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(c) Pester Lloyd / 13 - 2015   WIRTSCHAFT    24.03.2015

 

Ausgeliefert: Ungarn als Gashub und Hilfspolizist für Russland in der EU

Für Premier Orbán sei es ein Erfolg des EU-Energiegipfels am vergangenen Freitag, dass den Mitgliedsländern die Bestimmung ihres Energiemixes vorbehalten bleibe. In Orbáns Übersetzung: er kann machen was er will. Moskau bietet ihm umgehend ein weiteres "lukratives Geschäft" an, das  Auswirkungen auf Ungarn, die Ukraine und ganz Osteuropa haben kann.

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Orbán am vergangenen Freitag nach dem EU-Energiegipfel in Brüssel.


Jedes Land könne selbst bestimmen, wie viel Energie man aus welchen Ressourcen gewinne und / oder von wem es Energie beziehe. Das sei, so Orbán, ein wichtiger Aspekt für die Versorgungssicherheit und damit die "nationale Souveräntität". Wenn Orbán "Ungarn" sagt, meint er freilich sich, seine Partei und seine Kreise.
Hier mehr zu Orbáns Ausführungen (Amt des Minsiterpräsidenten, engl.)

 

Diese Auslegung des Abkommens (hier ein Überblick) ist, vorsichtig gesagt, eigenwillig. Denn die EU hatte damit eher im Sinn, für eine Diversifizierung der Energiewege und -quellen zu sorgen, die Märkte weiter zu liberalisieren und damit mehr Wettbewerb zu ermöglich und - vor allem - Erneuerbare Energien zu befördern. Dass auch die Atomlobby durch die Beibehaltung der Entscheidungssouveränität auf ihre Kosten kommt, ist eine implizierte Tatsache und eine weitere traurige Leistung der EVP.

Orbán hingegen sieht in dem Energiepakt jedoch die politische Legitimation gegeben, seine bald totale Abhängigkeit von russischer Energie (
AKW Paks Ausbau und Erdgas) umzusetzen. Russland bedankte sich bereits am Montag bei seinem "treuesten Verbündeten in der EU" (Komsomlskaya Prawda). Der russische Botschafter kündigte nämlich an, dass Ungarn hinfort als "regionales Zentrum für die Gaslieferungen" dienen könne, wobei "dienen" das richtige Wort sein dürfte.

Botschafter Sergejew nannte Ungarn deshalb "interessant", das es Lagerkapazitäten von über 6 Mrd. Kubikmeter (ungefähr der Jahresbedarf des Landes) habe und damit die "Nr. 5 in Europa" sei. "Russland könnte diese Kapazitäten mit eigenem Gas auffüllen" (also noch vor dem Verkauf), was "politische Zusammenarbeit zwischen Russland und Ungarn" voraussetzt (lies: Gefügigkeit).

Dieser geplante ungarische Gashub in russischer Hand soll dann hinfort auch als Verteilstation für die "Türkei Stream", die Alternative zur abgesagten South Stream durch die Türkei, Serbien, Mazedonien, Griechenland und Ungarn, fungieren, wobei es Russland eben wichtig ist, möglichst die gesamte Wertschöpfungskettte bis zum Endkunden in Händen zu halten. Orbán argumentiert immer wieder mit dem Preis, der ausschlaggebend sei. Dumm nur, wenn die erzielten Vorteile nicht bei den Kunden und Bürgern landen, sondern bei Günstlingen und in off-shore-Strukturen, die als Sparbüchsen der Nomenklatura gelten dürfen.

Botschafter Sergejew spielte die Rolle des russischen Staatskonzerns Nr. 1 nicht ohne Grund herunter und sagte: Wenn sie (Gazprom) Interesse haben, könnten sie in Gaslagerstätten in Ungarn investieren, müssten aber keine führende Rolle dabei spielen. Ein "sowjetischer" Hinweis darauf, dass der Gashub ein "joint venture" werden dürfte, die
MET liefert dafür bereits schon das Muster "zum gegenseitigen Vorteil", was auch die Willigkeit Orbáns gegenüber den Russen erklärt. Gazprom kaufte auch bereits ein Erdgaslager für rund 500 Mio. Kubikmeter in Ungarn.

In diesem Zusammenhang dürfte es interessant werden, wie sich die ungarischen
Gaslieferungen (überwiegend mit reexportiertem Gazprom-Gas) in die Ukraine entwickeln werden. Das Land hatte angekündigt, "ab sofort" nicht mehr in Russland einkaufen zu müssen und zu wollen, weil man genügend alternative Lieferrouten über den Westen gefunden habe. Zusammengefasst: es ist praktisch dasselbe Gas, nur haftet der Westen nun für Zahlungsausfälle bzw. finanziert sie über "Ukraine-Hilfe" genannte Steuergelder.

 

Ungarn ist einer der Hauptlieferanten und hatte schon einmal im letzten Herbst - auf Geheiß Moskaus - die Lieferungen eingestellt. Sollte Russland nun einen Großteil der ungarischen Lagerkapazitäten selbst bespielen, hat es noch überzeugendere Argumente gegenüber Budapest und muss bei einem erneuten Lieferstopp selbst nicht als böser Bube dastehen. Weigert sich Orbán, weil er z.B. Angst um EU-Gelder hat, gibt es eine ganze Kette von Druckmitteln: der Paks Kredit (10 Mrd. EUR), die Erdgasversorgung, die - bereits verhandelte - Lockerung bzw. Umgehung des russischen Lebensmittelembargos - und, nicht zuletzt, die in Moskau lagernden Stasiakten, mit den Namen auch aller inoffiziellen Spitzel aus der Vorwendezeit, bei denen unter "O" einige Eintragungen vorliegen sollen, die der Premier lieber hinter den Kremlmauern wissen möchte.

Dieser Ansatz der Druckübertragung auf Hilfskräfte muss aber nicht auf die Ukraine beschränkt bleiben. Durch die Nord-Süd-Interkonnektoren vom Schwarzen Meer bis zur Ostsee, könnte Ungarn bald als russischer Hilfspolizist für ganz Osteuropa auftreten und mit Gashähnen Politik machen. Man denke da nur an die widerspenstigen Polen, die von Orbáns "traditioneller Freundschaft" im Moment nicht so viel halten. Die Vorstellung, nicht nur national, sondern regional Macht ausüben zu können, kann einen Charakter vom Schlage Orbáns in eine unkontrollierbare Euphorie versetzen. Ungarn sollte gewarnt sein.

red. / cs.sz.

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