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(c) Pester Lloyd / 49 - 2012   POLITIK 02.12.2012

 

Das menschliche Minimum

Regierung und Opposition in Ungarn traten gemeinsam gegen Nazis auf

Rund 10.000 Menschen, versammelten sich am Sonntagnachmittag vor dem ungarischen Parlament in Budapest, um gegen Antisemitismus und Nazismus in ihrem Land zu protestieren. Es war seit Jahren das erste Mal, dass sich Regierung und Opposition in einer das Land betreffenden Angelegenheit Schulter an Schulter zeigten. Trotz Einigkeit in der Grundsache, verlief auch diese Demo nicht ganz reibungsfrei.

Anlass für die Kundgebung war der Auftritt des Jobbik-Abgeordneten, Márton Gyöngyösi im Parlament, der am Montag der Vorwoche im Zusammenhang mit dem jüngsten Gaza-Konflikt eine Registrierung jüdischer Abgeordneter und Regierungsmitglieder in Ungarn forderte und diese als nationales Sicherheitsrisiko bezeichnete. Der Skandal im Parlament blieb zunächst aus, die Empörung der - auch internationalen - Öffentlichkeit war umso gewaltiger. Nach einem ersten Standard-Statement reagierte auch die ungarische Regierung deutlicher, so soll "Hassrede" im Hohen Hause durch eine Änderung der Hausordnung künftig besser sanktionierbar sein. Mehr dazu: in “Narrenfreiheit für Verbrecher?”

Bereits am Dienstag gab es zwei kleinere Proteskundgebungen am Parlament. Das eigentlich bemerkenswerte an der Demonstration am Sonntag war jedoch das gemeinsame Auftreten der Chefs der beiden größten Fraktionen des Parlamentes, Fidesz-KDNP und MSZP sowie des Chefs der außerparlamentarischen Oppositionsplattform "Gemeinsam 2014". Es war seit Jahren das erste Mal, dass sich Regierung und Opposition in einer das Land betreffenden Angelegenheit Schulter an Schulter zeigten.

In ihren Ansprachen betonten alle Redner das Inakzeptable an Aussagen und Verhalten der neofaschistischen Partei in und außerhalb des Parlamentes. Die Moderatorin verwies darauf, wie gespalten seit 2006 die ungarische Politik ist und man sich bei keinem Thema einig werden konnte. Dass man sich heute gegen die geforderte "Herkunftsliste" stelle, sei das "menschliche Minimum", unausgesprochen, aber hörbar war dabei, dass der demokratische Minimalkonsens zwischen Regierungs- und Oppositionskräften derzeit verfehlt wird.

Antal Rogán, Fidesz-Fraktionschef und Bezirksbürgermeister des V. Bezirkes von Budapest, versicherte, dass der Staat alle Bürger Ungarns beschützen werde, niemals mehr werde man derartige "Listen" zulassen, die Geschichte des 20. Jahrhunderts habe gezeigt, dass genau damit stets die Verbrechen begannen. Man wolle keine vulgär-rassistischen Ausdrücke im Parlament, man solle die Millionen Opfer nicht vergessen. Die Oppositionspolitiker forderten dazu energischere Schritte. MSZP-Chef Attila Mesterházy betonte, dass es heute nicht um politische Auseinandersetzung gehe, sondern um die Grundlagen der Gesellschaft, den Nazismus bezeichnete er als einen Virus, der nicht nur Jobbik befallen hat. Er forderte Premier Orbán auf, das Verhalten von Jobbik im Parlament öffentlich mit einer Rede zu verdammen und Fidesz, ihre Zweidrittelmehrheit für die Zurückdrängung der Nazis einzusetzen.

Ex-Premier Gordon Bajnai von der Plattform “Gemeinsam 2014” sagte, dass ein Land so lange nicht "normal" sei, solange Bürger in diesem Land Angst haben müssten und nicht ihr individuelles Recht bekämen, was auch über das Thema Rassismus hinaus verstanden werden konnte. Je schlechter es dem Land gehe, umso besser sei dies für die Nazis. Die Teilung des Landes spiele ihnen in die Hände. Bajnai sagte, er kämpfte gestern gegen das (Fidesz)-System und er wird morgen weiter dagegen kämpfen, heute aber sei die Zeit, um gemeinsam gegen Hass einzustehen.

Trotz der Einigkeit in der Ablehnung der Jobbik, verlief auch diese Veranstaltung nicht ohne kleinere Reibungen untereinander. Als der Fidesz-Fraktionschef Rogán die Bühne betrat hallten ihm Buh-Rufe und Sprüche wie "Ihr habt Jobbik gemacht..." entgegen, allerdings nur von einzelnen Teilnehmern. Auf einem Transparent war auch "Respekt, Rogán!" zu lesen. Am Ende applaudierten die meisten, wenn auch Bajnai deutlich mehr Zustimmung erhielt, Mesterházy bekam von den drei Politikern die wenigsten Ovationen des Publikums.

Die Menge skandierte mehrfach Rücktrittsaufforderungen an den Jobbik-Abgeordneten, ein Plakat zeigte ein Foto mit Horthy und Hitler und den Spruch "Einmal habt ihr schon das Land ruiniert, einmal ist genug..." - eine Anspielung auf eine Plakatkampagne Fidesz-naher Kreise gegen die neue Oppositionsbewegung um Gordon Bajnai. Auf einem anderen Plakat stand auf einer ungarischen Fahne mit Hakenkreuz der Spruch "Nein, nein, niemals!", der gängige Slogan gegen die Friedensverträge von Trianon, hier beziehungsreich umgedeutet.

 

Organisiert war die Veranstaltung von ungarisch-jüdischen Organisationen, federführend der "Marsch der Lebenden". Im Publikum waren auch hochrangige Vertreter der Christdemokraten (KDNP, in Fraktionsgemeinschaft mit Fidesz) der Demokratischen Koaltion (einer MSZP-Abspaltung) sowie der grün-liberalen LMP vertreten, auch die Botschafter verschiedener Länder, darunter aus Israel und den USA kamen.

Jobbik ließ in einem Statement verlauten, dass es typisch für die "unchristliche, von Israel geschmiedete große Koalition gegen Ungarn" sei, eine solche Veranstaltung am 1. Adventssonntag abzuhalten. Die wahren Probleme des Landes würden die "Hassreden" gegen Jobbik nicht lösen. Das Problem Ungarns sei “nicht der gelbe Stern, sondern der gelbe Scheck” (Einzahlschein für Mieten, Nebenkosten etc., Anm), ließen Parteichef Vona und sein Vize Elöd Novak ausrichten. Eine angedrohte Gegendemo der Neofaschisten fiel aus.

Die Teilnehmerzahlen schwanken zwischen “einigen Tausend” und “mehr als 10.000”. Nur zu Erinnerung, als es um ihre eigenen Anliegen ging, brachte die außerparlamentarische Opposition am 23. Oktober ca. 70.000 bis 80.000 Menschen auf die Straße, die Regierung ca.  150.000 Anhänger, zum Teil mit Bussen aus der Provinz heran.

red.

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