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(c) Pester Lloyd / 03 - 2013   WIRTSCHAFT 14.01.2013

 

Schulden und Schuldige

Forintabsturz zwischen Spekulation und Regierungsversagen in Ungarn - KOMMENTAR

Der Forint zieht kellerwärts, wer ist Schuld? Natürlich die Spekulanten, ausschließlich die Spekulanten. Einen "neuerlichen Angriff auf die ungarische Währung" von "gut bekannten internationalen Finanzmarktakteuren" und zwar aus "kurzfristiger Profitsucht" erkennt das Nationalwirtschaftsministerium in einer aktuellen Aussendung zum Thema. Dabei hätte die Regierung mit ein wenig Augenmaß und Kooperationswillen das meiste verhindern können. Aber sie wollte nicht...

13.15 Uhr: 1 EUR = 297,047 Forint

In dem Rechtfertigungsschreiben des Nationalwirtschaftsministers Matolcsy wird sogar genau aufgelistet, wessen Statements und Newsletter wann der Auslöser war, mit Name und Adresse. Fehlt nur noch die Beauftragung des Geheimdienstes, wie es schon mehrmals geschah, wenn diese Regierung mit der Komplexität dieser Welt so überfordert war, dass man nur noch in Verschwörungstheorien Zuflucht finden mochte.

Die Gescholtenen, also "der Markt" sind sich jedoch einig: Zahlenfee Matolcsy hatte den Forinteinbruch am Freitag durch eigene Äußerungen am Donnerstag ausgelöst, seitdem rollt die Lawine 300erwärts und wird auch durch diese Marke nicht aufgehalten werden. Dabei gab es schon länger Warnungen aus der Fachwelt, dass ein weiteres Herumspielen mit der IWF- und der Zentrabankthematik klare Reaktionen beim Wechselkurs und in der Folge auch bei den sich gerade so milde gestaltenden Zinsaufschlägen für Staatsanleihen auslösen wird. Die Herabstufungen vom November und der erste Forinteinbruch vor Weihnachten fielen ja nicht einfach os vom Himmel. Nun sind die Dämme gebrochen, der Forint ist - einmal mehr - im Stolpern und Straucheln. Momentan markiert er ein 7-Monats-Tief, schlechter stand er nur Anfang 2012 und zu Zeiten der Lehman-Krise.

Beide Seiten haben mit ihren Vorwürfen Recht. Wäre der Forint nicht Spiegel der wirtschaftlichen und finanziellen Umstände des Landes und könnte man mit Währungsspekulation keinen Profit machen, gäbe es keine Kursschwankungen solchen Ausmaßes in so kurzer Zeit. Doch während "die Märkte" mit den Finanzen an sich spekulieren, tut es die ungarische Politik mit der Zentralbank und der Zukunft des Landes. Der Einsatz für Ungarn ist also gleichwohl höher als für die Spekulanten.

Der Forint ist strukturell überbewertet, die Zentralbank durch den Chefwechsel im März den Übernahmgelüsten der Regierung ausgeliefert, die ungarische Finanzmarkt- und Wirtschaftspolitik ist sprunghafter als ein Känguruh. Mit dem IWF stellt man sich dumm aus Prinzip und Kalkül, nicht aus Vernunft und längst ist nicht ausgemacht, ob der Haushalt hält und die EU nicht doch noch am Defizitverfahren festhält.

All das zusammen ist an sich schon eine sehr komplexe Gemengelage. Doch die Lügen der Regierung sind wie Öl in ein Feuer, ob von Orbán über seine Sprecher bis Matolcsy. Die Sprüche vom "Ende der Krise", "der prosperierenden Wirtschaft", dem Tiger in der Region" , dem "Wachstumspfad", der "beständig ansteigenden Beschäftigung" sind durch Zahlen und Fakten widerlegt. Mehr zu den Sprüchen. Mehr zu den Fakten.

Ungarn ist Teil des weltweiten Wirtschafts- und Finanzsystems und wird es auch bleiben. Es unterliegt damit Regeln, wo es solche gibt und unvermeidbaren Mechanismen, wo die Märkte mehr Macht haben als die Politik. Das kann und soll man beanstanden, man soll das sogar bekämpfen, man soll aber nicht so tun, als wusste man nichts davon.

Von Parolen lassen sich die Märkte nun einmal nicht beeindrucken. Die Unglaubwürdigkeit und die ideologische Starrsinnigkeit der Regierung hat ihren Preis und hätte ihn auch außerhalb der Spielwiesen der Finanzmärkte. Diesen Preis bezahlt das Land gerade.

 

Die Regierung Orbán hätte diese Verwerfungen verhindern, zumindest deutlich mildern können. Dazu hätte es nicht einmal eines Wirtschaftsgenies bedurft und das hat auch wenig mit dem zweifellos schweren Erbe zu tun, das man angetreten war. Etwas Kooperationsbereitschaft, Realitätssinn und an der richtigen Stelle die Klappe zu halten, hätte genügt. Und vielleicht muss man auch nicht den unfähigsten Clown das Wirtschafts- und Finanzressort mit Ausblick auf die Zentralbank leiten lassen?

Die Rechnung wird am Ende immer an das Volk weitergereicht, ob in Form von weiteren Steuererhöhungen, neuen, phantasievollen Abgaben oder gestiegenen Forex-Kreditraten, die ganze Schichten in den finanziellen Abgrund reißen können. Höhepunkt des Zynismus` waren die Aussagen von Matolcsys Staatssekretär Pleschinger vom Freitag, der anmerkte, dass Ungarn der Forintkurs eigentlich so ziemlich egal wäre, mal profitierten halt die Exportunternehmen und der Schuldendienst, mal zahlten eben die Forex-Kreditnehmer drauf... - Realitätsferne und Ignoranz bei Herrschern wie beim Volke: ein Lebenslied, das unser Land seit jeher begleitet und mehr als einmal in den Abgrund stieß...

Wer um die Logik und die Folgen des Forinteinbruchs weiß und trotzdem so vorsätzlich fahrlässig handelt wie diese Regierung, handelt gegen das Volk. Das tun die Spekulanten auch, aber die sind vorerst nur sich, nicht dem Volk verpflichtet. Dieses kann erst im Frühjahr 2014 seinerseits der Regierung die Rechnung präsentieren, sie bestenfalls davonjagen. Auf den Schulden bleibt es aber sitzen, nur die Schuldigen sind dann wieder einmal fort.

13:48 Uhr: 1 EUR = 297,503 Forint

cs.sz.

 

 

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