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(c) Pester Lloyd / 35 - 2016   POLITIK     03.09.2016

Juristische Rückendeckung für den Orbán-Staat: Ungarn bekommt ein Verwaltungsgericht

Die Einführung eines Verwaltungsgerichtssystems, wie es in vielen europäischen Ländern üblich ist, mag auf den ersten Blick nicht zur Skepsis einladen, ja könnte, handelte es sich um einen stabilen Rechtsstaat, sogar die Hoffnung auf mehr Effizienz und eine noch bessere Gewaltenteilung nähren. Ungarn tickt bekanntlich anders.

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Welche Figuren an der Spitze des geplanten Verwaltungsgerichtes stehen werden, ist noch nicht sicher. Jene des Verfassungsgerichtes bewertet der Alternativ-Blog varanus als Witzfiguren...

 

Seit der Machtübernahme 2010 investierte die Orbán-Regierung eine gewaltige Energie, in einen ideologie- und parteifreundlichen Umbau des Rechtssystems, sowohl legalistisch als auch personell wie strukturell. Man lernte aus den Fehlern der nicht minder korrupten sozial-liberalen Vorgängerregierungen. Diese plünderten das Land aus, hinterließen aber dummerweise ein intaktes Rechtssystem, das sie - wenn auch nur teilweise - anschließend zur Rechenschaft zog. Das sollte, ja angesichts der Systematik und Gigantik des Fidesz-Raubzuges - musste - für die Zukunft verhindert werden!

Dabei scheute man auch nicht den offenen Konflikt mit der EU. Letztlich
bekam Orbán weitgehend, was er wollte. Eine von ihm installierte Kurie als "Oberster Gerichtshof", das bereits wegweisend in seinem Sinne tätig ist, ein Verfassungsgericht, das kaum noch Einfluss ausübt, geschweige denn eine Verfassung vorfindet, die es zu verteidigen lohnt. Frühpensionierungen (die man auf Umwegen durchsetzte), Umstrukturierungen sorgten für regelrechte Säuberungen in den Gerichtssälen, ein Richteramt verteilt Fälle gezielt nach politischen Kriterien. Doch immer noch blieben Reste unabhängiger Gerichtsbarkeit, aufgrund der Integrität Einzelner.

Um auch diese Erschwernisse zu überwinden, so glauben zumindest Kritiker, soll nun ein Verwaltungsgericht eingeführt werden, um die Handlungen der Administration, also aller Ministerien, Behörden, Ämter und ihnen nachgeordneten bzw. angeschlossenen Institutionen und Unternehmen der öffentlichen Hand juristisch abzusichern, sollten Bürger oder opositionelle Bewegungen deren Rechtmäßigkeit anzweifeln und in ersten Instanzen der regionalen Gerichte vielleicht sogar Recht bekommen.

Nichts davon sei das Ziel des geplanten Verwaltungsgerichtshofes, insistierte nun, naturgemäß, der Justizminister László Trócsányi. In einem Interview in der Népszabadság behauptet er diesen Freitag, dass dieses Gericht, im Gegenteil zu den Vorhaltungen, dafür sorgen könne, dass Bürger oder andere juristische Personen sich gegen Fehler administrativer Strukturen wehren könnten. Dazu bedürfe es freilich nicht nur eines Verwaltungserichtshofes - wie es ihn, mit Ausnahme der Slowakei, in jedem EU-Mitgliedsland gebe - sondern auch eines Verwaltungsprozessrechtes.

Die Hauptkritik der politischen Oppoosition richtet sich auch nicht so sehr gegen eine verwaltungsgerichtliche Struktur an sich, sondern gegen das "regierungsnahe Auswahlsystem" der dafür vorgesehenen Richter. Das liefe so "als würde ein Angeklagter die Richter unter seinen Verwandten aussuchen." fasst es ein MSZP-Politiker zusammen. Immerhin ginge es bei potentiellen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht u.a. gegen Behörden wie die Nationalbank, die Medienbehörde oder das Aufsichtsamt über Öffentliche Ausschreibungen, die bekanntlich alle mit Fidesz-nahen Figuren besetzt sind. Wenn nun Fidesz-nahe Richter in das Verwaltungsgericht installiert würden, könne man sich den ganzen Aufwand gleich sparen.

 

Nicht ganz zufällig wurden die Ernennungskriterien für Richter nochmals angepasst. Danach hat nun die nationale Richteraufsicht (OBH) kein Veto-Recht mehr bei der Ernennung von Richtern, die vom Parlament bzw. vom Justizminister ernannt werden. Das sei falsch, behauptet der Minister, die Vorsitzenden Richter unterlägen weiterhin der disziplinären Aufsicht des OBH, somit also einer regierungsunabhängigen (Chefin ist die Frau eines Fidesz-Politikers) Körperschaft, lediglich "die Bedingungen für die Ernennung von Richtern" würden geändert. Dazu gehört freilich, dass der neue Verwaltungsgerichtshof von der Kurie kontrolliert werden soll, die Fälle zuteilen, aber auch entziehen kann. Die Kurie wiederum ist eine reine Orbán-Veranstaltung.

Die demokratischen Oppositionsparteien lehnen aufgrund der Umstände jegliche Konsultationen mit der Regierungspartei zum Thema ab. Die LMP und Jobbik lasen sich zumindest den Gesetzentwurf durch, finden ihn aber inakzeptabel, einen durchsichtigen Versuch, "der juristischen Legitimierung der kriminellen Verfehlungen des Establishments". Fidesz wird sein Gesetz durchbringen, die EU wird wieder und weiter zuschauen. "Eine Einmischung der EU bei der Errichtung eines Verwaltungsgerichtes in Ungarn erwarten wir nicht", meint, nein, weiß Justizminister Trócsányi.


red.

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