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(c) Pester Lloyd / 23 - 2015   POLITIK    01.06.2015

 

Nationale Saubermänner: Ungarische Faschisten erklären sich für regierungsfähig

Der Partei ein bürgerliches Image aufzudrücken fällt Jobbik-Chef Vona schwer. Doch angesichts der armseligen Fidesz-Performance ist das bald gar nicht mehr nötig. Denn Orbáns Doppelstrategie, die Politikfelder der Rechtsextremen zu besetzen, sie verbal aber zu bekämpfen, um sie so als Protestpotential jenseits der Linken attraktiv zu machen ohne sie zu groß werden zu lassen, ging gründlich in die Hose. Nun ist Orbán der Gejagte.

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Gábor Vona auf dem Jobbik-Parteitag am Wochenende

"Wir sind bereit zu regieren", das war die Hauptaussage eines selbstbewußt tönenden Gábor Vona, Parteivorsitzender der Jobbik auf seinem Parteikonkgress am vergangenen Wochenende. Das Selbstbewußtsein ist angesichts der Umfrageergebnisse, die seine Partei derzeit bei 25-30% sehen, berechtigt.

Im Kontrast dazu steht die lächerliche Performance: Wie der kleine Führer da auf der operettig beflaggten Bühne versucht, einen möglichst bürgerlich-seriös wirkenden Auftritt hinzubekommen, was für diesen eher dumpfen Charakter keine leichte Übung ist und daher in starrer Verkrampfung mündet, macht die Veranstaltung zur Karikatur ihrerselbst. Doch hier werden keine Witze gerissen, sondern Pläne geschmiedet, bedrohliche Pläne.

 

Stolz erwähnte Vona Orbáns "Eingeständnis" vom Freitag. Dieser hätte in seiner Rede zur "Lage der Nation" zugegeben müssen, dass Jobbik der größte Herausfoderer für seine Macht sei. Das hat er nun davon. Orbáns Ziel war es stets, die Mitte zu definieren und das Oppositions- und Protestpotential möglichst gleichmäßig auf "links" und "rechts" davon zu verteilen. Teile und herrsche! Es ist Kalkül. Dazu gehört auch, dass man sich einmal verrechnet und, wenn man selbst zu rechts wird, zum Verwechseln ähnlich wird.

2018, das ist für Vona klar: "Werden wir gewinnen, einen tiefen Atemzug nehmen und dann unser Land umbauen. - Wir sind bereit zu regieren!" Dabei müsse den Parteimitgliedern die Ausrichtung als "Volkspartei" klar sein, denn "dort auf dem Schlachtfeld wird keine Zeit für taktische Beratungen sein". Will Vona Wahlen gewinnen oder einen Bürgerkrieg anzetteln? Die Linke solle man nicht unterschätzen, aber eigentlich sei sie chancenlos, so "ohne Programm und ohne jede Einigkeit". Da hat er Recht.

Die Kraft des 21. Jahrhunderts

Ein "starkes Programm" und "ruhige Kraft" sei nötig, um das Ziel zu erreichen. Orbán werde nervös, er selbst habe erkannt, dass "ein Politikwechsel nötig ist" "sogar er spricht schon von menschen-naher Politik" (Vona meint
Flüchtlingspolitik und -hetze, Law and Order-Sprüche zur Todesstrafe, Orwellsche Auswüchse der "Arbeitsgesellschaft", Überleben des Ungarntums, Rassismus gegen Landsleute etc.).

Vona wiederholte seinen Parteimythos: Fidesz und die linken Parteien seien Relikte des 20. Jahrhunderts, verflochten in sinnlosen Kämpfen untereinander. Jobbik sei unbelastet, eine neue, eine reine Kraft für Ungarn. So wie die grüne LMP, nur halt ohne Juden, Schwuchteln und ohne liberale Spinnereien, lautet der Subtext, der auch unausgesprochen verstanden wird. Ok, und mit Geld aus Moskau, aber das gehört wohl nicht hierher...

Wer "irgendwelche romantische Nazisehnsüchte habe, der hat in dieser Partei keinen Platz", behauptet Vona, gerichtet auch an jene "Lügenpresse", die es wagt, Jobbik nach wie vor als das zu bezeichnen was sie ist. Schlicht: neonazistisch. Das ist nicht nur an Wortmeldungen und Aktionen aus der Vergangenheit festzumachen, in der führende Parteifunktionäre Denkmälern jüdischer Ungarn Kippas aufsetzten und Schilder umhängten, so wie es die SSler damals mit lebenden Menschen taten, wo sie forderten den Roma die Kinder wegzunehmen und die Eltern in Arbeitslager zu sperren, um so beide umzuerziehen, wo Juden registriert werden sollten usw.

Nein, ganz aktuell wieder zeigten die Puszta-Nazis ihr wahres Gesicht, als sie z.B. dem aktuellen Erfolg des ungarischen Beitrages
"Son of Saul" in Cannes als Produkt der "Holocaustindustrie" brandmarkten und es eine Schande sei, dass die staatliche Filmförderung dafür Geld hergibt - was sich bald alles ändern wird. Doch nicht mal mit dieser - in europäischen Zivilisationen als extrem eingestuften - Position heben sie sich noch von der Regierungspartei ab.

Spirale des Populismus`, Wettkampf der Menschenverachtung

Tamás Fricz, Führer der Fidesz-"Kampfgruppe" CÖF bescheinigte dem Regisseur "eine clevere Wahl getroffen" zu haben, denn "Filme über den Holocaust sind bei solchen Festivals immer sehr beliebt". Das ist die gleiche Aussage, nur mit anderen Worten. Eine andere Jobbik-Größe empfindet es als "Schande", dass die katholische Pázmány-Universität die Beschäftigung mit der Shoah zum Pflichtgegenstand für ihre Studenten gemacht habe. Doch was ist das schon gegen die antisemitische
Beschimpfung des Helsinki-Komitees durch die Fidesz-Parteileitung? Was, gegen die Äußerung eines Fidesz-Ministers, dass man wegen 800.000 ungarischer Roma "nicht noch mehr Flüchtlinge aufnehmen" könne. Was gegen die offizielle Ehrung eines Pfeilkreuzlers in Rumänien durch Fidesz-Parlamentspräsidenten Kövér als "Vorbild"? Jobbik fordert Zwangssterilisation für vielgebärende Roma-Frauen, Orbán will über die Todesstrafe debattieren. Wo sind da noch die qualitativen Unterschiede?

Jobbik kündigt "staatlich geförderte" Garde ab 2018 an

Die Grenzen verschwimmen. Deutlicher und für eine ungarische Zukunft unter Jobbik greifbarer sind da schon die Ankündigungen von Jobbik-Vize Gábor Volner, ein Ex-Polizeioffizier mit starrem Blick, die er in der Vorwoche auf Facebook machte. Sie betreffen die "Ungarische Garde", eine paramilitärische Truppe im Habitus der faschistischen Pfeilkreuzler der 40er Jahre, deren Hass- und Hetzaufmärsche wesentlich den Boden für die Roma-Mordserie 2008/2009 bereiteten (und die tatsächlich auch an den selben Orten wie die Aufmärsche stattfanden) und die
2009 verboten wurde. Schon damals positionierte sich Jobbik offiziell als “christliche Familienpartei”. Diese Charade ist also nichts Neues, auch wenn westliche Medien sie jetzt erst für sich entdeckt zu haben scheinen.

Diese Garde, Mutter einer ganzen Brut von Nachfolgern: "Neue Garde", "Nationale Miliz", "Räuberschaften", die mit lokalen Bürgermeistern bei der rassistisch motivierten "Aufsicht" über die örtlichen Roma kooperieren, zur Liberalenhatz blasen und längst Alltag im ländlichen Ungarn sind, diese von Jobbik - speziell Vona - gegründete Ur-Garde, soll, sobald Jobbik an die Macht kommt, wieder legalisiert werden: "staatliche Förderungen" erhalten und einen hoheitlichen Status. Kurz: geht es nach Jobbik, marschieren ab 2018 ganz legal paramilitärische Schlägertrupss durch Ungarn. Deren "Zielgruppen" dürften klar definiert sein.

Vona raubt Orbán sogar das EU-Bekenntnis

Von dieser Kraftmeierei will Vona auf dem Parteitag nichts wissen. Hier erklärt man sich zum politischen Saubermann, der Ungarns Unabhängigkeit mit der Heiligkeit der Familie verweben will, um in eine "bessere Zukunft" zu schreiten. Sogar den EU-Austritt, der früher zentraler Punkt in den Reden war (wir erinnern uns an brennende und aus Parlamentsfenstern fliegende EU-Flaggen) ist plötzlich kein Thema mehr, eher schon wolle man "den Status neu verhandeln" oder noch besser die "Gemeinschaft gründlich verändern".

Fidesz hat es bisher meist der Linken überlassen, auf Jobbik zu antworten. Man hielt sich beim öffentlichen Beschimpfen, das sonst zur politischen "Kultur" in Ungarn zählt wie anderswo der Handschlag, lieber zurück. Diesmal gab es doch ein paar warme Worte, die von äußerster Nervosität zeugen.

Vona belüge seine Partei, das Parlament und das ganze Land, denn er habe 2012 selbst erklärt, dass Ungarn die EU verlassen solle, erklärte Parteisprecher Szilárd Németh. Das macht Fidesz wütend. Warum? In der Flüchtlingspolitik, der Justiz- und Sicherheitspolitik, der Roma-Frage, ja bis hin zur Geschichtsinterpretation überlappen sich Fidesz und Jobbik immer mehr. Orbán folgte hier dem Plan, die Politikfelder zu besetzen und dem Konkurrenten so die Themen abzunehmen. Das klappte nicht (das klappte übrigens noch nie), Jobbik jagt ihn nun vor sich her. Das (für Fidesz immer schwerer zu belegende) Pflicht-Bekenntnis zur EU- und NATO-Mitgliedschaft, "unserer Familie" (Orbán am Freitag), war eines der wenigen verbliebenen, klaren Unterscheidungsmerkmale zwischen beiden Parteien. Auch das hat Vona Orbán nun gestohlen, ihn weiter entwaffnet.

Man kann in Ungarn keine Politik auf Lügen bauen?

"Man kann aber in Ungarn keine Politik auf Lügen bauen." fleht der Fidesz-Sprecher Szilárd Németh keck. Eigentlich alle Parteien, einschließlich seiner eigenen haben in den vergangenen 25 Jahren das Gegenteil bewiesen und im Scheitern waren sie sich auch stets ähnlich, nur im Plündern war man unterschiedlich gründlich und systematisch.

Besieht man sich die Politik des Fidesz, tut sie nichts anderes als den Neonazis von Jobbik den Boden zu bereiten. Ein asozialisierter, radikalisierter, rassentheologisch untersetzter Ständestaat, der Feindbilder wie Liberale, Roma als Sündenböcke installiert, Stellvertreterkriege anzettelt, die Menschen in wert und unwert einteilt und mit einem sozialen "Bodensatz" von 40-50% ausgestattet ist, das ist nicht einfach nur gedeihlicher Humus, sondern schon der sprießende Keim des Faschismus.

Eine demokratische Partei schafft sich selbst ab, wenn sie die Demokratie abschafft

 

Wenn man dann durch die eigene Politik noch dafür sorgt, die Demokratie, den Rechtsstaat und die Grundrechte zu diffamieren und Stück um Stück abzubauen, macht man sich als “demokratische” Partei irgendwann selbst obsolet. Die unstillbare Gier der aktuellen Eliten, ihre dreiste Bestechlichkeit, ist nur noch der letzte Auslöser, der die einstigen Anhänger und andere Verzweifelte die Jobbik das Märchen von den nationalen Saubermännern abkaufen lässt und sie wählt. Fidesz hat sich jedoch nicht durch seinen behaupteten Abwehrkampf gegen die Nazipartei in diese Situation gebracht, sondern aus freiem Willen, aus innerer Überzeugung. Planvoll.

Das sollte auch all jenen bewußt sein, die sich so gespielt-naiv über die aktuellen Entwicklungen wundern, ob bei den Realitätsverleugnern der EVP-Parteienfamilie oder den westlichen Medien, die ihren Lesern die Parallelen zwischen Fidesz und Jobbik jetzt als Entdeckung ihrer neueste großartigen Recherchen präsentieren, während seit Jahren in Ungarn die Stiefel knallen.

Der Ekel schwindet mit der Not

Interessant und beängstigend ist das Aufstreben der Jobbik trotz des nahezu vollständigen Fehlens bürgerlicher Identitätsfiguren in deren Reihen. Nicht einmal der Anschein von Kompetenz ist gegeben. Die dumpfe Primitivität soziopathischer Erscheinungen prägt das Bild der Partei nach wie vor derart, dass es einen gewissen bürgerlichen Ekel gibt, mit ihr - zumindest offen - zu kooperieren. Doch diesen Ekel hatte man in den 20er und 30er auch vor der NSDAP und Hitler bekundet. Der Rest dürfte bekannt sein. Ist die eigene Macht erst in Gefahr, sind die "Bürgerlichen" bei der Wahl ihrer Retter nicht mehr sehr wählerisch.

red. / ms.

 

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