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(c) Pester Lloyd / 21 - 2015   FEUILLETON    18.05.2015

 

Zwei Sultane, ein Tempel:
Bekommt Budapest bald eine Großmoschee?

"Wir brauchen keine Einwanderer" klingt es von den Minaretten des politischen Ungarns so regelmäßig wie das Amen in der Kirche oder das "Allah ist groß!" vom Muezzin. Womöglich entsteht in Budapest bald eine aus der Türkei finanzierte riesige Moschee mit Gemeindezentrum. Wie geht das zusammen? Bestätigt ist das Projekt nicht, es würde aber perfekt in Orbáns Ungarn passen.

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Im Internet kursiert derzeit ein Video (siehe unsere Einbettung) unter dem Titel: "Macaristan Budapeste Camii ve Külliyesi" (Ungarn Budapest, Moschée und Zentrum), dessen Urheber das türkische Ministerium für Religionsangelegenheiten sein soll. Der Link kam über die Facebook-Präsenz von
www.iszlam.com, einem Portal für die kleine islamischen Gemeinde in Ungarn (es gibt rund 20.000 Muslime in Ungarn, offiziell organisiert nur 5.000, zwei aktive Moscheen, eine davon im 11. Bezirk).

Das viereinhalb minütige Video zeigt die Virtualisierung eines rieisgen palastartigen Komplexes, mit Gartenanlagen, großzügigen Arkaden. mehreren Gebäuden, dominiert von einem gigantischen Gebetshaus. Das Video ist ohne weitere Erläuterungen, nur mit Musik unterspielt, die Dimensionen erinnern eher an osmanische Prachtanlagen aus der Blütezeit des Imperiums. Die Moschee selbst hat frappante Ähnlichkeiten mit der berühmten "Blaue Moschee" in Istanbul.

 



Bestätigt ist von dem Projekt offiziell nichts, Anfragen an das türkische Religionsministerium seitens ungarischer Medien blieben zunächst unbeantwortet. Aber es gibt Indizien: der Bürgermeister des 10. Bezirks, Köbánya, bestätigte, dass die türkische Botschaft im Auftrag des Staates ein Gelände in seinem Bezirk angefragt habe, das aber im Besitz der Stadt Budapest sei. Das Amt des OB äußerte sich noch nicht dazu. Die islamische Gemeinde, die das Projekt ja eigentlich angehen sollte, weiß von gar nichts. Angeblich handelt es sich um ein Grundstück, zwei Gehminuten vom Örs vezér tér, der eigentlich als möglicher Standort für das Olympische Dorf für Olympia 2024 reserviert sei, wo jetzt “der größte muslimische Standort Mitteleuropas” entstehen könnte, “warnt” die Webseite einer evangelikalen Freikirche (Hit, deren Chef der “sozialliberalen” DK von Gyurcsány nahe steht, klingt wirr, ist aber so). Die will auch herausgefunden haben, dass Ähnliches auch für Debrecen geplant sein soll. Kurz: Nichts Genaues weiß man nicht...

Tagtäglich klingen die Worte Orbáns und seiner Genossen von der "Kulturfremdheit" von Einwanderern in den Ohren, die das Ungarntum bedrohten, vor allem die Flüchtlinge aus islamischen Ländern seien für das Anwachsen der Terrorgefahr in Europa veranwortlich, begründen die ungarischen Offiziellen ihre Forderung nach einem "totalen Einwanderungsstopp in ganz Europa.", einschließlich Sofortabschiebung, Internierung, Zwangsarbeit.

 

Auf der anderen Seite ist man stets sehr "weltoffen" gewesen, wenn es um die Aufnahme nutzbringender Beziehungen zu "neuen strategischen Partnern" als Gegengewicht zur EU ging, die vielleicht einmal in Ungarn investieren oder Kredite bereitstellen oder zumindest sich als Export- und Investitionsmarkt öffnen könnten. China, Russland, Saudi-Arabien, Iran, Türkei, Aserbaidshan und ähnliche Vorzeigedemokratien seien hier in erster Linie genannt.

Das offizielle Ungarn stellte sich offen an die Seite Ankaras als es blutig die Bürgerproteste in Istanbul niederschlagen ließ, verkauft Schengen-Visa an Chinesen und andere Interessenten, biegt das Arbeitsrechta auf ostasiatische Standards herunter, buhlt um Aufträge mit dem fundamentalistischen System der Saudis und liefert sich mindestens die nächsten 30 Jahre Russland aus (Atomdeal mit Milliardenkredit u.a.). Ungarns Außenminister reist am Montag in den Iran. Mit der Türkei vereinbarte man die gemeinsame Restaurierung von türkischen Wallfahrtsorten in Ungarn und wird bald Partner bei der neuen russischen Pipeline als Ersatz für die South Stream sein.

Die Umsetzung einer solchen Großmoschee in dieser gänzlich schizophrenen Atmosphäre wäre interessant zu beobachten, vor allem auch im Hinblick auf den kommunikationstechnischen Spagat, den die Regierungsmannschaft hier hinlegen müsste. Allein das Gesicht unseres Ministerpfarrers Balog bei der offiziellen Einweihung! Aufgabenstellung: Wie kann "jeder Muslim" eine Gefahr für Ungarn sein, die türkische Großinvestition in ein Glaubenszentrum aber eine Tat der Völkerfreundschaft?! Vorschläge bitte...

Eine Großmoschee als gemeinsames Statement einer neuen Allianz zweier Despoten wäre letztlich nicht exotischer und deplatzierter als das emblematische
Felcsúter Fußballstadion und die vielen anderen "überdachten Sportstätten" der Günstlinge, der "Budapester Kreml" oder die "Kulturhauptstadt Hungária". Im Gegenteil: der Islam hat in Ungarn eine gewisse Tradition, den Osmanen hat das Land einige zivilisatorische Errungenschaften zu verdanken und einen Opferkomplex, von dem dem man seit Jahrhunderten zehrt, ja auf dem die gesamte Idee einer ungarischen Nation eigentlich fußt. Dem Fußball kann man das nicht ganz so zusprechen. Es ist kein Zufall, dass das ungarische Wort für Universität dem türkischen für Bildung (eğitim = egyetem) entspricht und auch kein Zufall, dass das kein Ungar weiß und die Universitäten heute genauso feindlich behandelt wie Flüchtlinge aus islamischen Staaten.

Nicht zuletzt ist der türkische "Staatsislam" bei weitem moderater als das, was uns die Katholiban von der KDNP oder die Hexenjäger des ungarischen Kalvinismus zu bieten haben. Die Türken könnten hier also durchaus mäßigend auf die "Macarlar" einwirken. In anderen Fragen, u.a. Kurden / Roma, “Gewaltenteilung”, Wir sind die größten etc. sind die Kleptokraten von der Donau und vom Bosporus sich ohnehin schon sehr ähnlich.

 

Dabei wäre eine solche Moschee aus türkischen Steuergeldern für den ungarischen Steuerzahler günstiger als die Hobbys der eigenen Großmuftis und Puszta-Sultane. Und beim Bau würden sicher einige Aufträge für die einschlägigen Familien abfallen. Aber wer weiß, vielleicht ergibt sich ja aus einem denkbaren Widerstand gegen das Projekt eine völlig neue Koalition türkischen und ungarischen Bürgergeistes, der endlich aufdeckt, was sich allmählich herumgesprochen haben sollte: die Fronten verlaufen nicht zwischen Nationen oder Religionen, nicht zwischen Sprachen und Hautfarben, die Fronten verlaufen zwischen "Oben" und "Unten", zwischen Macht und Beherrschten, Arm und Reich...

red.

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