(c) Pester Lloyd / 29 - 2009
KULTUR 17.07.2009
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Eine Sprache auf dem Laufsteg
Ungarn sucht das schönste Wort im ganzen Land
Szépségverseny (Schönheitswettbewerb) wäre ja schon so ein geeigneter
Kandidat, wenn es um das schönste und wohlklingendste ungarische Wort geht. Doch derer gibt es eben noch hunderte andere. Das Balassi Institut für
Ungarische Kultur hat die Bevölkerung nun aufgerufen, über die Webseite
www.szoszavazo.hu zu ermitteln, welches "das" ungarische Lieblingswort ist.
Auch Worte, die es verdient hätten, kommenden Generationen erhalten zu
werden, weil sie sonst vielleicht schon allmählich im postmodernen Kauderwelsch untergingen, werden gesucht. Der Sprecher des Institutes, Géza Balázs, meint,
das ganze sei zugleich ein "wichtiger wie nützlicher Spaß" und stärke das Bewußtsein für die Muttersprache, denn auch hier sind die Menedzsér längst
eingefallen. Anlass für die Aktion ist auch der 250. Geburtstag des wichtigsten Sprachreformers der Ungarn, Ferenc Kazinczy.
Die Süße der Kindheit gleich mitgeliefert
Neben der Webseite www.szoszavazo.hu wird es auch einen Bus geben, der durch das Land fährt und Vorschläge einsammelt. Im November soll es eine
Endauswertung geben, Zwischenstände können auf der Seite eingesehen werden. Derzeit steht szerelem (Liebe), bei dessen sanfter Aussprache sich die Zunge fast
von selbst zum Kusse formt, gefolgt von édesanya (Mutter), ein Wort bei dem die Süße der Kindheit gleich mitgeliefert wird sowie szabadság (Freiheit), einfach
weil es ohne diese nicht geht, ganz oben in der Gunst der Abstimmenden. Aber auch solche Klangwunder wie cipőfűző (Bitte lassen Sie sich das mal von einem
fünfjährigen ungarischen Kind sagen - ein Traum!), auf Deutsch einfach banale Schnürsenkel, haben es den Ungarn angetan (Platz 9).
Manche Worte klingen so häßlich wie sie sind
Den hier lebenden Ausländern klingen die Ohren ohnehin ständig, wenn der
finno-ugrische Sprachtsunami magyarischer Ausformung, eine Mischung aus wildromantischem Singsang und lingualem Starrsinn, über sie hereinbricht. Und
fragte man die Expats nach dem wohl ungarischsten aller ungarischen Wörter, dann wäre das mit größter Wahrscheinlichkeit das allgegenwärtige "Nincs" (dt.:
gibts nicht), oft noch bevormundet durch ein gelogenes "sajnos" (leider), dass sich am sichersten mit dem berlinerischen "Hamwanich" übersetzen ließe und
genauso unverschämt gemeint ist. Doch "nincs" klingt eben genauso häßlich wie es ist und dürfte mit Sicherheit auch nicht vom Aussterben bedroht sein.
Außerdem fragt ja auch keiner die hier lebenden Ausländer, mitmachen können sie trotzdem.
In Deutschland machte man 2004 eine ähnliche Erhebung. Es gewann
"Habseligkeiten" vor "Geborgenheit", "lieben" und "Augenblick" sowie "Rhabarbermarmelade". Apropopos Augenblick: Wenn die hier lebenden Ausländer
sich manchesmal einen Augenblick mehr mit der ungarischen Sprache befassten, verwandelte sich auch so manches "nincs" in einen "pillanat" (Augenblick) und
Wünsche werden wahr, die vorher unerreichbar schienen.
Die Kinder wählten übrigens "Libelle" auf den ersten Platz, da kommt das
ungarische szitakötő ausnahmsweise nicht ganz mit. In einer anderen Abstimmung über besonders selten gewordene Wörter machte "Kleinod" das
Rennen. Ihm folgten weitere Kleinodien wie: blümerant, Dreikäsehoch, Labsal, bauchpinseln, Augenstern, fernmündlich, Lichtspielhaus, hold und: Schlüpfer. Der heißt im Ungarischen übrigens bugyi, was wiederum viel lustiger, aber genauso
schlüpfrig klingt, wofür es im Ungarischen sechs verschiedene Worte gibt: csúszós, síkos, sikamlós, kétértelmű, kényes, veszélyes...
M.S.
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(c) Pester Lloyd
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