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(c) Pester Lloyd / 21 - 2013   POLITIK 22.05.2013

 

Verfassungsgericht ringt um Fassung

Verfassungsgericht in Ungarn lehnt Beschwerde gegen 4. Verfassungsänderungen ab

Das Verfassungsgericht in Ungarn steht vor einem schier unlsöbaren Dilemma: es muss zukünftig eine Verfassung verteidigen, die in sich nicht verfassungsgemäß ist. Weil sie Bestimmungen enthält, die demokratische Grundrechte und rechtsstaatliche Standards aushebeln (können), suchen sich die - de jure - höchsten Grundgesetzwächter nun ihre Rechtsgrundlagen außerhalb von Orbáns Ungarn...

Das ungarische Verfassungsgericht hat den Prüfungsantrag des Ombudsmannes für Grundrechte, Máté Szabó, bezüglich der 4. Verfassungsänderungen abgewiesen. "Damit ist die Debatte über die Änderungen beendet." kommentierte das Fidesz-Fraktionschef Rogán am Dienstag. "Von heute an kann niemand mehr auch nur einen Hauch von Zweifel an der Rechtmäßigkeit der 4. Verfassungsänderung äußern." so Rogán.

Szabó hatte in
seinem Antrag Ende April die Annullierung der Änderungen gefordert, zunächst vor allem aus formalen und prozedualen Gründen. So habe zu den schwerwiegenden Änderungen, die "die demokratische Funktionsfähigkeit staatlicher Institutionen gefährdet", so Szabó, keine reguläre Plenarsitzung des Parlamentes stattgefunden. Dennoch wurde das Gesetzeswerk vom Staatspräsidenten unterzeichnet. Das Verfassungsgericht nannte den Antrag des Ombudsmannes "unbegründet" hinsichtlich der Bedenken über die formalen Anforderungen.

 

Durch die Aufnahme von zuvor vom VfG als verfassungswidrig eingestufte Gesetze in den Kerntext der Verfassung hat die Fidesz-Mehrheit im Parlament das System der checks und balances weiter ausgehölt, weil ein VfG Gesetze nur auf Grundlage des Textes der Verfassung prüfen kann, den Text selbst aber nicht, im Gegenteil, die dort niedergelegten Aritkel muss das VfG schützen. Damit maßt sich die Parlamentsmehrheit in Verfassungsfragen das letzte Wort an und zwingt das VfG praktisch gegen die eigenen Grundsätze zu handeln und notfalls auch universelle Grundrechte zu verweigern. Dies tat sie aus Überlegungen der totalen Kontrolle, ihrem Machtwahn und aus Rache wegen der Widerworte des VfG. Weitere formale Einschränkungen sowie die personelle Bestückung des höchsten Verfassungswächters bilden nach Meinung der Kritiker einen gefährlichen "Systemwandel" (Ex-Präsident und Ex-VfG-Chef Sólyom), der einem "Verfassungsputsch", ja einer “Ermächtigung” gleichkommt.

Neben den im Text verlinkten Stellen zu ganz aktuellen Beiträgen, findet sich hier noch ein Grundsatzartikel, der am Beginn der 4. Verfassungsänderungen stand. Am Ende findet sich eine kleine Verfassungsgeschichte seit 2010.

Das Gericht betonte aber, dass es die - aufgrund der neuen Verfassungsbestimmungen - zu formenden Folgegesetze nicht nur auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen wird, sondern auch sicherstellen will, dass diese mit internationalem und europäischem Recht kongruieren. Das Gericht sucht sich in seiner Not mit dieser Ankündigung also quasi eine erweiterte Rechtsgrundlage im Ausland, weil die eigene Verfassung so gestaltet wurde, dass sie bestimmte Grundrechte nicht mehr gewährt, u.a. Freizügigkeit, Menschenwürde, Informationsfreiheit etc., also eigentlich nicht mehr zur Aufrechterhaltung einer verfassungsmäßigen Ordnung taugt.

Dieser Konflikt zwischen dem definierten Gebot des Schutzes der vorliegenden Verfassung und dem Bewußtsein, dass eine Verfassungsmäßigkeit in einer Demokratie nur gegeben sein kann, wenn Grundrechte nicht nur gewährt, sondern auch eingeklagt werden können, was eine Garantie durch die Verfassung einschließt, ist vom VfG praktisch nicht auflösbar. Der ungarische Verfassungsgericht Präsident sandte, zusammen mit seinem rumänischen Kollegen, der ganz ähnliche Tänzchen mit seiner Regierung vollführen muss, in der Vorwoche in diesem Tenor einen eindringlichen, aber gleichzeitig hilflosen Ruf in die Welt, man bräuche mehr Aktionen, die den Machthunger der Regierungen eindämmen.

Die (internationale) Kritik an dem Vorgehen der ungarischen Regierung bezieht sich aufgrund dieser verfahrenen Lage auch immer weniger auf den Wortlaut, denn die Wirkung von Gesetzen, denn die ist es letztlich, die den Charakter einer Gesellschaft bestimmt und auch die Fragen nach dem Stand von Rechtsstaat und Demokratie beantwortet. Eine formale oder - de jure - Demokratie kann es nicht geben, auch wenn das die Orbánverteidiger, wie auch die Regierung selbst, behaupten und als ausreichend hinstellen, so als wären politische Fragen durch Juristen zu beantworten.

Das Primat des gelebten Rechts, also der Rechtswirklichkeit gilt in der den Anspruch der Wertgemeinschaft stellenden EU nicht nur in und für Ungarn, wurde aber erst am Handeln der dortigen Regierung von mehr und mehr Politikern als dringlich erkannt. Sehr, vielleicht schon zu spät.

red.

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