THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 33 - 2014 POLITIK 11.08.2014

 

Kleine Deals unter "Freunden": Sucht Ungarn bei russischen Sanktionen einen Sonderweg?

Interessensvertreter der ungarischen Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie machen Druck auf die Regierung. Die soll Sonderkonditionen für Ungarn im Rahmen des Sanktionspokers zwischen den Großmächten rund um den Konflikt in der Ukraine aushandeln. Durch die "Ostöffnung" und den Atomdeal mit Putin sieht sich Orbán womöglich in einer Position, solche Sonderlösungen mit Moskau hinter dem Rücken der EU auszuhandeln. Eine gefährliche Selbstüberschätzung, warnt die Opposition.

10 Mrd. EUR Kredit für Ungarn. Putin hat Orbán in der Hand.

Auch bei den aktuellsten Entwicklungen im Ukraine-Konflikt zeigt sich das Dilemma der Regierung Orbán, das sich auf der einen Seite durch die NATO- und EU-Mitgliedschaft und auf der anderen Seite durch die "neue strategische" Ausrichtung, die "Ostöffnung" ergibt, bei der Russland eine zentrale Bedeutung zukommt, die sich durch den 10 Mrd.-EUR-Atomdeal samt Kredit bereits sehr handfest manifestiert hat.

Orbán versuchte immer wieder - wenn auch vorgetäuscht unabsichtlich -
Werbung für die russische Position im Ukraine-Konflikt zu machen, während sein Außenamt gebetsmühlenartig die "europäische Solidarität" und die "Integrität der Ukraine" abspult und ansonsten hauptsächlich auf die Problematik der ethnischen Ungarn in der Westukraine abstellt. Zusätzlich erklärt man immer wieder, dass Sanktionen generell kein gutes Mittel des "Konfliktmanagements" seien. Zur Zeit vielleicht das einzig wahre Wort aus dem offiziellen Budapest.

 

Orbán hat sein Land durch den Atomdeal mit Putin nicht nur in eine jahrzehntelange Abhängigkeit im Energiesektor manövriert, sondern auch den Staatshaushalt für die kommenden zweieinhalb Jahrzehnte eingeschnürt. Das wird noch einen hohen politischen Preis fordern und man soll dabei auch nicht vergessen, dass das System und die Person Putin Orbáns direkte Vorbilder sind, wie seine Politik und seine Äußerungen seit viereinhalb Jahren belegen.

Orbán glaubt daher, er habe deshalb einen besonders guten Stand in Moskau: Hinter den Kulissen wurden die Beziehungen zu Russland auch während der Ukraine-Krise immer weiter ausgebaut und erst vor wenigen Tagen erklärte Orbán, dass es nur "natürlich" sei, die - aus seiner Sicht übergroße - Abhängigkeit der ungarischen Ökonomie von Handelsbeziehungen mit der EU (ca. 2/3) zu Gunsten neuer Partner im Osten zu beenden. Er strebe ein Verhältnis von 50:50 an.

Doch mit dem Moskauer Importverbot für Lebensmittel und Agrarprodukte aus der EU werden diese Pläne zunächst auf Eis gelegt, zumindest offiziell. Die russischen Gegensanktionen könnten nach Schätzungen der Brancheverbände rund 1.500 ungarische Produzenten und Händler betreffen. Derzeit importiert Ungarn jährlich Waren im Wert von etwa 5 Mrd. EUR aus Russland (zu 80% Gas und Öl) und exportiert ca. 2,5 Mrd. EUR, wovon rund 1/5 auf Sanktionswaren fallen. Die Industrie- und Handelskammer MKIK (sehr regierungsnah) verlangt daher umgehend Unterstützungen, möglichst aus EU-Hilfsfonds. Man fürchtet sich dabei nicht nur um die unmittelbaren Lieferausfälle, sondern vor allem davor, dass Handelswege langfristig Schaden nehmen, wenn europäische, also auch ungarische Lieferanten nun durch alternative Zulieferer ersetzt werden.

Daher, so die MKIK, solle die Regierung umgehend ein Treffen des bilateralen Regierungs-Komitees Russland-Ungarn einberufen, um Möglichkeiten des Ausbaus der Wirtschaftsbeziehungen um die Sanktionen herum auszuloten. Diese Verklausulierung bedeutet nichts anderes, als dass die Kammer von der Regierung verlangt, Sonderkonditionen oder Kompensationsgeschäfte für Ungarn auszuhandeln und womöglich über den Handel mit Drittländern (ausgesprochen gute Beziehungen hat Ungarn z.B. mit und Kasachstan, Aserbaidshan) das Embargo umgehen zu können. Hierbei machen vor allem auch Firmen Druck, die es gerade in den letzten Jahren, eben im Rahmen der "Ostöffnung" nach oben spülte und die teilweise nur wegen dieser neuen Handelsbeziehungen entstanden sind. Dass diese nicht selten von regierungsnahen Gestalten geführt werden, verwundert nicht. So bekommt Orbán also auch Druck aus den eigenen Reihen zu spüren, die ihre Felle davonschwimmen sehen.

Einig sind sich beide politische Blöcke in Ungarn immerhin, dass der Mechanismus gegenseitiger Sanktionen auf Seiten Russlands und der EU nur Verlierer hervorbringen wird, während die USA am Wenigsten direkt unter den jetzigen Einschränkungen leiden dürfte. Einige Kommentatoren versteigen sich sogar zu der Idee, dass die USA nur deshalb an der Sanktionsschraube drehen, um die EU in den Freihandelsverhandlungen in eine schlechtere Position zu bringen. Das klingt etwas unlogisch, denn Russland ist an so ziemlich allem mehr interessiert als an einer Stärkung der amerikanischen Position.

 

Die oppositionelle MSZP warnte die Regierung bereits davor "Sonderdeals" mit Russland zu suchen, nur "europäische Lösungen" könnten hier helfen. Man könne nicht erwarten aus dem mit 400 Mio. EUR befüllten Solidaritätsfonds der EU Mittel zu erhalten, wenn man der Gemeinschaft in den Rücken falle. Man habe mit dem Upgrade-Deal des AKW Paks der Gemeinschaft und dem eigenen Land schon einen Bärendienst in einer Größenordnugn erwiesen, der die Auswirkungen des Importsopss quasi zu peanuts mache. Orbán habe sich damit keineswegs in eine bessere Position gegenüber Moskau gebracht, sondern in eine devote Haltung, nur die EU könne ihm jetzt noch den Rücken stützen. Die Entfernung von europäischen Werten, die Orbán propagiert, ist dabei natürlich nicht hilfreich.

Bei Verhandlungen zur Sanktionsumgehung mit Moskau, könnten Orbán unbequeme Fragen gestellt werden. Z.B. hierzu: Geheimverhandlungen nach Lieferstopp Russlands: Ungarn will Ukraine mit Gas beliefern

cs.sz.

 

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