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(c) Pester Lloyd / 42 - 2012   WIRTSCHAFT 15.10.2012

 

Fruit Ninja

Ungarn entmachtet Wettbewerbsamt und legalisiert Preiskartelle

"Was kann mir das Wettbewerbsamt schon anhaben?!" - das fragte der Staatssekretär für "Nationales Wohlergehen" im Landwirtschaftsministerium, Guyla Budai, als die Antikartell-Behörde GVH ihn mit der von ihm initiierten Errichtung eines Preiskartells für den Markt von Wassermelonen konfrontierte und - vorschriftsgemäß - ein entsprechendes Verfahren gegen die Beteiligten einleitete. Das Problem wurde auf eine in Ungarn heute typische Weise “gelöst”.

Melonenkommissar Budai präsentiert den Händlern ein Kartell auf dem Silbertablett.

Die Antwort gab das ungarische Parlament in der Vorwoche: Nichts kann ihm das Wettbewerbsamt anhaben. Denn die Regierungsmehrheit legalisierte rückwirkend die eigentlich wettbewerbswidrigen Preisabsprachen für diesen Markt und stellte damit auch die Verfahren des GVH gegen die Beteiligten ein. Offiziell geschah dies auf Antrag eines Vertreters der Melonenproduzenten. Diese hatten sich im Frühjahr mit Budai und ein paar Handelsketten zusammengesetzt und im "nationalen Interesse" einen Mindestkilopreis für die Wassermelonen vereinbart. Auch wurde "angeregt", die Einfuhr von anderen Melonen, z.B. aus den Nachbarländer oder auch aus Italien, einzustellen, aus nachvollziehbaren Gründen, doch war auch dies ein deutlicher Verstoß gegen die Regeln des EU-Binnenmarktes.

Freibrief für Klientelpolitik in der Landwirtschaft

Doch mit der nachträglichen Legalisierung nicht genug, gaben die Parlamentarier dem Staatssekretär gleich einen kompletten Freibrief: ab sofort kann das Ministerium "Preiskartelle" im Agrarbereich und den daraus entstehenden Produkten selbst legalisieren, ja das Wettbewerbsamt muss das Ministerium nun vor einer Verfahrenseröffnung um seine "Meinung" bitten. Schon heute muss das GVH kartellverdächtige Landwirtschaftsbetriebe vorwarnen und ihnen mitteilen, dass "ihr Verhalten gegen die Marktregeln verstößt".

Die Wettbewerbsregeln des GHV hätten jedoch nicht "in Betracht gezogen", dass es sich "in der Landwirtschaft um einen saisonalen Markt handelt", "dessen Erträge wetterbedingt sehr schwanken". Dieser "Mangel" im System sei nun behoben. Auf Deutsch: uns fiel keine schlüssige Begründung für unsere Klientelpolitik ein, da wir aber sowieso eine 2/3-Mehrheit im Parlament haben, müssen wir auch nichts schlüssig begründen. Das GVH kann die Abteilung Landwirtschaft nun getrost schließen, es übernimmt der Melonenkommissar Budai, der wird besser wissen wer Hilfe nicht nur braucht, sondern sie sich auch verdient hat...

Der als Orbáns "Sozialistenjäger" kläglich gescheiterte Budai hat nach seiner vorzeitigen Ablösung vom Posten des "Sonderkommissars" die Gnadenstelle als “Melonenkommissar” im Landwirtschaftsministerium genutzt, um nun als behördlicher Fruit Ninja mit martialisch ausgeschmückten und medial aufgebrezelten Razzien auf Großmärkten "ausländische Billigkonkurrenz" zu erschrecken und sich "für die Interessen der ungarischen Produzenten und Händler" einzusetzen. Illegale Umetikettierung von rumänischen oder slowakischen Billigsteinfuhren, der Preisdruck der Handelsketten, machen den ungarischen Produzenten sicher zu schaffen, unterscheiden sich jedoch nicht von den Sorgen anderer Produzenten.

Die Landwirtschaft hat ganz andere Sorgen und Nöte

Im Vergleich mit den wirklichen Baustellen der ungarischen Landwirtschaft sind sie sogar eher klein: eine große Dürre sorgt in diesem Jahr für Ernteausfälle und Existenznnot bei hunderten Produzenten sowie vermutlich ab Winter zu massiven Preisanstiegen bei Grundnahrungsmitteln, was eine soziale Katastrophe bedeutet. Mehrwertsteuer-Betrügereien rund um die seit Jahren ungestört agierenden Reimport-Karrussels - vor allem im Fleischhandel - gefährden die Balance sowohl der Produzenten als auch des Staatshaushaltes. Es gibt Serienpleiten bei Lebensmittelherstellern und drohende Milliarden-Kürzungen beim EU-Agrarbudget ab 2014. Nicht zuletzt ist auch die politisch besonders betonte Frage der Taschenverträge rund um die Bodenspekulation eine, die viel Aufmerksamkeit und Arbeitsaufwand kosten sollte, wenn sie denn das "nationale Interesse" ausreichend befriedigen soll.

Ein Mindestverkaufspreis nutzt dem Erzeuger gar nichts

Doch in wessen Interesse sind die Preiskartelle in der Landwirtschaft? Der Verbraucher zahlt dadurch zunächst höhere Preise, als sie auf dem freien Markt zu finden wären. Für ihn ist die Regelung also nicht bestimmt. Auch der ehrliche kleine Bauer, der Erzeuger, kann auch nicht gemeint sein, denn die Festlegung eines Mindestverkaufspreises im Supermarkt wie bei diesem Kartell geschehen, sagt rein gar nichts über den gezahlten Erzeugerpreis aus. Eher schon wird hier eine gewisse Handelsspanne amtlich garantiert, die automatisch regionalen Strukturen entgegenkommt, wie man sie aus der süditalienischen Provinz kennt. Wieder ertappen wir also die Regierungspartei bei reiner Klientelpolitik im nationalen Mäntelchen.

Die Exekutive hat immer Recht...

Die Konzentration des Staatssekretärs auf die Melonen-Frage ist also mehr als der PR-Schaukampf eines mit der Gesamtthematik überforderten Karrieristen, dem man offenbar diese Nische zugeteilt hat, damit er anderswo keinen politischen Schaden mehr anrichten kann. Der ist gleichwohl eingetreten, denn das Zeichen, dass das Parlament aussendet ist fatal: 1. Gesetze, die nicht passen, werden ignoriert und dann passend gemacht. 2. Die Exekutive hat immer recht, auch wenn sie gegen geltendes Recht verstößt.

 

Setzt sich aber die Exekutive dauerhaft und in vielen Bereichen der Gesellschaft über Judikative und Legislative gleichermaßen hinweg (und es gibt dafür bereits ein halbes Dutzend einschlägiger Beispiele von Justiz bis Bildung) und gibt es auch sonst keine demokratischen Kontrollorgane mehr, wie einen parteiunabhängigen Präsidenten etc., die für entsprechenden Einhalt sorgen, sind eigentlich schon alle Schutzmauern zur Diktatur eingerissen. Deshalb ist die zunächst so marginal scheinende Melonenfrage als Indiz für die weitere Aushöhlung des Rechtsstaates in Ungarn ernst zu nehmen und gehörte daher auch auf europäischer Ebene behandelt.

red.

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