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(c) Pester Lloyd / 13 - 2013   MEDIEN 30.03.2013

 

Zensurparagraph 13

Medienrat in Ungarn als Geschäftsstelle für Neonazis + News aus der Medienwelt

Ein Monitoring-Portal für Medien in Ungarn hat sich die Einsprüche des Medienrates hinsichtlich unausgwogener Berichterstattung, verlangt für TV-Sender, vorgenommen und kommt zu dem Schluss, dass der Fidesz-besetzte Medienrat zu einer Zensur-Geschäftstelle der neonazistischen Partei Jobbik mutiert ist. / Öffentliche Aufträge für Nazi-Tv-Firma / 80% Redezeit für Orbán im öffentlich-rechtlichen Rundfunk / Ringier-Verkauf der Népszabadság gescheitert, Schweizer schießen Kapital nach

Die königlich-ungarische Zensurkommission, vulgo: Medienrat

13 der 16 von Jobbik beim Medienrat eingegangenen Beschwerden, in denen sie sich "unfair behandelt" sah, wurde stattgegeben, insgesamt wurden 27 mit Bußgeld und Unterlassungsanordnung bewehrte Rügen wegen "nicht ausgewogener Berichterstattung" verhängt. Sämtliche nicht von Jobbik oder dem Medienrat selbst eingebrachte Beschwerden wurden hingegen abgelehnt, einschließlich aller Eingaben wegen "Hetze gegen Roma", die in ungarischen Medien so inflationär ist.

Alle sechs zur Prüfung zugelassenen (!) Beschwerden gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wurden ebenfalls abgewiesen, kein großes Wunder. Wie berichtet, traf der Bannstrahl bereits mehrmals den Sender ATV, (Jobbik
darf dort nicht mehr als rechtsextrem bezeichnet werden) wobei einer der Delinquenten, der es wagte, Jobbik gar als "neonazistisch" einzustufen sogar von einem Gericht zu einer öffentlichen Entschuldigung verurteilt wurde (erstinstanzlich, siehe unseren Bericht). RTL Klub fiel eher durch - nach des Wächterrats Moralvorstellungen - sexuelle Anstößigkeiten und - wie anderswo auch - Sozialpornographie auf, politisch weitaus häufiger trifft es jedoch den Sender TV2, der zur Pro7Sat1-Gruppe gehört. Von den 27 Interventionen des Medienrates im gemessenen Zeitraum, fiel 12mal der Fokus auf TV2, neunmal fiel das Fallbeil in Form einer Strafe, ausnahmslos auf Begehr von Jobbik. Die Anweisung des Medienrats gegenüber ATV ging sogar soweit, dass der Sender nun bei jeder Erwähnung von Jobbik einen Sprecher oder einen Justitiar dieser Partei um deren Standpunkt fragen soll, was in etwa so absurd ist als wäre der Frosch für den Biologieunterricht oder die Kirche für den Religionsunterricht (ups!) zuständig...

Die Einzelfälle können hier in englischer Sprache nachgelesen werden: Der Medienmonitor wird auf der Webseite der Central European University betrieben, einer in Budapest ansässigen internationalen Privatuni, die wesentlich von der Soros-Stiftung getragen wird (da haben wir es also mal wieder!)

Ungarns führender Hassprediger, Fidesz-Mitgründer und Orbáns Freund, Zsolt Bayer bei einer Sendung des rechten bis rechtsradikalen Echo TV, jener Anstalt, bei der auch der ausversehen “ausgezeichnete” Szaniszló arbeitet. Deren Ausfälle gegen Juden, Roma, Andersdenkende und Andersliebende werden, wenn sie es überhaupt amtlich auf den Beratungstisch des Medienrates schaffen, regelmäßig mit “unbedenklich” eingestuft.

Der Passus einer "ausgewogenen Berichterstattung", laut Orbán-Fans im Mediengesetz gar nicht existent, sollte in der Urfassung des Mediengesetzes (hier die Themenseite zum Mediengesetz) für alle Medien gelten, wurde dann aber als Zugeständnis an die EU-Kritik auf TV-Sender eingeschränkt. Diese Version ist jedoch noch immer Streitpunkt mit dem Europarat und anderen Organisationen. Der Artikel 13 im Mediengesetz (CIV) von 2010 verlangt von "allgemeinen Nachrichtensendungen und Informationsprorgrammen" wörtlich eine: "vielfältige, umfassende, sachliche, aktuelle und ausgewogene Berichterstattung über lokale, nationale und europäische Belange, die von Interesse für die allgemeine Öffentlichkeit sein können und über alle Ereignisse und diskutierten Fragen, die für die Bürger Ungarns oder die Mitglieder der ungarischen Nation relevant sein können."

Dieser zentrale Gummiparagraph macht also theoretisch die Bestrafung von Übersee-Themen in Nachrichten möglich, genauso wie Kurzmeldungen (nicht umfassend!), Spartensender (nicht vielfältig!) oder Sendungen für in Ungarn lebende Ausländer (nicht Ungarn und nicht Teil der Nation). Strafbar macht sich unter Umständen auch, wer "uninterssante" Themen bringt und es gäbe noch Dutzende andere Konstruktionen, die, je nach politischem Bedarf, eingesetzt werden können - und auch werden. Artikel 13 bildet also die Grundlage für die erfolgreiche Zensurtätigkeit der Jobbik über den Medienrat, der damit belegt hat, dass das neue Mediengesetz zur Zensur gegen politisch unbotmäßige Berichterstattung eingesetzt wird. Die Kritiker des Mediengesetzes hatten Recht, die Verteidiger Unrecht, auch wenn diese stur bei ihrem "problemlos"-Urteil verharren.

Auch die komplette Gleichschaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist in Ungarn Realität, wird aber von der Fangemeinde gerne mit Verweis auf ZDF und ORF abgebügelt. Dabei ist uns nicht bekannt, dass dort - so mies und politisch umkämpft es in dieser ehrenwerten Branche auch zugehen mag - hunderte Journalisten wegen politischen "Vertrauensverlustes" entlassen worden sind und die Redakteure dort nur eine Quelle, nämlich die staatliche Nachrichtenagentur, für ihre Beiträge benutzen dürfen. Aber sicher gibt es auch dafür eine "vernünftige" Erklärung, genauso wie für den Umstand, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk neonazistische Fernseh- und Filmproduzenten mit großzügigen Auftragsvergaben sponsert...

Öffentlich-rechtliche Wortkanonaden vom Premier

In der Vorwoche publizierte die Medienbehörde NMHH (der Medienrat steht dieser vor) die Präsenz von Regierungs- und Oppositionspolitikern in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten des Landes und kamen zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass die Fidesz-KDNP-Politiker den weitaus größten Teil nicht nur der Meldungs- sondern auch der Redezeiten ausmachen. Allein Premier Orbán schaffte es dabei auf über 7.000 Wörter O-Töne in einem Monat, seine drei ersten oppositionellen Verfolger: Mesterházy von der MSZP, Schiffer von der LMP und Nazi-Vona kamen - alle zusammengenommen - auf rund 12% dieser Kanonade. Auf Platz 2 liegt übrigens Orbán-Vize Semjén. Für die Regierungsparteien, die rund 68% der Mandate im Parlament inne haben, fielen ca. 80% der Berichterstattung über Parteien im Staatsfunk.

Abb. oben: Präsenzanteile der einzelnen Parteien in den wichtigsten Info-Sendungen im ung. Fernsehen. Zum Vergrößern bitte Grafik anklicken. Quelle: NMHH


Népszabadság bleibt Problemfall für Ringier

Die größte der klassischen Tageszeitungen in Ungarn, die linksliberale Népszabadság, hängt am  Schweizer Medienkonzern Ringier wie Rotz am Ärmel. Zunächst scheiterte 2010 die Einbringung dieses Verlustbringers unter vielen Verlustbringern in Ungarn
in eine gemeinsame Ost-Holding mit dem Springer-Verlag (Bertelsmann) am Widerspruch des Medienrates. Dann wollte man die Népszabadság abstoßen, um das O.K. von Medienrat und Kartellamt für die Bündelung der anderen Beteiligungen doch noch zu bekommen. Dazu hätte man aber erst die Minderheitsanteile von der Medienstiftung "Freie Presse", der Sozialistischen Partei MSZP, aufkaufen müssen, was diese ablehnte, auch, weil sich zwischenzeitlich ein gut gesponserter Bieter der rechten Reichshälfte meldete. Danach versuchte Ringier alle seine Anteile wiederum an die MSZP-Stiftung zu verkaufen, was nun auch scheiterte.

 

Nun mussten die Schweizer ihrer schon vor der "nationalen Revolution" im Abwärtstrend befindlichen ungarischen Tochter eine kapitale Notinfusion von umgerechnet knapp 2,5 Mio EUR verabreichen, um die operativen Verluste auszugleichen und den Bestand der Zeitung zu sichern. Wie mit allen klassisch angelegten Blättern, so geht es auch mit der Népszabadság seit über einem Jahrzehnt, was die Verkaufs- und Umsatzzahlen betrifft abwärts, beschleunigt seit 2008 und seit 2010 vor allem für die linke Pressehälfte, während sich die rechten Konkurrenten "Magyar Nemzet" und "Magyar Hírlap" der Unterstützung der Regierungspartei bzw. von rechtsradikalen Oligarchen erfreuen. Ringier wollte das Ruder herumreißen, u.a. auch durch eine Eindämmung der traditionell hohen Mitspracherechte der Redaktion, doch auch das brachte nichts. Man befindet sich weiter auf Investorensuche, die MSZP-Stiftung pokert indes weiterhin bei den Übernahmebedingungen. Die "Zerreißprobe" für das Traditionsblatt geht also weiter.

red.

 

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