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(c) Pester Lloyd / 40 - 2011  POLITIK 07.10.2011

 

Frei nach Darwin

Neues Wahlrecht in Ungarn behindert kleine Parteien

Die offiziöse Nachrichtenangetur MTI erfreut uns mit der x-ten Version eines Entwurfes zu einem neuen Wahlgesetz in Ungarn, das es nun über Fidesz-Fraktionschef Lázár schon einmal ins zuständige Parlamentskomitee schaffte. Darin enthalten sind, neben der ressourcensparenden Halbierung der Mandatszahl, etliche Maßnahmen, die die Macht der großen Parteien, vor allem der größten stützen wird. Manche Pläne sind offen demokratiefeindlich, andere zumindest fragwürdig.

Deutsches Vorbild mit ungarischen Spezialitäten

Danach bevorzugt das Fidesz einen einzigen Wahlgang, mit Erst- und Zweitstimme für einen Direktkandidaten bzw. eine Parteienliste, also dem deutschen System entsprechend. Wie man mit dem sich dann stellenden Problem der Überhangmandate umgehen möchte, das ja in Deutschland bereits vom Verfassungsgericht als nicht verfassungsrechtlich nicht tragfähig deklariert wurde, ist bisher nicht bekannt. Mit solchen Kleinigkeiten gibt man sich im heutigen Ungarn ungern ab, zur Not entzieht man dem Verfassungsgericht einfach die Zuständigkeit für derartig verwirrende Fragestellungen.

Mandats- und Wahlkreisreduzierung

Bisher gab es in Ungarn zwei Wahlgänge, verteilt auf zwei Wochen (im zweiten Wahlgang wurden alle jene Kandidaten nochmals aufgestellt, die keine absoulte Mehrheit, jedoch wenigstens 15% der Stimmen erhalten hatten) und ein kompliziertes System von Direktkandidaten, Regionallisten, Landes- und Ausgleichslisten, das es u.a. möglich machte, dass das Fidesz bei den letzten Wahlen mit rund 54% der abgegebenen Stimmen (rund ein Drittel aller Wahlberechtigten) über 2/3 der Mandate erlangte. Dass diese Möglichkeit weiter bestehen bleibt, dafür sollen verschiedene Maßnahmen (höhere Kandidaturhürden, Verringerung, aber auch Zurechtstutzung der Wahlkreise etc.) sorgen, die vor allem große Parteien begünstigen.

Außerdem wird das nächste Parlament zahlenmäßig fast halbiert, ein paar Sitze sollen für Vertreter ethnischer Minderheiten reserviert werden. Derzeit gibt es 176 direkt vergebene Mandate, dann sollen es noch 90-110 sein. Die Gesamtzahl der Mandate wird 200 betragen (+-10), derzeit 386, was im Verhältnis zu Deutschland rund 3.000 Abgeordneten entspräche.

 

Eigenartige Regelung für Auslandsungarn

MTI schreibt uns, dass Staatsbürgern, die keinen Wohnsitz in Ungarn haben, die Abgabe einer Zweitstimme erlaubt werde, diese könnten sie "über die Post" abgeben, von einem kontrollierten "Briefwahlsystem" war in der Aussendung nicht die Rede. Seit Monaten bastelte man an einem Modell, wie man die Auslandsungarn, die als überwiegend den Nationalkonservativen zugeneigt gelten und denen derzeit massenhaft vereinfacht zu erlangende Staatsbürgerschaften aufgeschwatzt werden, in das ungarische Wahlsystem eingegliedert werden. Dabei geht es, wohlgemerkt nicht um jene Ungarn, die ausgewandert sind, sondern überwiegend um jene, die noch nie in Ungarn lebten. (Deutschland gewährt seinen Bürgern z.B. nur dann ein Wahlrecht, wenn sie überhaupt einmal in Deutschland gelebt hatten.) Das Fidesz rechnet sich durch die Einbeziehung der Ungarn in den Nachbarländern eine durch die Passvergabe stetig wachsende, geneigte Wählerschaft aus.

Zu den Risiken und Unwägbarkeiten des Stimmrechts für Auslandsungarn hier mehr.

Kleine Parteien und Bündnisse benachteiligt

Die Einstiegsquote ins Parlament bleibt bei 5% der abgegebenen Stimmen, wird aber für Wahl-Bündnisse von zwei Parteien auf 10, für Bündnisse aus mehr Parteien auf 15% angehoben, was eine klare Kampfansage an neue Oppositionsgruppen ist, die durch fluidere Bündnisse gegen die althergebrachten Mechanismen des Parteienstaates ankämpfen. Um überhaupt eine Landesliste aufstellen zu können, muss eine Partei zumindest in 9 der 19 Komitate Kandidaten aufstellen, (die wiederum die strafferen Qualifizierungsregelungen von 1.500 Unterstützerunterschriften binnen 21 Tagen, bisher 750 in 45 Tagen, schaffen müssen), was wieder eine Benachteiligung kleinerer Parteien, eine Art Survival of the fittest, darstellt. Auch eine Neuerung, ein Wahlgesetz nach Darwinschen Regeln. Apropos: immerhin, die haarsträubende Idee, Müttern für ihre Kinder mehrere Stimmen einzuräumen, ist nun offenbar endgültig vom Tisch. Ursprünglich war damit geplant, die "Rolle der Familie" zu betonen, rechtliche Bedenken, vor allem aber die Angst vor den "wurfstarken Zigeunern" (O-Ton einer einschlägigen Webseite), ließ die Regierung hier einen Rückzieher machen.

Ethnische Minderheiten

Vertreter von ethnischen Minderheiten bekommen eigene Listen, Kandidat kann dort werden, wer - ebenso wie jeder andere - wenigstens 1.500 Unterstützererklärungen sammelt. D.h. Minderheitenvertreter müssen sich dem gleichen Quorum wie Mehrheitenvertreter stellen. Ob über diese Kandidaten dann durch eine gesonderte Stimmabgabe entschieden wird, wurde im jetzigen Entwurf nicht ganz klar, wahrscheinlicher ist es, dass sie als Direktkandidaten für virtuelle Ethno-Wahlkreise aufstellbar sind, bei denen sich interessierte Wähler dann registrieren, sich also zunächst als Mitglied der Minderheit outen müssten. So oder so handelt es sich dabei um eine Pseudolösung, damit Budapest Europa endlich auch ein paar "echte" Minderheitenvertreter in der Legislative vorführen kann, während sie in den von Budapest immer so lautstark kritisierten Nachbarländern seit Jahren in eigenen Parteien in den Parlamenten, in der Slowakei und Rumänien akutell auch in der Regierung sitzen.

red.

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