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(c) Pester Lloyd / 07 - 2012      BILDUNG 14.02.2012

 

Vom Grundrecht zum Privileg

Bildungsreform als neuer Streitpunkt zwischen EU und Ungarn

Zu einem weiteren zukünftigen Konfliktfeld zwischen EU und Ungarn entwickelt sich mehr und mehr die vielschichtige Bildungs- und Hochschulreform in Ungarn. Vor allem die Knebelverträge, die Absolventen unter Androhung enormer finanzieller Belastungen an die heimatliche Scholle ketten sollen, sind nicht mit EU-Recht vereinbar. Doch Bildungsstaatssekretärin Hoffmann ist nicht die Frau für Kompromisse.

Studentenproteste in Ungarn im Oktober 2011. Nur der Beginn eines neuen, grundlegenden Konfliktes.

EU-Bildungskomissarin Androulla Vassiliou zeigt sich "besorgt" um die jüngsten Entwicklungen in Ungarn, was schon zuvor immer der Code zum Einstieg in längere Schlachten war. Die ungarische Staatssekretärin für Bildung, Rósza Hoffmann, wies diese Sorgen reflexartig zurück, die Opposition würde der Kommissarin "gezielt die passenden Informationen zuspielen". Die Reform tangiere keinerlei EU-Normen, daher gäbe es nichts zu ändern. Sie sei bereit, das auch in Brüssel darzulegen, so Hoffmann, die übrigens auch in den eigenen Reihen sehr umstritten ist.

Ungarns Nationale Studentenunion, HÖOK, hatte bereits im Oktober 2011 mehrere Demonstrationen, darunter auch in Budapest organisiert, um gegen die sich schon damals anbahnenden tiefen Einschnitt im Bildungssystem zu protestieren. Im Vorfeld einer Mahnwache am Mittwoch, gab die Europäische Studentenunion bekannt sich im Fall Ungarns an die Kommission wenden zu wollen.

Rózsa Hoffmann, Staatssekretärin für Bildung beim Ministerium für “Nationale Ressourcen”.

Für die nächsten Wochen sei bereits ein Treffen zwischen Kommissarin Vassiliou und Hoffmann geplant, um sie aus erster Hand über die Hochschulreform und weitere Schritte im Zuge der „Modernisierung des ungarischen Bildungssystems“ zu informieren. Denn aus „irgendwelchen Gründen (!) scheint die EU zurzeit jede Veränderung in Ungarn mit kritischen Augen zu betrachten,“ fügte Hoffmann hinzu. Schon im Vorfeld des Treffens versucht sie jedoch einige Vorwürfe zu entkräften. Durch eine Herabsetzung des Pflichtschulalters auf 16 Jahre würde sich Ungarn sogar der Mehrheit der Länder in der EU anpassen. Nur drei Mitgliedsstaaten hätten ein höheres Pflichtschulalter.

Bezüglich der Studienverträge, die Absolventen zu einem jahrelangen Verbleib im Lande verpflichten, andernfalls sie ihre komplette Ausbildung zahlen müssten, merkte Hoffmann an, dass "die Studierenden schließlich nicht gezwungen seien diese zu unterschreiben." Alles soll auf „freiwilliger Basis“ stattfinden. Die Studierenden könnten also frei entscheiden, ob sie als Gegenleistung für staatlich finanzierte Studienplätze diesem Vertrag zustimmen oder nicht. Die Reduzierung von Kernfächern an Universitäten sei hingegen eine rein technische Frage, die je nach Lage an der Hochschule oder Universität zu entscheiden sei.

Knebelverträge verstogen gegen Grundrechte

Die Knebelverträge, die vorsehen, Absolventen ungarischer Hochschulen nach dem Studium im Lande zu halten (die Hälfte der Ausbildungszeit, inkl. Pflichtschule!), um "brain drain" zu verhindern, zumal die Ausbildung vom Staat finanziert wurde, wird sich wohl zum Hauptstreitpunkt entwickeln. Es ist eine Sache, ob ein Staat ein Studium kostenlos oder gegen Gebühren anbietet, eine andere, für die Finanzierung der Ausbildung Bedingungen zu stellen, die gegen Grundrechte verstoßen.

Das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der EU und freie Arbeitsplatzwahl wäre hier tangiert. "Die freiwillige Basis" beendete die Chancengleichheit und erhöht die Diskriminierung, nur ein Bruchteil könnte die vollen Ausbildungskosten tragen. Besonders absurd erscheint der Plan der Regierung, da es für viele Absolventen in Ungarn überhaupt nicht genügend adäquate Arbeitsplätze gibt, von einer angemessenen Bezahlung ganz zu schweigen. Auch im Lichte der jahrelangen Forderungen an Österreich und Deutschland endlich die Arbeitnehmerfreizügigkeit zu gewähren, ist diese Maßnahme unsinnig.

Studiert wird, was sinnvoll ist - was sinnvol ist, sagt die Ministerin

Hoffmann will die Hochschullandschaft als ständisch ausgerichtetes, elitäres System umbauen, Schließung und Zusammenlegung teils renommierter Einrichtungen eingeschlossen. Zunächst reduzierte sie die Zahl der staatlich dramatisch von 54.000 auf 34.000 pro Jahrgang. Die Anmeldefristen für diese wurden zudem derart verkürzt, dass den Studenten kaum noch Zeit für eine vernünftige Lebensentscheidung bleibt, wohinter das Kalkül stand, noch mehr Plätze einsparen zu können. Zukünftig sollen möglichst nur noch solche Studiengänge gefördert werden, die als "nationalwirtschaftlich" sinnvoll erscheinen, also vor allem praxisnahe Naturwissenschaften, Ingenieursberufe.

Human- und Geisteswissenschaften, Medien, Kunst etc. werden mehr oder weniger als unötiger Luxus deklariert, das Angebot soll verringert und selbstfinanziert werden. "Einrichtungen, die auf dem Markt keinen Bestand haben, müssen dann eben schließen." sagte Hoffmann dazu trocken, sogar die renommierte Corvinus Wirtschaftsuniversität steht dabei zur Disposition. Kaum jemand in Ungarn negiert die Reformbedürftigkeit und auch deie Effizienzsteigerung des Hochschulwesens. Aber wie auf so vielen anderen Feldern, nutzt die Regierung auch hier die sich selbst überlassene Baustelle zum Totalabriss.

 

Dazu wurde die Hochschulautonomie bereits weitgehend gekippt, personelle, strukturelle und finanzielle Belange zentralisiert. Oben aufgesetzt wurde eine neue "Beamtenuniversität", gegründet aus der Zusammenlegung der Militärakademie mit einigen Fakultäten anderer Unis und mit großem nationalen Pomp inauguriert, die als Kaderschmiede für den Ständestaat Orbánscher Prägung dienen und treue Vasallen produzieren wird. Dafür ist Geld und Personal vorhanden, denn die Einrichtung wird die Maßgabe der “nationalwirtschaftlichen” Relevanz und Effizienz erfüllen.

Ein Teil der Streichungen im universitären Bereich stießen auch auf Kritik aus dem Regierungslager, vor allem der Fidesz-Bildugnssprecher Zoltán Pokorni lieferte sich heftigen Streit mit Hoffmann, die zur frömmelnd-nationalistischen Anhängselpartei KDNP gehört und an deren Qualifikation etliche Bemerkungen gröbere Zweifel erlauben. Orbán stärkte ihr jedoch bisher stets den Rücken, denn sie passt in sein Konzept.

red. / al.

 

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