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(c) Pester Lloyd / 18 - 2015   GESELLSCHAFT    29.04.2015

 

Unkontrollierbarer Zugriff: Nationalparks in Ungarn in höchster Gefahr

Es bedurfte eines zweiten Anlaufes und schmutziger, legislativer Tricks, doch nun ist es gelungen: Die ungarische Regierung hat die Naturschutzgebiete des Landes quasi abgeschafft. Zunächst auf dem Papier, doch es ist nur eine Frage der Zeit und unkontrollierbarer Amtshandlungen, bis die Feudalisierung auch de facto greift. Spekulanten und Fidesz-Günstlinge reiben sich die Hände, Umweltschützer sind entsetzt.

Noch vor zwei Wochen scheiterte die Regierung mit ihrem Projekt, rund 300.000 Hektar Land, die heute von rund einem Dutzend Nationalparks verwaltet werden, dem Nationalen Bodenfonds zu unterstellen und damit auch der kommerziellen Nutzung zugänglich zu machen. Sie konnte die erforderliche 2/3-Mehrheit für die Änderung dieses Kardinalsgesetztes nicht aufbringen, auch weil sich einige Abgeordnete zu blöd anstellten. Wir berichteten.

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Überblick über die ungarischen Nationalparks, in (fidesz-)-orange die Schutzgebiete, daneben die Größenangabe in Hektar, die Grenzziehungen bezeichnen die Zuständigkeit der Direktorate. Stand: 2011, Abb.: MTI

Am Dienstag genügte jedoch eine Abstimmung von 110:57, weil das Landwirtschaftministerium einige Teile aus der Gesetzesvorlage entfernte, andere so abänderte, dass eine absolute Mehrheit genügte, damit der Bodenfonds NFA dennoch sein Ziel erreichte und nun die Verfügungsgewalt über alle in staatlichem Besitz befindlichen Natur- und Landwirtschaftsflächen erhält, einschließlich der Naturschutzgebiete. Lediglich rund 20.000 Hektar Kerngebiete, also grob 7% der jetzigen Flächen bleiben in der Verwaltung der Naturparks.

 

Diese sorgten bisher durch ihre strengen Regelungen, die sich an internationalen Standards u.a. der Natura 2000 Agenda ausrichten sowie ihr Fachpersonal u.a. dafür, dass Landschafts-, Biosphären- und Artenschutz die Priorität über die kommerzielle Nutzung erhielten - und zwar auch in den Übergangs- und Randgebieten der Areale, in denen Bauern wirtschaften und Wohn- und Tourismusinfrastrukturen vorhanden sind. hier können klein erscheinende Fehlentscheidungen, z.B. bei Bewässerungsfragen bereits üble, flächendeckende Auswirkungen zeitigen, eine Komplexitität, die sich dem NFA gar nicht erschließen kann.

Es geht um die Natur, es geht um die Kultur

Und nicht zuletzt geht es neben dem Natur- und Artenschutz bei den Nationalparks auch um den Erhalt und die Integration traditioneller Kulturtechniken und kulturelle Traditionen, die - eben nur gemeinsam - eine Landschaft prägen und so zum wirklichen nationalen Erbe des Landes verschmelzen und als solches erhalten werden können. Es ist nicht das erste Mal, dass die Realpolitik und die frömmelnden nationalen Phrasen des FIDESZ so ganz und gar getrennte Wege gehen...

Der NFA hat einen ganz anderen Ansatz als die bisher zuständigen Nationalparkverwaltungen und ist als nationaler Vermögensmanager vor allem auf Einnahmen für die Staatskasse getrimmt. Durch seine parteiliche Kontrolle eigentlich jedoch mehr auf Einnahmen für die Machthabenden. Wie der NFA arbeitet, ist
hier illustriert. Wer die Begünstigten u.a. sind, kann man hier nachlesen.

Opposition und NGO´s laufen daher gegen die neue Regelung Sturm, vor allem da sie befürchten, dass so Stück für Stück die Naturschutzgebiete aufgegeben werden, vorzugsweise für die Profitinteressen fidesz-naher Günstlinge, wie es der NFA auch bei den gewöhnlichen Agrarflächen handhabt (
Beispiel).

Vom Naturschutz bleibt am Ende nur das Etikett

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, hatte die Orbán-Regierung in den letzten vier Jahren übrigens bereits ca. 80.000 Hektar Naturschutz-Randgebiete umdeklarieren lassen und dem NFA bzw. einzelnen Kommunen zugeschlagen (hier ein Beispiel). Darauf lebende und wirtschaftende Bauern wurden "entschädigt", die Ländereien an einschlägig vernetzte Personen und Betriebe verpachtet, um EU-Förderungen abzugreifen, zu bewirtschaften oder sogar eingesessene, bis eben noch selbständige Bauern nun wie Leibeigene anzustellen. In jedem Falle wurden sie dem Naturschutz entzogen, auch wenn das Etikett erhalten wurde.

Die üblichen Argumente der Regierungsseite von "effizienterer Verwaltung", "gezielterem Einsatz von Steuergeldern" und "einheitlichen Rechtsvorschriften", etc. lassen die Gegner des Gesetzes nicht gelten, denn die NFA habe gar nicht die fachliche Expertise, diese Gebiete im Sinne des Natur- und Artenschutzes zu managen und es sei allein Aufgabe der Regierung, Mittel für den Naturschutz den entsprechenden Fachorganisationen zu übergeben, um diese damit im Sinne der Sache wirtschaften zu lassen. Die Regierung habe aber nun - zunächst auf dem Papier - die Naturschutzgebiete quasi abgeschafft, es sei nur eine Frage der Zeit und unkontrollierbarer Amtshandlungen, bis dies auch de facto umgesetzt werde.

 

NGO´s und Opposition wollen Verfassungsgericht anrufen

Die Grünen, LMP, fordern Präsident Áder auf, das Gesetz mit seinem Veto zu stoppen, da es gegen Verfassungsbestimmungen verstoße. Umweltgruppen wie der WWF, Friends of the Earth Hungary und BirdLife Hungary, warnen davor, dass unwiederbringliche Naturvielfalt verloren gehen könnte. Ungarn habe sich von einem Vorrreiter in Sachen Naturschutz in den letzten Jahren ohnehin schon zu einem Gefährder seines Naturerbes entwickelt. Das neue Gesetz setze nun das gesamte Natura 2000 Netzwerk aufs Spiel.

"Das heute angenommene Gesetz wendet sich grundlegend gegen unser Verfassungsrecht auf eine saubere Umwelt und verspielt das Recht kommender Generationen auf eine gesunde Lebensumgebung. Daher fordern wir den Präsidenten, den Ombudsmann und alle parlamentarischen Parteien auf, die Regelungen vor dem Verfassungsgericht anzufechten, mit dem Ziel, das Gesetz rückgängig zu machen." fasst Katalin Sipos, Direktorin der ungarischen Sektion des WWF die Kritik zusammen.

Gergő Halmos von Birdlife Ungarn fürchtet, dass man mit dem Gesetz "einen Scheitelpunkt erreicht" habe, von dem an "es nur noch abwärts gehen kann". Dabei wird man "nicht mehr reparieren können, was man heute verliert", nur die Wiederherstellung des einst "wirkungsvollen Systems des Naturschutzes" kann hier noch helfen.

Maulkorb für die Nationalparks

Kein lauter Protest kommt von den Direktoren und Mitarbeitern der Nationalparks selbst. Kein Wunder, diese - finanziell seit 2010 zurechtgestutzt - erhielten einen disziplinarisch sanktionierten Maulkorb. Auf Anfrage richtete man unter vorgehaltener Hand aus: "Die Nationalparks dürfen sich nur mit Erlaubnis des Landwirtschaftsministeriums äußern, bei dem das Gesetz entworfen worden ist. Logischerweise können wir daher nichts dagegen sagen. Allerdings gibt es eine Menge interner Spannungen zu dem Thema im Ministerium. Der Minister selbst hatte ja dagegen gestimmt, auch wenn er später sagte “aus Versehen”.”

red.

Ein Überblick über die Nationlparks in Ungarn (Wikipedia)

Missbrauch und Desinteresse: "Ungarn hat Umweltschutz eingestellt", meint die Opposition

red. / ms.

 

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