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(c) Pester Lloyd / 23 - 2015   POLITIK    03.06.2015

 

"Kein Zurück": Orbán verschärft Hetzkampagne gegen Flüchtlinge in Ungarn Bericht & Kommentar

Die "Nationale Konsultation", die auf perfide Weise Flüchtlinge zu Schmarotzern und potentiellen Terroristen deutet, ist ein Publikums-Flop und soll daher online erweitert werden. Die Regierung plant dazu eine Anzeigen- und Plakatkampagne, deren Umsetzung die Frage aufwirft: Müssen, ja sollen an Ungarns Grenzen erst Menschen sterben? Orbán zieht die Sache mit den Sündenböcken durch, mit unabsehbaren Risiken. Auch die Adenauer-Stiftung bietet ihm für seine völkischen Hassbotschaften eine Bühne.

Die Ausdehnung der Briefbefragung auf das Internet verkündete Regierungssprecher Zoltán Kovács am Dienstag. Ab sofort können Bürger die Fragebögen über ein Online-Formular unter
http://nemzetikonzultacio.kormany.hu/ ausfüllen. Der Grund dafür ist simpel: nicht einmal die Fidesz-Kernanhängerschaft scheint mehr willens, sich als Statist für diese scheindemokratische Schmierenkomödie herzugeben. Von 8 Millionen ausgesandten Fragebögen samt mit Portraitfoto behübschten Anschreiben des Premiers, kamen bis dato - so Kovács, 200.000 zurück.

 

Das sind rund 2,5%, eine Zahl die sich nicht überprüfen lässt und - wenn man an die Manipulationen aus früheren Kampagnen denkt, auch noch niedriger sein könnte. Selbst wenn sie stimmt, ist das eine krachende Niederlage für Orbán. Zudem hüllt sich Kovács auch in Schweigen über die Art der Antworten. Was im Internet in Form von Scans kursiert, ist meist nicht jugendfrei und wird den Auswertern einige Kurzweil verschaffen, ihnen aber kaum verwertbares Material liefern.

Dass die Online-Befragung viel mehr verifizierbare Antworten einbringt, darf bezweifelt werden, denn hier wird die durch die Couverts angeblich gewahrte Anonymität gänzlich aufgehoben. Nachdem man seinen Nach- und Christennamen angegeben hat und per Häckchen versichert, dass man ungarischer Staatsbürger ist (womit also auch wieder 750.000 mit ungarischen Pässen ausgestattete Bewohner der Nachbarländer über Belange der Bewohner Ungarns befinden dürfen, hier legal lebende Ausländer aber nicht), muss man auch seine volle Adresse angeben. Hier können sowohl die Befragten wie die Befrager fröhlich fälschen.

Um das Ziel der umfassenden Verhetzung der Bevölkerung zu Lasten von Schwächeren auch sicher zu erreichen, wird die Regierung die um zwei Monate verlängerte Befragung mit einer 2 Milliarden Forint, rund 6 Mio. EUR teuren Werbekampagne, also mit Plakaten und Anzeigen begleiten.

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Den Kollegen von index.hu gelang es bereits, einen Entwurf aus einer mit der Herstellung von drei Dutzend Großaufstellern betrauten Druckerei zu bekommen. Der Text: "Wenn Du nach Ungarn kommst, darfst Du keine ungarischen Jobs wegnehmen!" (siehe Abb. www.index.hu). Weitere Sujets, Originale und und originelle Fälschungen am Ende des Beitrages.

Wie tief kann man eigentlich noch sinken? Mal abgesehen davon, dass die Ansprache an die Flüchtlinge auf Ungarisch gehalten ist, also kein Einziger von ihnen sie verstehen wird und von 42.000 Flüchtlingen im Vorjahr überhaupt nur 500 einen Aufenthaltsstatus in Ungarn erhielten, dürfen Asylbewerber gar nicht arbeiten, es sei denn bald unter Zwang, um "die Kosten ihres Verfahrens hereinzuholen".

Die Plakatkampagnen sollen auf die Grenzregionen im Süden des Landes konzentriert werden, dort wo man am vergangenen Wochenende insgesamt 1.400 Flüchtlinge, die ohne behördliche Genehmigung ins Land einreisten, verhaftet hat. Was will man damit erreichen? Mit Schrecken sollte man sich in Ungarn erinnern, was 2008/2009 in den Orten geschah, in denen die "Ungarische Garde" marschierte und "Zigeunerkriminalität" kampagnisierte. 6 Tote, mehrere Verletzte waren die Folge. Die Regierungskampagne ist nichts anderes als solch ein Aufmarsch, nur mit Pappe statt Stiefeln. Müssen, ja vielleicht sollen an Ungarns Grenzen erst Menschen sterben? Aus Kalkül? Oder politischer Rücksichtslosigkeit? Aus Machtgier?

Sündenbockkampagnen, Hetztiraden, Stellvertreterkriege, menschenverachtende Hetze - und Gesetze. Orbán glaubt offenbar wirklich, dass sich diese alte Taktik wieder bewähren wird, die richtige Stimmungslage hochköchelt, auf der er sich dann als starker Mann, als Retter Ungarns präsentieren und von seinen Zerstörungs- und Raubzügen an Demokratie und Volksvermögen ablenken und den politisch fast deckungsgleichen Konkurrenten von Jobbik die Wähler abwerben kann.

Erst am gestrigen Dienstag belehrte Orbán in kleiner Runde wieder Europa über die Folgen ihrer "liberalen" Politik. Die Einwanderung werde "irreparable Schäden" an den Volkskörpern anrichten, sagte er bei einer von der Budapester Konrad-Adenauer Stiftung gemeinsam mit dem "Institut des XX. Jahrhunderts" der amtlich subventionierten Geschichtsrevisionistin Mária Schmidt organisierten Feierstunde anlässlich des 85. Geburtstages des deutschen Ex-Kanzlers Helmut Kohl (der Jubilar
liegt leider auf der Intensivstation). Von einem multikulturellen Europa gebe es "kein Zurück", "weder zu einem christlichen Europa, noch zu einer Welt nationaler Kulturen." (Wir wissen nicht, in welcher Welt Orbán wirklich lebt, eine Reise durch Europas Geschichte und Gegenwart wäre jedoch dringend empfohlen.)

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Nebenbei gab er bei der Veranstaltung (siehe Foto) auch zu, dass seine Todesstrafen-Debatte nichts weiter als ein Gummiknochen für die Gemüter der Europäer gewesen sei. Natürlich. Probleme, wie jene der 600.000 ungarischen Auswanderer löst er mit diesen populistischen Tiraden keine, isoliert sich und Ungarn aber immer mehr. Diese Opfer-Fremdschuld-Duldungsstarre ist nicht ungewollt, es ist Ungarns Lebenslied.

Kurz zuvor behauptete Orbán tatsächlich, dass "Ungarn nie multikulturell war". Darüber sollten die Millionen "Németh", "Tóth", "Horváth" einmal nachdenken, die ihn wählen. Hunderttausend Juden und 700.000 Roma sind wahrscheinlich nur eine Fiktion, 13 anerkannte Volksgruppen nur ein Zugeständnis an europäisches Gutmenschentum? Flüchtlinge, bzw. "Wohlfahrt empfangende Einwanderer" seien meistens organisierte Kriminelle, ihre Kulturfremdheit bedroht das Ungarntum, sie erhöhen die Terrorgefahr. Weder Ungarn, noch Europa brauchten überhaupt irgendwelche Einwanderung. Die Jobs, die heute die Einwanderer machen, könnten ja die Zigeuner Europas (auch die ungarischen) erledigen. Das sind alles Orbán-Zitate...

 

Orbáns Metamorphose vom Liberalkonservativen, über einen populistischen Taktiker hin zu einem offenen Rassisten, Hetzredner und Kleptokraten ist fast abgeschlossen. Aus der Politraupe ist kein Schmetterling geworden, sondern eine Vampirfledermaus. Die EVP hält ihn, CDU/CSU-Politiker verteidigen ihn immer wieder und die Budapester Abteilung der Konrad-Adenauer-Stiftung, voran ihr Leiter Frank Spengler, hofiert ihn geradezu - und entfernt sich damit selbst von den Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, der nicht nur diese aus deutschen Steuergeldern finanzierte Organisation - verdammt nochmal - verpflichtet ist. Die EVP und ihre Organisationen machen sich zum Mittäter beim von Orbán und Co. begangenen Abbau der europäischen Grundwerte, jener Werte also, die auch Erbe ihres gerade gestern gefeierten Idols, des Altkanzlers sind.

Die Antwort auf Orbán kann aber nur die klare Abgrenzung und ein klarer, nicht verhandelbarer europäischer Sanktionsmechanismus zum Schutz der Grundrechte und Demokratie sein. Alles andere läuft auf die wissentliche Zerstörung des Projektes EU hinaus.

Für Orbán, das Paradebeispiel eines Europafeindes, gibt es jedoch "kein Zurück", zumindest nicht in ein rechtschaffendes, demokratisches Leben, - aus politischen, strafrechtlichen und - oft übersehen - psychologischen Gründen. Für Menschen wie ihn kann es wahrscheinlich letztlich nur den Untergang geben. Doch leider besitzen solche Charaktere das destruktive Talent, ganze Länder und Kulturen dabei mit sich zu reißen, wenn sich die Menschen ihrer und der von ihnen geschaffenen Systeme nicht zum richtigen Zeitpunkt bewusst werden und entledigen.

Original oder Fälschung? Nicht leicht, das auseinander zu halten. Raten Sie mit!

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1) “Wir hassen alle!”
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2) “Habe ich nicht gesagt, dass du nicht reinkommst, nicht herkommen sollst, hm?”
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3) Wenn Du nach Ungarn kommst und hier bleibst: bist Du in die Falle getappt!
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4) Wenn Du nach Ungarn kommst, nimm den Ungarn nicht die Arbeit weg!
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5) Komme ruhig nach Ungarn. Wir arbeiten schon in London!
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6) Wenn Du nach England kommst, nimm den Ungarn nicht die Arbeit weg!
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Schäm Dich, dass Du immer noch Ausländern Arbeit gibst! (Plakat der faschistischen Pfeilkreuzler aus den 40er Jahren)

 

red. / ms.


red.

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