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(c) Pester Lloyd / 42 - 2012   POLITIK 23.10.2012

 

Hunderttausendfaches Für und Wider

Großdemonstrationen von Regierungstreuen und Opposition in Ungarn

Die tiefe Spaltung des Landes manifestierte sich in den Aufmärschen und Reden zum Nationalfeiertag. Die Regierung lobte sich selbst, Premier Orbán trat vor 150.000 Anhängern als Retter der Nation "im Kampf gegen Fremde" auf. Die Opposition sieht das Land "in Angst und Armut" und mobilisierte so viele Menschen wie nie zuvor. Eine Wahl-Plattform "Gemeinsam 2014!" soll die Wende bringen, Ex-Premier Bajnai gilt nun als Hoffnungsträger für eine Einheit der demokratischen Regierungsgegner.

Der "Friedensmarsch" benannte Umzug von Regierungstreuen, die wieder mit großem logistischen Aufwand auch aus der Provinz und sogar aus dem Ausland nach Budapest gebracht wurden, wurde von Premier Orbán nahestehenden Personen organisiert, etwa 150.000 Personen (MTI) nahmen daran teil, deutlich weniger als noch im Frühjahr, aber wiederum mehr als bei den Veranstaltungen der Opposition, die auf 80.000 bis 100.000 kam. Die Regierung ließ von 400.000 Menschen beim “Friedensmarsch” sprechen und setzte “die Veranstaltung einer Facebook-Gruppe” auf 20.000. Die offiziöse Agentur MTI übernahm später diese Version und löschte ihre eigenen Zahlen aus. Die offiziellen Staatsakte am Vormittag wurden nur von ein paar Hundert Menschen besucht.

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Zum Thema: Entfernte Freiheit: Ungarn - ein Zustand: Gedanken zu einem Tag,
der kein Feiertag mehr ist
ZUM BEITRAG
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Das dem Marsch vorangestellte Motto "Wir wollen keine Schuldensklaven sein!", reiht sich in die Anti-ÌWF und Anti-EU-Kampagne der Regierung ein, die der EU die Schuld an den sozialen und wirtschaftlichen Problemen gibt, weil "diese ihre Krisen nicht lösen kann." Ungarn, werde "nicht ein Jota von seinem Kurs abweichen", auch das Bild von der EU als der "neuen Sowjetunion" wurde wieder von einem Regierungsvertreter bemüht. Umschmückt wurde der Aufmarsch mit Treubekundungen und Personenkult um Regierungschef Orbán sowie den üblichen Transparenten zum magyarischen Abwehrkampf gegen Fremdmächte.

Der Premier hielt der Masse am frühen Abend eine Rede vor dem Parlament, darin die üblichen Fremdschuldthesen sowie nicht endendes Eigenlob und die Vereinnahmung der Märtyrer von 1956 für das eigene ideologische Lager, deren vergossenes Blut "heilig" sei. Ungarn sei 1956 den Weg der Wahrheit gegangen, jene, die diesen Weg nicht gingen, wurden erst 1989 gestürzt und schließlich, 2008, brach auch die "imperiale Weltmacht, basierend auf Schulden" zusammen.

Die EU behandelt Ungarn, das sich doch so kooperativ zeige, "nicht mit dem nötigen Respekt", man werde sich nicht "von Ausländern die Regeln vorschreiben lassen". Ungarn befindet sich in einem "Kampf gegen das Fremde...". Zumal die EU, gefangen in ihren Dogmen, die Krise nicht meistern können wird. Brüssel stehe mal auf der Bremse, mal auf dem Gas und finde keine Richtung. Er wolle nicht, dass Ungarn die Bürden dieser Krise der Anderen tragen müsse und man werde auch keine Doppelstandards akzeptieren.

2010 wäre Ungarn von Europa beinahe in den Ruin getrieben worden, doch dann wendete sich das Blatt, nun endlich, 20 Jahre nach der Wende, habe Ungarn eine ihm würdige Verfassung, 90 Jahre nach Trianon würden Hunderttausende Ungarn außerhalb der Grenzen ihre Staatsbürgerschaft zurückbekommen. Dazu präsentierte Orbán 1956er Veteranen, die heute im Ausland leben und die ungarische Staatsbürgerschaft nach dem neuen Gesetz angenommen haben. Die Slowakei wurde dafür ausgebuht einer Hundertjährigen im Gegenzug die slowakische entzogen zu haben.

Er, Orbán, hätte dafür gesorgt, dass die Schulden abgebaut werden, dass 200.000 Menschen Arbeit finden, statt staatlicher Hiflszahlungen, dass die Steuerbelastung für Familien sinkt, dass der Mindestlohn spürbar angehoben wurde, die Renten sicher seien. Freilich sei der Berg, der zu besteigen ist, hoch, aber: man sei auf dem Weg nach oben.

Nur wenige Steinwürfe davon folgten mehrere Zehntausend Menschen dem Aufruf von Milla und Szolidaritás, zwei außerparlamentarischen Oppositionsbewegungen, die aus Protest gegen die Orbán-Regierung entstanden waren. Hierzu gab es widersprüchliche Zahlenangaben, oppositionelle Medien sprachen von 100.000, was wir für leicht übertrieben halten, doch war es in jedem Fall die größte Antiregierungsdemonstration seit Fidesz an die Macht gekommen ist, unsere Schätzung liegt bei 70.000 bis 80.000 und damit etwa ein Drittel über der Demo am 15. März. Auf Transparenten waren Putin-Orbán-Gleichsetzungen zu sehen und Losungen wie: Raus mit der Mafia aus dem Land. Als Motto prangte ein “Sei dabei!” auf der Bühne.

Die meisten Redner forderten ein striktes Ende der Orbán-Regierung, die das Land politisch, wirtschaftlich und sozial ruiniert und die Republik "gestürzt" habe. Dazu brauche es die Einigkeit aller vernünftigen Menschen. Orbán habe sowohl die Ideale von 1956 als auch die von 1989 verraten. Ex-Premier Gordon Bajnai kündigte mit einer Rede - wie im Vorfeld angekündigt - seine Rückkehr in die Politik an.

Die Regierung müsse weg, sie habe das Land in Angst und Armut gebracht. Eines Tages werden wir unsere Kinder um Vergebung für eine solche Regierung bitten müssen, so Bajnai. 2014 ist nicht nur eine Wahl, sondern dort müsse das Schicksal des Landes gewendet werden, auch von jenen, die 2010 noch anders wählten. Um die Orbán-Regierung loszuwerden, bedarf es einer neuen Mitte, diese Bewegung müsse den Grünen, den Linken, den Verzweifelten, den Unentschlossenen und allen, die Ungarn in eine falsche Richtung gehen sehen, eine Plattform bieten, so Bajnai. "Diese Regierung kann nur mit politischen Mitteln abgelöst werden." Doch die Hoffnung, die es gelingen kann gibt es, aber, es kann nur gemeinsam gelingen, sagte Bajnai.

Die Sprecher der Bewegungen Milla und Szolidaritás sprachen ebenfalls von einer gemeinsamen Plattform, was offen hält wie genau die Wahlkooperation dann aussehen würde. Eine neue Partei solle jedenfalls nicht gegründet werden, es wurde dagegen die "Gemeinsam 2014!"-Bewegung ausgerufen, die seit einigen Stunden auch im Internet erreichbar (http://www.facebook.com/egyutt2014) ist und rasant an Zustimmung gewinnt.

Mehr zur Person Bajnai, seinem Comeback und der Gemengelage im Oppositionslager.

 

 

Auch die Chefs von MSZP und DK, Parteichef Mesterházy und Ex-Premier Gyurcsány, betonten auf ihren Veranstaltungen, die zahlenmäßig gegen die obigen beiden jedoch verblassten, die Notwendigkeit von einer Allianz der Opposition. Während die MSZP darin jedoch selbst die Führungsrolle beansprucht, empfahl Gyurcsány seinen Nachfolger Bajnai als gemeinsamen Kandidaten der Opposition für die Wahlen 2014. Eine Empfehlung, die aufgrund der miserablen Reputation Gyurcsánys eher kontraproduktiv wirken dürfte. Mehr zum “Hühnerhaufen Opposition”.

Die Neofaschisten von Jobbik postulierten, praktisch eine Straße neben Milla, wieder die "Welteroberungspläne der Juden", die "Kriminalität der Zigeuner" und das auch diese Regierung Teil der Verschwörung gegen das Magyarentum sei. Parteiführer Vona präsentierte einen 16-Punkte-Plan zur Rettung des Landes, darin auch die Einführung der Todesstrafe. Zuvor hatten Jobbik-Aktivisten den Grenzübergang zur Slowakei blockiert, aus Protest gegen ein Werbeplakat für ein Bauprojekt einer slowakischen Firma in der ungarischen Grenzstadt Rajka mit den Namen "Bratislava VI". Am Abend zogen mehrere tausend Anhänger der Neonazi-Partei mit Fackeln durch das Zentrum von Budapest. Zuvor gab es kleinere verbale Zusammenstöße zwischen Neonazis und von der Elisabeth-Brücke abziehenden Milla-Demonstranten, ein Journalist wurde von Nazis auch körperlich angegriffen, die Polizei stellte sich mit doppelten Reihen dazwischen.

red.

Fotos: Pester Lloyd (c) Milena Berks

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