(c) Pester Lloyd / 41 - 2011
POLITIK 10.10.2011
Wandertheater
Ungarischer Nationalismus - auf Tournee und stagione
Der ungarische Präsident, Pál Schmitt, traf am Wochenende eine geradezu sprachlosen slowakischen Amtskollegen. Die Außenminister führten Gespräche auf
einer Brücke, die allungarische Konferenz beginnt bald mit dem Ungarnzählen und Vizeregierungschef Semjén droht Serbien mit Blockade in der EU, während er in
Deutschland für ungarische Pässe wie Sauer Bier wirbt. Neben dieser Wandertruppe, erhält Ungarn auch noch ein stationäres National(isten)theater, zwei landesbekannte
Rechtsextreme übernehmen das Új Színház in Budapest.
Anderswo machen sie, in Ungarn bekommen sie Theater. Der neue Direktor des “Neues Theater” in
Budapest”, Dörner, hier bei einer Veranstaltung der neofaschistischen Partei Jobbik. - Meldung am Ende des Textes.
Semjén und die "europäischen Werte..."
Der ungarische Vizepremier, Zsolt Semjén, hat in Deutschland lebende Bürger mit
ungarischen Wurzeln "dringend ermutigt", die ungarische Staatsbürgerschaft nach der vereinfachten Methode anzunehmen. Es sei für die "betroffenen" Familien wichtig, ihre
"ungarische Identität auch in rechtlicher Hinsicht wahrzunehmen", so der KDNP-Chef bei einem Pilgerbesuch in der bayerischen Benediktinerabtei Scheyern, die für die ungarische
Geschichte von Bedeutung ist, weil hier der Heilige Stefan Gisela von Bayern ehelichte, was historisch als wesentlich für die Westbindung der Ungarn angesehen wird.
Vor rund eintausend Pilgern warb Semjén auch damit, dass Auslandsungarn, auch jene,
die nie in Ungarn gelebt hatten, in Zukunft das Wahlrecht eingeräumt bekommen. Der Vizepremier nutzte seinen Auftritt, um gegen ein neues serbisches Restitutionsgesetz zu
argumentieren, das Angehörige oder Nachfahren von "Besatzungstruppen" pauschal von Rückgabe- oder Entschädigungsverfahren ausschließt. (Die vor dem 1. Weltkrieg
ungarische Vojvodina ging mit den verträgen von Trianon an Serbien, war ab 1940 aber wieder von ungarischen Truppen, im Einvernehmen mit Nazideutschland besetzt und
Schauplatz von Greueltaten und Deportationen - beider Seiten). Semjén verwahrte sich gegen die Verhängung einer "Kollektivschuld" und drohte damit, sich gegen den
EU-Kandidatenstatus des Landes auszusprechen, schließlich müsse man sich dazu auch an "europäische Werte" halten. Erst kürzlich war ein ehem. ung. Polizeioffizier “mangels
Beweisen” von Untaten in der Vojvodina freigesprochen worden.
Nur nicht das böse A-Wort
Serbien räumt der Vojovodina mehr regionale Selbständigkeit ein http://www.pesterlloyd.net/2009_45/0945vojvodina/0945vojvodina.html
Schmitt und die "europäische Praxis..."
Am Rande eines Visegrád 4-Treffens in Budapest kamen auch die beiden Präsidenten der
beiden Duaerstreithähne Slowakei und Ungarn, Ivan Gasparovic und Pál Schmitt zu einem Gespräch zusammen. Laut Darstellung der ungarischen Seite, habe Schmitt seinem
Amtskollegen dabei "unmissverständlich" klar gemacht, dass Ungarn an seinen Gesetzen zur doppelten Staatsbürgerschaft und zum Wahlrecht für Auslandsungarn, das die Slowakei
teilweise als Eingriff in die Souveränität des Landes ansieht, festhalten wird. Schließlich seien beide Vorhaben "auf Linie mit europäischer Praxis".
Schmitt habe das "Einlenken" der Slowaken in der Frage zur Kenntnis genommen, solle
aber ja nicht wagen, auch nur einem "Ungarn" die slowakische Staatsbürgerschaft zu entziehen, der die ungarische beantragt (das war eine Idee der Vorgängerregierung, diese
hat das Gesetz zunächst per Dekret angehalten). Schmitt behauptete weiterhin, dass es zwischen beiden Ländern eine "enge Kooperation" gibt und nannte als Beispiel dafür, neu-
bzw. wiedererbaute Brücken über die Ipoly und die Donau (meist lokale Initiativen). Einen O-Ton Gasparovics verkniff sich die offizielle ungarische Nachrichtenagentur MTI, übrigens
zum wiederholten Male bei ausländischen Gästen.
Erst im Juni hatte Parlamentspräsident Kövér wieder reichlich Öl ins bilaterale Feuer gegossen. Dazu: "Das ist eine Kriegserklärung" - Parlamentspräsident von Ungarn löst Politskandal in der Slowakei aus
Zwei Außenminister auf der Brücke
Gleichzeitig trafen sich die Außenminister beider Länder, Mikulas Dzurinda und János
Martonyi, auf einer dieser genannten Grenzbrücken, jener zwischen Esztergom und Sturovo. Dzurinda fand es "richtig, die Vorurteile vor zehn Jahren mit der Rekonstruktion
dieser Brücke zu überwinden", denn die Region sei "Dank dieser Investition zu Leben erwacht", was dazu auffordere, weitere solche Verbindungen zu bauen, so die slowakische
Agentur TASR. Auch Martonyi schlug deutlich bescheidenere Töne an als Semjén und Schmitt. Er sagte, dass ja beide Länder große Ziele in der EU verfolgen und ihre Stimmen
vereint besser zu hören seien. Solche Projekte wie hier, zeigten, dass in Mitteleuropa friedliche Nationen leben. Dzurinda sagte zu, sich für die schnelle Umsetzung des
Autobahnanschlusses zwischen Bratislava und Budapest sowie zwischen Zvolen (Region Banksa Bystrica) und Budapest einzusetzen. Weiterhin steht die gemeinsame
Komplettrekonstruktion der symbolträchtigen Brücke zwischen Komarnó und Komárom an sowie die Verbindung beider Erdgasnetzwerke.
Alle Ungarn werden registriert
Das nächste Treffen der sogenannten "Allungarischen Konferenz" (Maert) wird im
November in Budapest stattfinden. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss von ungarischen Organisationen im Ausland, die sich dem "Zusammenhalt der Nation"
verschrieben haben. Die Initiative, die während der sozial-liberalen Regierungen eher ein Randdasein führte und 6 Jahre nicht zusammentrat, wurde von dieser Regierung durch
verschiedene Förderungen und Projekte sowie mediale Begleitung enorm aufgewertet.
Hier mehr dazu: Bund der Verbliebenen: Phantomschmerz im Ostwind:
Die "All-Ungarn-Konferenz" tagte wieder, November 2010, Zum Beitrag
Zentrale Aufgabe der Konferenz wird die Schaffung eines "Registers aller Ungarn in der
Welt", einer Datenbank, in der Informationen zu allen sich "als Ungarn bekennende" Menschen gesammelt werden sollen, "um den Zusammenhalt der Nation auch in der
Diaspora" sicherzustellen. Dieses durchaus fragwürdige Projekt, ein Steckenpferd von KDNP-Chef und Vizepremier Zsolt Semjén, haben wir hier näher beleuchtet.
Dazu soll in Ungarn selbst noch ein "Diaspora Rat" ins Leben gerufen werden, erklärte ein
Staatssekretär bei einem Kongress der "Allianz der Christlichen Intellektuellen" am Sonntag im Budapester Parlament. Dieser sollte auch die Legislative dahingehend beraten,
inwieweit die Belange der Auslandsungarn in hiesigen neuen Gesetzen berücksichtigt werden könnten, schließlich hat sich diese Regierung, vor allem auch mit der neuen
Verfassung, der "nationalen Einheit" verschrieben. Dabei geht es auch um Gelder für diverse Aktivitäten der auslandsungarischen Vereine, u.a. auch in Ergänzung bzw.
Konkurrenz zu den Kulturinstituten.
Rechtsextremisten übernehmen ein Theater
"Nationalen Werten" will sich auch der neue Direktor des "Új Szinház" (Neues Theater)
unweit des Andrássy Boulevards in Budapest verschreiben. György Dörner wurde Ende letzter Woche von Oberbürgermeister István Tarlós ernannt, gegen den Rat eines - auch
mit Fidesz-Leuten besetzten - Fachkomitees, das sich 6:2 für den langjährigen Amtsinhaber István Márta ausgesprochen hatte. Die erste Amtshandlung Dörners bestand
darin, den Vater aller Hassprediger, MIÉP-Chef und wohl einmal ein zumindest technisch talentierter Theaterdichter, István Csurka, aus der Mottenkiste zu holen und ihn zum
künstlerischen Leiter zu ernennen.
Dörner, ein mäßig begabter Schauspieler, trat übrigens schon des öfteren auf
Veranstaltungen der neofaschistischen Partei Jobbik auf und kann eindeutig als offener Antisemit benannt werden. Nun erklärt er dem "liberalen Unterhaltungsbetrieb" (auch
liberal ist in Ungarn heute wieder ein Code für jüdisch) den Krieg, der Schuld daran sei, dass Ungarn moralisch derart verkommen ist. Sein neuer Spielleiter Csurka wünscht sich
Stücke von "öffentlichem Interesse", z.B. über "Gyurcsány und die Privatisierungen", sagte
er. Die Zeitung Népszabadság schreibt zudem, dass Dörner das Theater, das direkt an das alte jüdische Viertel grenzt, in "Hátország", in etwa: Hinterland, umbenennen möchte. Er
bemängelte, dass es zur Zeit leider kein "Nationaltheater" gibt. (Gibt es, aber der Direktor ist links und schwul und liberal und überhaupt...)
Oberbürgermeister István Tarlós wies jede Kritik an seiner Entscheidung schroff zurück,
Künstler beschwerten sich (mal wieder mit einem Briefchen), dass es sich offensichtlich um eine politisch motivierte Entscheidung handelte. Offenbar will man mit Teilen der
Rechten durch solche Versorgungsposten Schönwetter machen, denn das Fidesz sieht Jobbik nach wie vor als Betriebsunfall, der Plan war eigentlich, dass Rechts von Orbán
niemand mehr steht. Es hat daher auch seinen Grund, warum diese Nachricht im Kontext mit der Wochenendfolklore der oben genannten Politiker gebracht wurde.
OB Tarlós ließ über seine Sprecherin jedenfalls ausrichten, dass es nichts zu diskutieren
gibt, man finde es "inakzeptabel, dass die kleinste Veränderung so eine aggressive Antwort von Theaterdirektoren hervorruft." Die Opposition, links von Fidesz, ist sich indes
einig, dass man das Theater Rassisten und Rechtsextremisten überlassen hat, am 21. Oktober soll eine Protestkundgung stattfinden, oganisiert wird über Facebook.
red.
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