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(c) Pester Lloyd / 02 - 2013   GESELLSCHAFT 09.01.2013

 

Der Freund schweigt

Halbherzige Distanzierungen: das offizielle Ungarn und der Fall Bayer

Während Medien, selbst einige der Regierung zugeneigte, mittlerweile fragen, warum Bayers Auftritt nicht genauso behandelt wird, wie jener des Neonazis Gyöngyösi im Parlament (der eine Registrierung der Juden verlangte), denn es sei ja der gleiche abscheuliche Vorgang, "nur" der Absender und das Ziel unterschieden sich, versucht die Regierung das Thema durch halboffizielle Verlautbarungen und leisetreterische Distanzierung zu beenden.

Zsolt Bayer und Viktor Orbán im trauten Gespräch. Zeige mir Deine Freunde und ich sage Dir wer Du bist...

Anders als bei Gyöngyösi, der Opposition und Regierungsvertreter (als denen die internationale Aufmerksamkeit über den Kopf wuchs) sogar zu einer gemeinsamen Demo motivierte, gibt es im Falle des indirekten Aufrufs zum Völkermord an den ungarischen Roma seitens des Fidesz-Mitgründers Zsolt Bayer nach wie vor keine offizielle Distanzierung seitens der Regierung oder seines persönlichen Freundes, Viktor Orbán. Die Regierung übernahm lediglich die Meldung über die ablehnenden, - nicht amtlichen - Äußerungen von Vizepremier Navracics am Montagabend im Fernsehen auf ihre offizielle Webseite (allerdings nur in die englische Version, quasi als Beruhigung für das quängelnde Ausland) und ließ es dabei bewenden.

Die Parteisprecherin des Fidesz, Selmeczi, nannte die Hasstirade Bayers dessen "persönliche Meinung", der sich im Fidesz niemand anschließen werde, die ansonsten aber genauso von der Meinungs- und Pressefreiheit gedeckt sei, wie die Reaktionen darauf. Bayer dient sozusagen als Beweis für die Existenz der Pressefreieht in Ungarn. - Von einem Parteiausschlussverfahren war ihrerseits nichts zu hören, das sei Sache der Gremien. Fürs Strafrecht sei die Staatsanwaltschaft zuständig.

Eine explizite inhaltliche Abgrenzung gab es von Selmeczi nicht, immerhin spiegeln Bayers Worte die Meinung eines nicht so kleinen Teils der Bevölkerung (nicht nur der rechtswählenden) wider und Fidesz glaubt nicht nur bei diesem Thema, die Meinungshoheit der Jobbik durch Bedienung der Thematik ihrerseits brechen und Anhänger an sich binden zu können. Ein gefährliches Kalkül, das bereits auch in der praktischen Politik Einzug gehalten hat, wie die Beispiele hier belegen (im unteren Teil des Textes finden sie eine stichpunktartige Auflistung der Berührungspunkte). Die Reaktion auf Bayer hat also politische, wahltaktische Aspekte in sich, die aus Fidesz-Sicht eine Duldung rechtfertigen, auch wenn das niemand offen aussprechen wird.

Bayer selbst meinte gestern in der "Magyar Hírlap", er hätte nie zum Mord an irgendjemandem aufgerufen, man habe ihn missverstanden, die üblichen Verdächtigen haben ihn missverstehen wollen, heißt es in üblicher Anspielung an die linkslinke Verschwörung, die seit Jahren gegen Ungarn tobt. Sollte sich aber jemand auf den Schlips getreten fühlen, dann sorry (sinngemäß). Er wolle nur Recht und Ordnung. Seine Zeitung unterstützte ihn darin, alles sei - wie immer - nur eine linke Medienkampagne. Die Zeitung wolle aber in Zukunft besser darauf achten, ob das, was man veröffentlicht, jemanden "Links oder Rechts verärgern könnte", so der Herausgeber, der rechtsradikale Industrie- und Medienmagnat Széles, der mit Bayer gemeinsam den ersten Pro-Orbán-Friedensmarsch anführte.

Ebenfalls als halboffiziell ist der Anfruf des Vorsitzenden der Landesselbstverwaltung der Roma (eine Pseudovertretung der Minderheit), Florián Farkas, selbst Fidesz, bei Bayer zu verstehen. Er wollte in dem "persönlichen Telefonat" den Schreiber darüber aufklären, dass die Regierung seit Jahren alls Mögliche unternehme, um die Roma in die Gesellschaft zu integrieren und er das Gefühl hatte, Bayer hätte (!) womöglich die ganze Minderheit für die Verbrechen Einzelner verantwortlich machen wollen. (In Wahrheit hat er alle als Tiere berzeichnet, die kein Lebensrecht hätten...). Farkas warnte, dass der hasserfüllte Ton Bayers die Integrationsbemühungen der Regierung zerstören könne.

 

Dass die demokratische Opposition geschlossen gegen Bayer protestierte, versteht sich, auch die Jüdischen Gemeinden formulierten ihr Entsetzen. Ex-Premier Bajnai, wahrscheinlich der wichtigste Herausforderer Orbáns bei den 2014 anstehenden Wahlen, verlangte vom Regierungschef ein klares Wort: Orbán kann hier nicht schweigen, nur weil es um seinen Freund und einen Fidesz-Parteifreund geht, so Bajnai. Er erinnerte Orbán an seine Worte, die er - eine Woche nach dem Gyöngyösi-Vorfall - im Parlament fand, wonach er nicht zulassen werde, dass irgendjemand, egal welcher politischen Coleur, Gruppen wegen ihrer Herkunft oder ihres Glaubens angreift. "Solange ich hier bin, wird das nicht akzeptiert." Bajnai erinnerte weiter an die Worte anderer Fidesz-Größen, die Jobbik für die Ausfälle ihres Mitgliedes Gyöngyösi mitverantwortlich machten. Betrifft es sie selbst, hört man von Fidesz nichts mehr. Freunde erkennt man in der "Not".

Natürlich ist Orbán kein Rassist, aber er ist ein kühl berechnender Machtpolitiker und Meister des populistischen Marketings, der weiß, dass ihm sein Schweigen mehr Stimmen bringt, als es ihn kostet. Vielleicht morgen, vielleicht in ein paar Tagen, wird er die “Dummheit” seines Freundes erwähnen und mal bei den Roma vorbeischauen so wie er ab und zu die Kippa aufsetzt oder “spontan” in ein Obdachlosenasyl schaut. Doch die Message hat er bereits ausgesendet, der Artikel war schließlich vom 5. Januar, heute ist der 9. - Nicht, dass ein Wort Orbáns den Rassismus in Ungarn beenden würde oder die Lage der Roma verbessert oder Straftäter vom Messerstechen abhielte. Doch es wäre ein Eingeständnis, dass es auch im Fidesz übelste Menschenverächter gibt. Ein Schatten, der wohl zu groß zum Überspringen ist.

Und die Gesellschaft? Einige Anzeigen bei Medienrat und Staatsanwaltschaft gingen von Privatpersonen ein, vor dem Verlagsgebäude der Magyar Hírlap versammelte sich am Dienstag eine handvoll Menschen zu einem "Flashmob" (Foto), eine richtige Solidaritätsdemo mit den Geschmähten ist aber - anders als bei Gyöngyösi - bisher nicht in Sicht, womit das Land in Gänze Zeugnis über seine Einstellung zum Thema ablegt und damit ihrem schweigenden Präsidenten und Ministerpräsidenten folgt. Rassismus und Hass sind Teil des Landes. Man findet sich damit ab.

Die EU schweigt ebenso. Die Sozialdemokraten haben über einen österreichischen Abgeordneten eine Protestmeldung herausgeschickt, die EVP äußerte sich bisher nicht.

Nicht ganz am Rande: die Staatsanwaltschaft hat ihre Ermittlungen im Falle Gyöngyösi gerade ergebnislos eingestellt. Der Tatbestand der Verhetzung bestehe nach allgemeiner Rechtspraxis nur, wenn er unmittelbar eine Masse aufwiegelnd umgesetzt wird, woraus sich eine direkte, konkrete Gefährdung ergeben muss. Das hätte eigentlich ein Gericht feststellen können, in Ungarn übernimmt das heute der Generalstaatsanwalt. Bei den Worten Gyöngyösis im Parlament sei die direkte Gefahr aber nicht nachweisbar gewesen. Na dann...

red.

 

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