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(c) Pester Lloyd / 05 - 2012      POLITIK 02.02.2012

 

"Keine Spur von Zwangsarbeit"

Im Gespräch mit dem Staatssekretär für Romafragen in Ungarn

Anlässlich der Präsentation des Films "Just the wind", des ungarischen Beitrags zur Berlinale, sprachen wir mit dem Staatssekretär für Soziale Integration und Romafragen, Zoltán Balog, über Kulturförderung und das Dilemma zwischen Theorie und Praxis der "nationalen Romastrategie". Balog, an dessen Grundhaltung keine Zweifel aufkommen, zeigt, dass er gegen die menschenunwürdigen Zustände weder die richtigen Gesetze noch wirksame Instrumente hat, auch wenn das die ungarische Regierung vor der ganzen Welt stets behauptet.

Pester Lloyd: Herr Balog, sie haben anlässlich der Präsentation des Films gesagt, dass Sie entschieden haben, zusätzlich auch von ministerieller Seite aus diesen Film zu fördern, was sonst ja nicht üblich ist, weil das über die staatliche Filmförderung läuft. Warum?

Dr. Zoltán Balog: Ich denke, dass das Thema wichtig ist und es ist wichtig, dass wir ein Phänomen, das unfassbar ist, nämlich das Menschen meinen, das Leben von anderen Menschen auszutilgen, auszurotten, meinen, dass das eine menschliche Tat sein kann, so etwas Teil ihrer Lebensvorstellung sein kann. Ich denke, dass wir diesem Phänomen in die Augen schauen müssen, die Wahrheit erkennen müssen, und jeder mit seinen Mitteln, die Kunst mit ihren Mitteln, der Staat mit denen des Staates, die Bildung mit Schulen dagegen vorgehen muss.

Sie sprachen auch von einer kulturellen Dimension in der Romastrategie, was genau meinten sie damit?

Ich denke, dass man diese Angelegenheit in einem breiteren Kontext sehen sollte. Eine Volksgruppe, die in einem solch elenden Zustand ist, völlig am Rande der Gesellschaft, das kann nicht einfach hingenommen werden. Integration kann ohne kulturelle Identität nicht funktionieren, obwohl ich Integration nicht gerade für den passenden Begriff halte. Es ist wichtig, die Kultur, die Sprache dieser Gemeinschaft zu würdigen, damit sie sich darin selbst erkennen kann. Es ist Aufgabe der Kultur, dass sie die alltäglichen Dinge, die unlösbar erscheinen, in ihrer Sprache, in eine Ausdruckswelt bringt, die Erkenntnis ermöglicht. Erst nach einer richtigen Katharsis, kann man dann auch rational über Lösungsversuche reden.

Sprechen wir über Lösungsversuche. Letztes Jahr wurde während der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft die europäische Romastrategie verabschiedet und sie haben auch auf der nationalen Ebene eine Romastrategie beschlossen, für die sie auch als Person stehen, für die sie auch als glaubwürdiger Vertreter der Fidesz-Regierung in Romafragen stehen. Aber angesichts der gesellschaftlichen Realitäten (siehe dazu: Dokument der Schande: Kallai-Bericht belegt amtlichen Rassismus), wenn wir z.B. an Gyöngyöspata denken (siehe: Das Musterdorf), an Érpatak, sind sie da nicht persönlich manchmal sehr verzweifelt?

Was in Gyöngyöspata geschah oder in Érpatak geschieht oder anderswo, das kann überall sein. Und ich meine jetzt nicht nur international überall, sondern in Ungarn überall, die Situation ist reif dafür, das hat mich nicht überrascht, im Gegenteil, deswegen habe ich diesen Job gewählt, ich hätte auch was anderes machen können, ich habe aber gesagt, ich möchte das machen, das war meine persönliche Entscheidung. Dafür haben mich manche ausgelacht, manche gerügt, manche gewarnt.

Unsere Strategie ist eine Teilantwort auf die Zustände die heute in Ungarn und in Europa vorherrschen, deswegen haben wir, nicht ohne Risiko gesagt, dass ist unsere höchste Priorität während unserer Präsidentschaft. Unsere Romavertreterin im EU-Parlament ist seit sieben Jahren zu jedem Präsidentschaftsland gegangen und bat, die Romafrage als Priorität zu stellen, niemand war bereit. Wir haben also sozusagen ein Stück schmutzige Wäsche ins Schaufenster gestellt und ich denke, dass wir einige Waschmittel und Waschmaschinen mitgeliefert haben, an der Bedienungsanleitung müssen wir noch ein bisschen herrumbasteln, aber ich bin überzeugt, dass wir eine Antwort präsentiert haben.

Schaut man sich die Vorfälle in Gyöngyöspata an, fügt sich die Strategie in ihrer Praxis aber doch eher zu einem System der Willkür zusammen, welche die Roma immer noch in sehr sehr schlechten Verhältnissen und ohne eine wirkliche Perspektive leben lässt. Man hat sogar den Eindruck, dass man mit Jobbik kooperiert, der Bericht des scheidenden Ombudsmannes legt dazu ja Fakten auf den Tisch. Das sind doch wirklich zwei unterschiedliche Realitäten, der Standpunkt der Regierung und die Realität. Wie gehen sie damit um?

Es sind mehrere Realitäten, natürlich, es gibt diese, und es gibt meine, und es gibt auch noch andere, das ist die Situation, klar, aber ich würde gerade im Hinblick auf Gyöngyöspata sagen, dass es dort weniger der Fall war, wer wurde als einziger offizieller Vertreter von irgendeiner Organisation beklatscht in Gyöngyöspata vor einem halben Jahr?

Jobbik-Chef Vona?

...Sándor Pintér der Innenminister! Er ging dahin und die Roma haben ihm applaudiert, sie haben ihn als ihren Schutz betrachtet..

...Nachdem er sie lange hat warten lassen...

Was heißt lange, ich meine, dass ist eine politische Entscheidung, die kann zu früh kommen, die kann zu spät kommen, es war seine Entscheidung, zu schauen, was da eigentlich wirklich passiert und nach 2 Wochen, denke ich, dass die Polizei dort ziemlich erfolgreich eingegriffen hat. Das Problem hatten wir mit dem Gericht, das hat doch diese Leute sofort wieder freigelassen als die Polizei sie vor Gericht gestellt hatte, sie waren nicht bereit diese Leute gefangen zu halten, und die kehrten dann zurück, daraufhin haben wir das Gesetz zur Versammlungsfreiheit strenger gemacht, als klare Antwort auf die Ereignisse. (Mehr zu diesem Gesetz)

Also ich will die Situation in Ungarn nicht beschönigen, aber auch nicht schlechtreden. Wir versuchen Verbesserungen, jeder mit seinen Mitteln. Die Vorwürfe gegen die Arbeitsprogramme, dass ist doch lächerlich, es ist einfach flasch, dass als Zwangsarbeit hinzustellen, dafür gibt es keinen einzigen Anhaltspunkt.

Der einzige Punkt, wo ich ihnen zum Teil Recht gebe, ist tatsächlich die Zusammenarbeit mit lokalen Behörden, mit der lokalen Vertretung, mit den Bürgermeistern. Es ist noch ungeklärt wie man damit umgeht, wenn die andere Interessen haben als der Staat, da ziehen wir bisher den kürzeren und in Gyöngyöspata ist das ein paarmal vorgekommen, da gebe ich ihnen voll Recht, aber das ist zur Zeit so, dass die kommunale Verwaltung ihre Autonomie hat, und wir auf diese Weise nicht reinreden können, wir schauen, wie wir diese gemeinnützigen Programme so anbieten können, dass da die Kommune nicht unbedingt so eine Filterfunktion hat.

Frühjahr 2011: Rotes Kreuz und NGO´s evakuieren Kinder und Frauen vor rechter Gewalt aus Gyöngyöspata. Die Regierung dementiert: es handelte sich um einen “organisierten Osterausflug”.

Was halten sie von der gestrigen Entscheidung des Gemeinderats in Gyöngyöspata die NGO TASZ (die sich auf Roma-Hilfsprogramme spezialisiert hat) sowie den DK-Chef, Ex-Premier Gyurcsány zur „persona non grata“ in Gyöngyöspata zu erklären. Die TASZ war ja, bevor Herr Pintér in Gyöngyöspata ankam, schon da, um die Roma vor der Jobbik-Garde zu schützen...

... Und, haben sie sie geschützt?...

Sie sind nicht die Polizei, aber zumindest waren sie da...

(sarkastisch) Ja, gut, okay, die haben die Situation ganz schön mit angeheizt. Also ich habe da meine persönliche Meinung dazu, obwohl in manchen Dingen die Arbeit der TASZ von mir sehr geschätzt wird, aber dort haben sie glaube ich eher eine negative Rolle gespielt. Ich denke, da geht es auch um die Kommunikation, da ist viel politisches Spiel mit am Wert, das hat natürlich mit Rechtsmäßigkeit nichts zu tun, ich kann diese Leute sehr gut verstehen, dass sie den Gyurcsány dort nicht haben wollen, ob sie aber die rechtliche Möglichkeit haben sollten, das ist eine andere Geschichte...

...und die TASZ, das können sie auch verstehen?

... Das ist eine komplexere Sache, ich denke das sich dort alle an einen Tisch setzten müssten, um dann miteinander zu sprechen, und zu klären, wer welche Aufgabe wahrnehmen kann, um dieses Problem zu lösen, weil es wird, wenn es so weiter geht, auch für die Jobbik-Lokalbehörde keine angenehme Sache...

Die Jobbik sollte sich also auch an dem Prozess der Romaintegration beteiligen?

Wo der Bürgermeister von Jobbik gestellt wird, können wir das nicht vermeiden, und sollten wir auch nicht, sondern.. (stockt) Tiszavasvári, da sollten sie mal hin gehen! Was ist da geschehen? Die haben eine Gendarmerie gegründet, der Staat hat gesagt, das geht nicht, das ist gesetzwidrig, und die haben diese Gendarmerie auflösen müssen. Also man sieht dort z.B. dass der Bürgermeister (Anm. Jobbik) weniger auf Konfrontation geht, sondern auf Beilegung des Problems. Wenn man eine wirklich Verantwortung und Aufgabe hat, dann agieren vernünftige Leute auch anders, als wenn sie nur aus ihrer Position populistisch schießen.

Das Interview führte Christian-Zsolt Varga

 

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