(c) Pester Lloyd / 49 - 2012 BILDUNG 07.12.2012
Etappensieg
Gerichtsurteil gegen schulische Segregation von Roma in Ungarn
Ein Gericht im nordungarischen Eger hat am Donnerstag ein Urteil gefällt, mit dem die Existenz von Ausgrenzung, Diskriminierung und amtlichem Rassismus in Ungarn belegt wird. Das ist ein Teilerfolg, allerdings ist die Segregation ein flächendeckendes Phänomen, ein reglrechter Systemfehler und nicht nur ein Einzelphänomen in einem von Neofaschisten regierten Ort.
Nach Aussage des auch für Romaangelegenheiten zuständigen Ministers für "Human Ressources" gibt es keine Diskriminierung von Roma in Ungarn, schon gar nicht von Amts wegen. Die Stiftung "Den Kindern eine Chance" hat Fälle von schulischer Segregation von Romakindern an der örtlichen Schule in Gyöngyöspata nun zur Anklage gebracht, der Prozess lief seit Ende September.
Das Gericht hat am Donnerstag festgestellt, dass die Ausgliederung eigener Romaklassen an der Schule illegal ist. Die Schule wird von der Kommune getragen, Bürgermeister ist ein Politiker der neofaschistischen Partei Jobbik. Außerdem wurde festgestellt, dass Schüler ohne entsprechende Begutachtung bzw. Begründung in niedrigere Klassenstufen eingestuft wurden als ihre Altersgenossen. Beide Maßnahmen sind rückgängig zu machen und auch alle anderen segregierenden Aktionen abzustellen, so das Gericht. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Die Schulleitung und die von der neofaschistischen Jobbik geführte Gemeindevertretung verneinen nach wie vor, die mit Zeugenaussagen und Videobeweisen belegten Berichte sowie die Ermittlungen eines parlamentarischen Ombudsmannes und mehrerer NGO´s. Romakinder werden danach gezielt in "gesonderten Klassen" konzentriert, unabhängig von Verhalten, Leistung und Begabung. Sie müssen von Plastikgeschirr essen, während die "Ungarn" von Porzellan tafeln, müssen im Schwimmunterricht zuschauen, weil sie, so die Aussage eines Lehrers, "sonst das Wasser verschmutzen". Ein Video zeigt, wie bei einer Schulveranstaltung die Romakinder in der Aula separat hinein- und hinausgeführt werden. Auch ein regierungstreuer Fernsehsenders hatte durch Fälschungen und Falschdarstellung versucht, die Zustände zu beschönigen, was auch ein gerichtliches Nachspiel hatte.
Segregation im Schulbereich ist in Ungarn, aber auch in der Slowakei und in Teilen von Tschechien allerdings ein flächendeckendes Phänomen und existiert schon seit Jahrzehnten. Sie ist häufig von den Eltern initiiert, von den Schulen und Kommunen geduldet. In Einzelfällen haben Gerichte den Betroffenen ihr Recht zuerkannt, an der Gesamtsituation hat sich jedoch nichts geändert. Dabei ist gerade der Bildungszugang einer der Schlüssel für eine Perspektive gegen die über Generationen verfestigte Verelendung.
Das Eingeständnis der Existenz von strukturellen Abwehrmechanismen seitens der Mehrheitsbevölkerung gegen die Integration der Roma ist nur ein erster Schritt, ein kleiner Etappensieg zu deren Abstellung. In Ungarn braucht es dazu Bürgerbewegungen und Gerichte, weil Politiker dazu nicht bereit sind, lieber schon, versucht man das Problem mit Law-and-order Maßnahmen zu “lösen” und publikumswirksam einen Deckel über die Probleme zu stülpen. Dabei ist es schlicht unmöglich, von den Eltern der Romakinder die Einhaltung ihrer elterlichen Pflichten zu verlangen, wenn man ihren Kindern nicht gleichzeitig ihre Rechte gewährt.
Im Rahmen der "Nationalen Romastrategie" werden zwar auch bildungsfördernde Maßnahmen gesetzt, die wirken jedoch punktuell, vor allem im höheren Bildungsbereich und greifen nicht auf die Lösung der Grundprobleme beim freien und gerechten Zugang zur Grundbildung. Im Gegenteil, hier findet eher eine Art Elitenabsonderung statt, die sich eher der Assimilierung der so Geförderten widmet, statt eines prinzipiell neuen Ansatzes in der Breitenförderung.
Gyöngyöspata war im Frühjahr 2011 durch rechtsextremistische Randale und Nötigung bekannt geworden, wochenlang haben Neonazi-Garden die Polizeigewalt in dem Ort übernommen, erst spät schritt die Staatsmacht ein. Hier mehr dazu.
Mehr zum Thema (Auswahl):
Hier der Kallai-Bericht über "Amtlichen Rassismus" in Gyöngöyspata - 2012
"Keine Spur von Zwangsarbeit" - 2012 Im Gespräch mit dem Staatssekretär für Romafragen in Ungarn
Hätte, müsste, könnte - Nov. 2011 Ungarns "Romastrategie" ist fertig und am Ende
Klage gegen Minister - Feb. 2010 Zivilorganisation verklagt Bildungsministerium wegen der Ausgrenzung von Roma an Schulen
Präzedenzfall gegen Schulghettos - Juni 2010 Oberstes Gericht verurteilt Kommune in Ungarn wegen Diskriminierung von Roma
Mehr zur Situation der Roma in Osteuropa -2012
Stephans Traum - 2012 Ein Besuch bei den Roma in der "ungarischen" Ukraine
Vaterlandslose Gesellen - 2009 Stereotyp und Bedrohung: Wie sich die Mehrheitsgesellschaft ihre "Zigeuner" erschaffen hat
Computer im Nirgendwo - 2009 Wie man den Roma in Ungarn nicht hilft
red.
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