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(c) Pester Lloyd / 47 - 2013 WIRTSCHAFT 20.11.2013

 

Orbán in Japan, Chaos in Chinatown...

...und andere Wirtschaftsnachrichten der Woche aus Ungarn

Während Premier Orbán in Japan seine "Erfolge" und die Vorzüge "unorthodoxer Politik" anpries sowie das baldige Sterben des Euros beschwor, geht es zu Hause im gewohnten Trott, also drunter und drüber: Energieprovidern wird künftig jeder Profit durch die Verfassung verboten, private Schuldner stellen selbst dann die Kreditrückzahlung ein, wenn sie Geld haben, 93 verstaatlichte Krankenhäuser konnten nur durch eine Notspritze von der Zahlungsunfähigkeit gerettet werden und die Staatsbahn versucht den Chinesenmarkt "Vier Tiger" zu räumen.

Foto: Orbáns offizielle Facebook-Seite “Zwischen Geishas” unser Bildtextvorschlag: Ostöffnung.

Orbán: Ungarn wird Jahrzehnte nicht der Eurozone beitreten, Weniger als 10% Einkommenssteuer ab 2017...

Bei Ansprachen auf seinem dreitägigen Japan-Trip hat Premier Orbán die Legende von der auftstrebenden Wirtschaftsmacht Ungarn fortgeführt und Werbung für japanische Investitionen in die "mitteleuropäische" (er meint Ostmitteleuropa, also sich). Wirtschaft sowie in ungarische Staatsanleihen gemacht. Nach Treffen mit dem Ministerpräsidenten und dem Kaiser (Tenno) gab er “Lektionen” bei einem japanisch-ungarischen Businessforum. Dabei lobte er vor allem sein "flexibles Arbeitsrecht" sowie die Flat tax als wichtigste Grundbedingungen für Investoren. Und Orbán legte noch nach: in ca. drei Jahren halte er eine "einen einstelligen Einkommenssteuersatz" für möglich "und realistisch".

Auch die "Flexibilität" der Währung und damit der Entzug vor einigen Brüsseler Zugriffsmechanismen schätzt Orbán als Wettbewerbsvorteil ein und meint, dass "sprechen wir über den Eintritt Ungarns in die Eurozone, sprechen wir nicht über Jahre, sondern Dekaden, vielleicht zwei oder drei, wenn es den Euro bis dahin überhaupt noch gibt." Hätte Ungarn den Euro, wäre seine "unorthodoxe Wirtschaftspolitik" unmöglich gewesen. Vor einem BIP pro Kopf von weniger als 90% des EU-Schnitts (derzeit rund 40%) brauche man über den Euro gar nicht nachdenken. Eine Einschätzung, die auch seriöse und echte Ökonomen mit Orbán teilen.

Die linke Opposition ist "entsetzt" über Orbáns Darstellung seiner "Leistung" in Japan. Gerade die Erhöhung der Arbeitskosten für die Arbeitgeber und die Gehaltseinbußen für Geringverdiener durch die Flat tax habe dafür gesorgt, dass bis zu 50.000 Arbeitsplätze in der freien Wirtschaft vernichtet wurden. Ein Flat-Tax-Satz von unter 10% würde die soziale Lage nur verschlimmern, denn dieser Steuersatz sei nur im Gegenzug zu enorm erhöhten Verbrauchssteuern zu haben, unter denen jedoch wieder die Geringverdiener am meisten leiden.

Ex-Premier Bajnai, der mit seiner Oppositionsallianz E2014/PM eine Volksabstimmung gegen die Flat tax auf den Weg bringt, nannte Orbáns Steuerpläne heute einen “Amoklauf”.

Orbáns Aussagen zum Euro zeigten zudem, so die MSZP in einer Ausseundung, dass er Ungarn immer weiter von gemeinschaftlichen Zielen und Grundüberzeugungen entferne und damit Ungarn immer weiter von Europa isoliere. Weder Japan noch andere asiatische Länder werden jedoch in nächster Zeit die Wichtigkeit der europäischen Investoren und Absatzmärkte auch nur annähernd kompensieren können.

Mehr zur Wirtschaftslage in Ungarn (Regierungsversion)
Mehr zur Wirtschaftslage in Ungarn (das wahre Leben)

Eine Tokioter Uni verlieh, nein verschenkte Orbán die Ehrendoktorwürde. Aber wofür? Vielleicht für die bahnbrechende Erkenntnis, dass die Ungarn mit den Japanern genetisch verwandt sind, was duch einen kleinen roten Punkt am Gesäß von Neugeborenen beider Nationen “bewiesen” wurde? Oder ist es eher das neue Arbeitsrecht in Ungarn, das die Japaner zwangsläufig an die Zeiten der Gründung ihres Kaiserreiches erinnern dürfte, das die Wirtschaftsuni zu der Auszeichnung brachte?

Energiemarkt wird als Non-Profit-Bereich in der Verfassung festgeschrieben

Die Distribution von Energie, also Strom, Gas, Fernwärme sowie die Kommunalversorgung (Müll, Wasser, Abwasser, Schornsteinfeger etc.) für Haushalte soll in Ungarn zukünftig als "non-profit"-Bereich gestaltet werden. Das entsprechende Gesetz ist gerade in Arbeit und soll im kommenden Jahr auch im Kerntext der Verfassung verankert werden, bekräftigte jetzt die Regierungspartei Fidesz. Danach müssen anfallende Überschüsse hinfort "in die Dienstleistung reinvestiert" werden, womit zu verhindern sei, dass "Profite aus dem Land gezogen werden" können.

Während die Regierungspartei ihre Maßnahme als europaweit vorbildhafte Sozialpolitik feiert, die dauerhaft für bezahlbare Preise sorgen wird, halten Oppositionspolitiker die Sache für einen Schwindel, der nur der Machtaneignung der Regierungspartei und zum Ausbau ihrer lokalen Netzwerke diene. Schon die gesetzlichen Energiepreissenkungen waren sozial unausgewogen, kommen sie doch - auch auf Kosten aller Steuerzahler - allen Haushalten, unabhängig vom Einkommen zu Gute.

Fachleute warnen noch vor einer anderen Entwicklung: Wenn profitorientierte Unternehmen vom Energiemarkt abziehen, werde es keinen Wettbewerb mehr geben, worunter das Know how, vor allem aber die Investitionen zu leiden haben, die schon jetzt, nach den ersten zwei Preisrunden auf ein absolut grenzwertiges Minium gefahren wurden. Am Ende wird es zur üblichen planwirtschaftlichen Flickschusterei kommen, den Preis zahlen die Kunden, wenn nicht über die Energierechnung, dann irgendwann über Steuererhöhungen.

Sowohl Fachanalysten wie auch (demokratische) Opposition negieren keineswegs, dass die Energiekosten in Ungarn im europäischen Vergleich und relativiert zum Einkommen enorm hoch sind bzw. waren und der Energiesektor entsprechend reguliert gehört. Die angestrebte Totalumwandlung in einen staatlichen Sektor sei aber kontraproduktiv und diene mehr Macht- als Volksinteressen.

Der Schritt der Regierungspartei führt zudem dazu, weiter tagespolitische Angelegenheiten durch die Verfassung der Gestaltungsmacht künftiger Regierung zu entziehen.

Zum Thema: http://www.pesterlloyd.net/html/1338energieprofitverbot.html


 

Zocken auf bessere Konditionen: auch solvente Kreditnehmer in Ungarn verzögern Rückzahlungen

Die immer noch vagen Ankündigungen der Regierung über eine Art gesetzliche "Endlösung" für die Forex-Kredite für Privathaushalte führt, laut aktuellen Daten der Nationalbank, dazu, dass auch immer mehr eigentlich solvente Kreditnehmer ihre Zahlungen zurückhalten oder verweigern, um in den Genuss günstigerer Zins- und Ratenbedingungen zu kommen.
Wie berichtet, hat man den Zugang zum bevorzugten Forex-Umtauschmodell kürzlich um in Not geratene Hypothekenkreditnehmer erweitert und insgesamt verlängert, außerdem befindet man sich noch in einer Phase der rechtlichen Absicherung eines Schrittes, der endgültig alle Forex-Kredite aus den Portfolios der Banken eliminieren soll. Diese Aussicht - dann mit einem gesetzlich bevorzugten Umtauschsatz, einer Zinsschranke und Laufzeitverlängerungen zu besseren Konditionen zu kommen hat dazu geführt, dass im September 53,2% aller Forex-Kreditnehmer mit einer oder mehreren Raten hinter ihren vertraglichen Zahlungsverpflichtungen gelegen haben, also zu den rund 26% Dauerausfallkrediten, noch ein weiteres Viertel aller Kreditnehmer auf bessere Konditionen spekuliert.

Späte Finanzspritze rettet 93 Krankenhäuser vorerst vor Insolvenz

Mit einer Notspritze musste jetzt der zuständige Staatssekretär 93 Krankenhäuser in Ungarn vor der Zahlungsunfähigkeit retten. Insgesamt rund 110 Mio. EUR an akut überfälligen Lieferantenrechnungen, hauptsächlich für Medikamente führten bereits in mehreren Hospitälern zu Lieferstopps und Versorgungsengpässen, die jetzt per Dekret zunächst abgewendet wurden.

Beobachter hatten genau diese Entwicklung im Zuge der staatlichen Übernahme der Komitats- und städtischen Krankenhäuser befürchtet: anstatt die Strukturen zo zu reformieren und auszustatten, dass die Einrichtungen planbar ihre Aufgaben erfüllen können, versucht das zuständie Ministerium für "Humanressourcen" lediglich maximale Ensparungen vorzunehmen, u.a. durch Abteilungszusammenlegungen, Streichung von Angeboten und Personalentlassungen. Erst als die Arbeitsunfähigkeit der Krankenhäuser drohte, rückte man mit Geldern heraus, deren Fälligkeit jedoch bei seriöser Budgetplanung längst absehbar waren. Der zuständige Staatssekretär erklärte, dass die jetzige Notzahlung nur im Handel gegen weitere Einsparungen in Höhe von rund 40 Mio. EUR genehmigt wurden.

Bahn gegen Chinesen: Kampf um den Vier Tiger- Markt in Budapest

Während sich Orbán in Japan mit dem Kaiser traf, kämpfen in Ungarn lebende Chinesen um ihre Existenz. Der "Chinesenmarkt", offiziell "Vier Tiger Markt" in der Budapester Józsefsstadt (VIII. Bezirk), befindet sich seit dieser Woche im Krieg mit der Ungarischen Staatsbahn. Der stark frequentierte Markt, dessen Gelände die  Firma Komondor langfristig von der MÁV gepachtet hat, sollte nach einem Beschluss der Bahngeschäftsführung fristlos gekündigt und geräumt werden. Als offizielle Gründe wurden der Verdacht auf illegale Handelsgeschäfte und Hygieneverstöße sowie bauliche Verfehlungen gennannt. Komondor verweist auf einen gültigen Pachtvertrag und engagierte Sicherheitspersonal, das die MÁV-Beauftragten ziemlich deutlich vom Gelände verwies. Die Bahn stellte daraufhin am Freitag Wasser- und Stromversorgung ab, die Betreiber-Firma will sich nun juristisch wehren.

Hintergrund: die Marktschließung geht u.a. vom "Melonenbeauftragten", Staatssekretär Budai aus, der - im Auftrag der Lobbyverbände und einschläiger Strukturen - unliebsame Konkurrenz vom Markt nehmen soll. Die Staatsmafia gegen die Privatmafia sozusagen. Budai hat aus diesem Grunde eine Reihe - äußerst ruppige - unangekündigte Razzien durchführen und teils astronomische Geldbußen verhängen lassen.  Auf dem Gelände will die Bahn einen privaten Immobilienentwickler gewinnbringend engagieren, der Pachtvertrag läuft offiziell aber noch bis Ende 2014.

Von A wie Abiturzeugnis bis W wie Waffe
Einen Bericht über den 4-Tiger-Markt von 2009 können Sie hier lesen:
http://www.pesterlloyd.net/budapest2009/chinatown/chinatown.html

red.

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