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(c) Pester Lloyd / 30 - 2013   WIRTSCHAFT 25.07.2013

 

Teurer Feldzug

Hat Ungarn seinen "Krieg gegen die Schulden" verloren?

Die Europäische Statistikbehörde Eurostat gab am Montag die aktuellen Schuldenquoten der Mitgliedsländer im Quartal 1 / 2013 bekannt. Ungarn nimmt dabei wieder einmal eine Sonderstellung ein: es ist das einzige Land der EU, in dem die Schulden gleichzeitig steigen und sinken! Budapest zahlt die Zeche für "unorthodoxe" Wirtschaftspolitik und "kreative Finanzmarktinstrumente". "Alles Lüge!" schreit die Regierung zurück, die Schulden steigen gar nicht...

Bruttoverschuldung des Staates im Verhältnis zum BIP

Nicht unerwartet stiegen die Schuldenquote in den EU-Staaten weiter, im Süden teils zweistellig und in Summe auf eine Quote von mittlerweile 92,2% der Wirtschaftsleistung der Gemeinschaft. Nur wenigen Ländern gelang eine Reduzierung der Staatsschuldenquote. Dass die Volkswirtschaften jährlich Abermilliarden des Steueraufkommens, also der Leistung der Bürger, den Banken und anderen Finanziers in Form von Zinsen in den Rachen werfen, an diesem Prinzip wird sich - trotz der gerade durchlebten Finanzkrise - wohl nichts ändern, zu duldsam das Volk, zu mächtig die Lobby, zu gekauft die Politik.

Neue Landesrekorde bei Zinszahlungen und Schuldenquote

 

Wie auch immer, auch Ungarn, dass sich seit 2010 regierungsamtlich im "Krieg gegen die Schulden" befindet, musste einen herben Rückschlag hinnehmen. Konnte man 2011/2012 die Quote von 81,8 des BIP mühsam auf 79,2% drücken und auch das nur unter Einsatz von rund 10,5 Mrd. EUR privater Rentenbeiträge, die man kurzerhand verstaatlichte, meldet die Statistik für das 1. Quartal 2013 einen dramatischen Anstieg um 3,2 Prozentpunkte auf 82,4%. Damit hat Ungarn einen neuen Landesrekord aufgestellt und sogar die Schuldenquote der "Sozialisten" überflügelt. Auch die für Zinszahlungen aufgebotenen Steuermittel erreichten ein neues Allzeithoch. Ungarns Staatsschuldenquote liegt dabei fast doppelt so hoch wie die vergleichbar entwickelter Staaten der Region (Rumänen 38%, Bulgarien 18%, Tschechien 48%, Polen 57%, Slowakei 55%) und macht das Land damit zum Schlusslicht im mittleren Osteuropa.

Die Parteisprecherin keift, das Ministerium eiert

Stimmt nicht, sagt die Regierungspartei. "Jeder weiß doch, dass die ungarischen Staatsschulden auf einem abnehmenden Pfad sind.", korrigiert Fidesz-Parteisprecherin Gabreille Selmeczi die Statistiker und die Mathematik. Die Behauptung musste indes als Beleg genügen, denn viel mehr konnte Selmeczi nicht zur Untermauerung ihrer These beisteuern. Aber: "Die Behauptung, dass die Staatsschuld in Ungarn nicht fällt, ist einfach eine Lüge!" Denn wie sonst konnte die Ratingagentur S&P Ungarn von der Liste der zehn am stärksten gefährdeten Pleitekandidaten nehmen? Ungarn liegt dort nun auf Platz 18.

Das Wirtschafts- und Finanzministerium eierte in einem Statement vom Dienstag herum: nunja, man müsse anerkennen, dass Schuldenstände "schwanken" könnten und man die Sache langfristiger betrachten solle und nicht auf monatlicher Basis (Eurostat tat dies auf Quartalsbasis im Jahresvergleich). Immerhin habe man Anfang des Jahres eine Reihe von Forint-Anleihen begeben, was die "nominelle" Staatsschuld möglicherweise kurz erhöhe, aber doch nur, um alte Schulden abzulösen.

Der Forint rutscht nicht von allein...

Schon
seit Februar ist der Schuldensprung allerdings dokumentiert: und vor allem eine Folge des Abschmierens des Forintkurses, der die Bedienung von ausländischen Staatsschulden entsprechend verteuert und sie auch in der Bewertung erhöht. Dass der Forint derart unter Druck geraten konnte, ist indes eine direkte Folge der "unorthodoxen" Finanzmarkt- und Wirtschaftspolitik der Regierung Orbán und kein kosmischer Unfall.

Ständig neue Belastungen für die Banken, die Einverleibung der Zentralbank unter direkte Regierungsaufsicht, die Ankündigung und Umsetzung "kreativer Finanzmarktinstrumente", der Rausschmiss des IWF sowie der Versuch, vom Staat übernommene Kommunalschulden per Gesetz zu reduzieren (Stichwort: partieller Staatsbankrott), dazu eine offen plündernde Klientelpolitik, gepaart mit planwirtschaftlichen Retroaktionen, die nicht gerade belebend auf das allgemeine Wirtschaftsklima wirken, hinterlassen natürlich ihre Spuren am Wechselkurs einer kleinen, alleinstehenden Währung.

Bei einem Forint unter 285 zum Euro und einem BIP-Wachstum von stabil jährlich über 1,5% ist eine Schuldenreduzierung wahrscheinlich, alle anderen - leider näherliegenden - Szenarien weisen eher auf eine weitere Verschuldung.

Ist der Krieg gegen "den Finanzmarkt" wirklich gewollt gewesen?

Wir haben es an dieser Stelle immer wieder betont: der Wille, ein krankes, asoziales, irrwitziges System, was unser Schuldenfinanzierungssystem zweifellos ist, zu verlassen, mag ehrenwert sein, bedarf aber einer soliden und cleveren Politik und vor allem einer tragfähigen Wirtschaftsbasis. Ungarn hat nichts davon vorzuweisen und auf dem Weg dorthin nur Rückschritte gemacht. Man muss feststellen, dass Orbán zwar den Krieg gegen Banken und Schuldenlogik erklärte, sich seinen Gegnern aber nie wirklich stellte. Ihm fehlt die fachliche und charakterliche Befähigung, komplexe ökonomische Strukturen zu durchschauen und zu lenken. Daraus ergibt sich eine gefährliche Schieflage der Ökonomie,
die hier näher beschrieben ist und sich bei einem Streifzug durch die Wirtschaftsspalten dieser Zeitung noch genauer erkärt.

Orbán benutzt seine Kriegsrhetorik vom "Befreiungskampf" als Show für sein Volk und zeichnet das Feindbild vom bösen Finanzmarkt hier und dem Ungarn, das auf eigenen Beinen stehen will, da, um in dessen Schatten seine Netzwerke aufzubauen und Pfründe und Macht zu zementieren. Die Ablösung des schuldenfinanzierten Wirtschaftsmodells ist dabei gar nicht sein Ziel, nur möchte er diesmal der Gläubiger sein, weil er weiß, welche Macht einem daraus erwachsen kann. Offiziell heißt das dann: “strategisches Ziel im nationalen Interesse” und
50% des Bankenmarktes soll unter “ungarische Kontrolle”.

Preis für verlorene Feldzüge

Die Opposition sieht sich in ihren Mutmaßungen natürlich bestätigt und stellt fest, dass "die Ungarn den Preis für Orbáns verlorene Feldzüge" zu zahlen haben. Zwar gab es am laufenden Band Sparpakete und zu Hauf Steuererhöhungen für Wirtschaft und Bürger (Budget 2013 mit insgesamt 7 Anpassungen), doch das Wichtigste hat die Regierung mit ihren "unorthodoxen Maßnahmen" versäumt: den Aufbau von Vertrauen bei Investoren, Unternehmen, Bürgern und Märkten, moniert die Wahlallianz Gemeinsam 2014.

Die objektive Bewertung der vorliegenden Daten gibt der Opposition weitgehend recht. Ungarn hat den Krieg gegen die Schulden noch nicht verloren, aber auch keinerlei strukturelle Fortschritte gemacht, auch wenn die Regierung das Gegenteil behauptet. Im Verbund mit den
strukturellen Schäden, die an Demokratie und Rechtsstaat angerichtet wurden, sind Ungarns Perspektiven heute schlechter als jemals seit der Wende.

cs.sz.

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