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(c) Pester Lloyd / 40 - 2013   WIRTSCHAFT   02.10.2013

 

"Kulturgut" Tierquälerei

Ungarn verbannt Tierschützer und adelt Gänsestopfmast zum "Hungaricum"

Der Dauerclinch zwischen dem Landwirtschaftsministerium, dem Lobby-Verband der Gänse- und Enten(leber)züchter in Ungarn sowie der Tierschutzorganisation "Vier Pfoten" geht in eine nächste Runde. Die ungarischen Offiziellen untersagen den Tierschützern, für sie "Vertreter der westlichen Lebensmittelmultis" den Zugang zu Höfen und Fabriken und belegen sie mit Schadensersatzklagen, diese sehen für nichts davon eine rechtliche Handhabe, denn die Produzenten machen alle freiwillig mit.

Die Zangsmast von Gänsen ist wirklich kein Ruhmesblatt “menschlicher Zivilisation”,
das Produkt schaffte es aber in die Ruhmenshalle ungarischer Nationalschmankerln

Offenbar versuchen die gut vernetzten Lobbyisten der ungarischen Stopfleberproduktion die Tierschützer am Aufbau eines Netzwerkes mit ungarischen Züchtern und Verarbeitern zu hindern, die von Zwangsmast und Lebendrupfen Abstand nehmen wollen. Vier Pfoten hatte früher vor allem in Österreich und Deutschland Handelsketten angeprangert, die Geflügel aus Stopfmast im Angebot hatten, seit einigen Jahren die Strategie aber dahingehend geändert, dass man die Konsumenten über eine "Positivliste" auf jene Erzeuger und Händler lenken will, die sich von den tierquälerischen Praktiken losgesagt haben.

Nach Angaben von Vier Pfoten hätten sich mittlerweile "hunderte" Züchter und Verarbeitungsbetriebe in Ungarn und Polen ihrer Initiative angeschlossen, was das Landwirtschaftsministerium in Budapest so interpretiert, dass die Tierschützer ungarische Gänse- und Entenfleischproduzenten "belästigen" und zwar nicht im Interesse der Tiere, sondern im Auftrag der "deutschen und österreichischen Lebensmittelbranche". Das Landwirtschaftsministerium in Budapest teilt außerdem mit, dass gegen "Vier Pfoten" eine Reihe von Schadensersatzverfahren anhängig wären, ohne aber konkrete Fälle zu benennen. Jedenfalls untersagte das Ministerium nun, über den zuständigen Branchenverband, den Tierschützern formal den Zugang zu den Höfen, z.B. für Kontrollen der dortigen Haltungsstandard, einschließlich Foto- und Videoaufnahmen.

Heile Welt, glückliche Gans (1.v.l.): so sieht man es in Ungarn gerne. Hier beim “Gänseleberfestival” 2012 in der Budaer Burg. Auch in diesem Jahr fand eines statt, Anfang September, im V. Bezirk von Budapest.

Der Verein sieht dafür keine rechtliche Handhabe, die teilnehmenden Höfe machten freiwillig mit und wem sie warum Zugang gewähren, gehe das Ministerium nichts an. "Vier Pfoten" betont, dass man die tierquälerischen Praktiken ablehne, der Wunsch nach Transparenz komme jedoch vor allem von den Verbrauchern, die beim Kauf von Daunenkissen oder Geflügelfleischprodukten keine "bösen Überraschungen" erleben wollen, in dem sie dann erfahren, dass die Produkte aus Tierquälerei entstanden seien. Die Listen helfen letztlich den fairen Erzeugern. Gabriel Paun, Kampagnenleiter bei "Vier Pfoten" sagt dazu: "Es handelt sich hierbei um ein Projekt, an dem sie freiwillig teilnehmen, und das Ministerium sollte sich da nicht einmischen. Wir haben Verträge mit den größten Unternehmen in Ungarn, und sie garantieren uns freien Zugang zu all ihren Betrieben ohne vorherige Anmeldung. Unangekündigte Kontrollen sind üblich bei höheren Tierschutzstandards, wie zum Beispiel auch bei biologischer Landwirtschaft."

Während "Vier Pfoten" seine Initiative auch auf Frankreich, sozusagen die Mutter des Gänsestopfens, ausdehnen will, machen die ungarischen Behörden dicht. Mit dem Argument, es handele sich bei Gänsestopfleber und der Art und Weise der Mast und Haltung um ein "Kulturgut", eine lange bäuerliche Tradition, die "über 20.000 Familien Arbeit und Einkommen" gibt, ist es noch nicht genug. Der Lobbyverband ließ sogar Gutachten erstellen, wonach die Tiere die Zwangsmast freiwillig wünschten und das apathische Herumliegen nach der Prozedur mit dem Füllschlauch nichts weiter sei, als ein wohliges Sättigungsgefühl (siehe Links unter dem Text). Die Ausländer haben von alledem wiedermal keine Ahnung und die bösen Multis wollten die kleinen ungarischen Erzeuger mit der Tierschutzkeule totschlagen, so der - landestypische - Opfermythos, Grundtenor auf den zwischen Stolz und Weinerlichkeit schwankenden Veranstaltungen des Branchenverbandes.

 

Vorige Woche erhob eine zentrale, staatliche Kommission "Gänseleberprodukte" aus Ungarn in den Rang eines "Hungaricums", der Ruhmeshalle der Nationalgenüsse, womit die ungarische Gänsestopfleber nun in einer Reihe mit Pálinka, Unicum, Herz und Pick Salami usw. steht und bei Auslandsmessen und Exportinitiativen besonders förderungswürdig ist. Ein Großteil der ungarischen Stopfleberprodukte, über 80%, wird nach Frankreich und Belgien exportiert, die Stopfmast erzeugt praktisch mit Gewalt ein Produkt, dass die Natur so gar nicht vorgesehen hat und ist dabei auch noch viel effizienter als die artgerechte Haltung und die natürliche Produktion, verspricht also einen deutlich höheren Profit, an dem viele mitnaschen, was die Heftigkeit der Bemühungen der Stopfleberlobby erklären hilft.

Ob der Verzicht auf Gänse- oder Entenstopfleberprodukte, die gastrosophisch in der klassischen französischen Küche durchaus eine nicht unwesentliche Rolle spielen, einen wirklichen Kulturverlust darstellte, ist eine Frage, die nur eine elitäre Minderheit interessieren dürfte. Sie den Qualen der Kreatur gegenüberzustellen, sollte die Beantwortung erleichtern, zumal die Alternative der naturbelassenen Produkte der Kreativtät wie dem Genuss keine Grenzen setzt.

red. / al.

Mehr zum Thema Gänsestopfmast / Tierquälerei in der Geflügelbranche

Goldene Gänse - Sep. 2010
Der Gänsestopfleber aus Ungarn konnte die Krise nichts anhaben
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http://www.pesterlloyd.net/2009_05/0905stopfleber/0905stopfleber.html

Regierungsaussendung zur Aufnahme von "Gänseleberprodukten" ins "Hungaricum" vom 25.9.2013
http://www.kormany.hu/en/ministry-of-rural-development/news/four-new-products-add ed-to-hungaricum-list

Mehr zur Arbeit des Landwirtschaftsministeriums

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Bodenoffensive - Nov. 2012
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http://www.pesterlloyd.net/html/1246bodenoffensive.html

red.

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