität...

Unabhängige Medien glauben, dass der "Krieg zwischen Orbán und Simicska" nach diesem Angebot, das Letzterer nicht ablehnen konnte, zu Ende sein sollte, mit dem "positiven" Nebeneffekt, dass all jene unter den Großkopferten, die selbst Ambitionen gehabt haben sollten, die über Orbáns Armlänge hinausreichen, ihre Pläne nochmals überdenken. Wir glauben eher, dass es sich nur um eine Feuerpause handelt. Für einen dauerhaften Frieden geht es um zu viel Geld und beide Gestalten sind nicht so gestrickt, dass sie sich mit einem Kompromiss zufrieden geben können.

In diesem Zusammenhang wird OTP-Bankchef Csányi, ebenso wie Simicska ganz an der Spitze der TOP 150 gazdag magyar, Eigner der Lebensmittelholidng Bonafarm (Pick, Herz, Teleki, Túró Rudi usw.) mit 6.000 Mitarbeitern in über 50 Betrieben als nachahmenswertes Beispiel genannt. Dieser lässt sich den Ärger mit der Bankensondersteuer und den gigantischen Verlusten durch den Forex-Zwangsumtausch durch eine "strategische Partnerschaftsvereinbarung" mit der Regierung für seine Agrarbeteiligungen entschädigen - und muckt dafür nicht auf. Nicht zufällig wird, laut Lázár, "die Lebenmisttelbranche zu den Gewinnern der EU-Budgetperiode" gehören und auch bei den Entschädigungen im Zuge der Russland-Sanktionen darf Csányi mit dem kurzen Dienstweg rechnen.

Csányi hat Sinn für das Praktische, ein Stück Land ist perspektivisch sicherer als Derivate - wer wüsste das besser als er - und: er kennt seine Grenzen. Gibt es doch einmal Probleme, bespricht Csányi, der - zufällig auch Präsident des Nationalen Fußballverbandes ist - diese diskret in der VIP-Lounge von Orbáns Privatstadion in Felcsút. Er hält sich an die Regeln und die Formen. Auch Simicska bekam diese nun beigebracht - im Rahmen der sonstigen Gepflogenheiten im Milieu, auf eine noch sehr höfliche Weise...

cs.sz., m.s. / red.

Hintergrund: Die Fidesz-Wertschöpfungskette

Ähnlich wie Putin baut auch Orbán den Anteil der staatlich - resp. parteilich - gelenkten Wirtschaft konsequent aus, wovon nicht nur strategisch bedeutsame Sektoren wie die Finanz- oder Energiewirtschaft betroffen sind, sondern all jene Bereiche, in denen sich öffentliche, meist mit EU-Mitteln dotierte Aufträge abschöpfen oder Zugang zu Alltagsbedrüfnissen des Volkes herstellen lassen.

Während in Russland mehr als die Hälfte des BIP durch vom Kreml kontrollierte Unternehmen erwirtschaftet wird, beträgt der Anteil in Ungarn derzeit geschätzt 35%, vor vier Jahren waren es gerade 20%. Es bleibt also noch jede Menge Spielraum.

Die in Sachen Schattenwirtschaft - natürlich!!! - gänzlich unbeleckte MSZP machte die “Mafia-Regierung” zum Wahlkampfthema. Mit Anspielung auf die Regierungskampagne “Ungarn macht´s besser” heißt es: “Sie leben schon besser. Und Sie?” - Der MSZP hat die Kampagne nichts genutzt, der Mafia nicht geschadet...

Ganz oben in dieser Pyramide stehen der Energierise MVM (Strom, Gas, AKW Paks), dem u.a. die überteuert mit Steuergeldern erworbenen E.ON- und RWE-Gastöchter, aber auch die MOL-Gaslager zugeordnet wurden, vor allem aber die Entwicklungsbank MFB mit ihren etlichen Beteiligungen. Eine Spezialität stellt dabei die Takarékbank dar, die sich - mit gesetzlicher Unterstützung - zunächst fast alle Spargenossenschaften einverleibte, dann zwangsverstaatlicht und dann wiederprivatisiert wurde, zu "treuen Händen", versteht sich. Der MKB, die man kürzlich von der Bayern LB übernahm, dürfte es ähnlich ergehen.

Darunter und drumherum spinnt sich ein Netz halbstaatlicher und privater Unternehmen, die, wie auch die Baufirma und Allerweltsholding Közgép von Simicska, die meisten öffentlichen Projekte abgreifen, meist durch fluide Konsortien aus extra zum Zwecke der jeweiligen Ausschreibung gegründeten Unternehmen, manchmal auch in ein paar Feigenblatt-Konsortien mit "sauberen Firmen", meist aber mit "Vermittlern" und "Dienstleistern", die hinterher wieder in der Versenkung verschwinden, mit ihnen viel Geld.
Hier ein Beispiel, in dem auch jener Herr Szeszták wieder auftaucht, der jetzt als Minister für “mehr Transparenz” sorgt.

 

Die Dimensionen reichen von der Plünderung der strategischen Gasreserven des Landes (Ungarns Speicher sind ausgerechnet jetzt nur zur Hälfte gefüllt, massenweise wurde billig aus Österreich importiertes Erdgas über Off-Shore-Gesellschaften weiterverscherbelt), über die zahllosen EU-finanzierten Bau- und Renovierungsaufträge von Gebäuden bis Hochwasserschutzdämmen und gehen bis hinunter zur "Agrarförderung" und den Einzelhandel, ob über das neue Bodengesetz mit seinen "Vergabereichtlinien", die mit Fidesz-Leuten bestückte Supermarkt-Kette CBA, die Lizenzen für Tabakgeschäfte oder demnächst die Schnapsläden, spinnt sich da ein immer engmaschigeres Netz gegenseitiger Begünstigungen und Abhängigkeiten, über die Orbán sowohl monetär wie politisch die "Eliten" des Lands steuern und gegeneinander ausspielen kann und von denen er zumindest politische Loyalität fordert.

Immerhin lässt ER die dieserart befreundeten Unternehmen nicht nur viel, viel Geld "verdienen" und - über die staatliche Mitwirkung - denkbare Verluste steuerlich absichern, sondern nimmt sie auch aus der judikativen Schussbahn, in dem er das "System" legislativ auch gegen jede spätere Verfolgung absicherte.

red.

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