THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 07 - 2014   POLITIK 14.02.2014

 

“Diebe” bezichtigen “Diebe”, Diebe zu sein

Regierungspartei und Opposition in Ungarn im Schlagabtausch um versteckte Vermögen

Verschweigt Premier Orbán horrende Vermögenswerte? Warum ist der Premier laut Vermögensaufstellung so “arm”, während sein Umfeld explosionsartig reicher wird? Diese Fragen wirft ausgerechnet Ex-Premier Gyurcsány auf und in den Wahlkampfring, jener Politiker, dessen Ära als Sinnbild für Selbstbedienung und Raubbau stand. Ob sich die erneute Wahlkampfverschärfung zu einem Skandal auswächst, liegt an der Beweislage - und die ist - wie immer dünn.

Nach Hausdurchsuchung bei Ex-MSZP-Vize: Gyurcsány greift Orbán frontal wegen "versteckter Auslandsvermögen" an

Am Donnerstagmorgen legte Ex-MSZP-Vize Simon sein Parlamentsmandat
wegen der nichtdeklarierten Dreiviertelmillion Euro auf einem österreichischen Konto nieder, nur Stunden später setzten Polizei und Staatsanwaltschaft eine Haus- und Bürodurchsuchung an, um Beweise für die unterstellte Steuerhinterziehung zu sichern. Die Ermittler durchsuchten dabei sowohl Büros im Hauptquartier der Sozialisten, als auch "die zwei Häuser Simons", eines davon im 12., das andere im 18. Bezirk der Hauptstadt. Mit im Raum steht auch, dass es sich bei den Geldern um MSZP-Schwarzgelder handeln könnte.

Am Freitag ging die Linke in die Gegenoffensive. Rundheraus erklärte der DK-Vorsitzende, Ex-Premier und "selfmade"-Millionär Gyurcsány, dass Orbáns Vermögensdeklaration im Parlament ebenfalls "eine Fälschung" sei, denn mehrere Personen aus dem Umfeld Fidesz-naher Oligarchen, namentlich nannte er Lajos Simicska (Kögép etc.) sowie Orbáns Gattin, Anikó Lévai, würden "Vermögenswerte im Ausland für Orbán" bunkern. Die Familie Orbán habe seit 1990 nachweislich mindestens Werte in Höhe von umgerechnet rund 1 Mio. EUR angesammelt, die nun nicht mehr unter seinem Namen auftauchten, behauptete Gyurcsány und weiter: Orbán sei ein "korrupter Politiker" und wohl auch der "reichste Politiker" des Landes, so Gyurcsány, der für die nächsten Tage eine Strafanzeige, mehrere Anträge an parlamentarische Komitees sowie eine "Schlacht um die Offenlegung der Vermögen" ankündigte.

 

Zuspitzung auf Duell mit Gyurcsány passt in Fidesz´ Drehbuch

Konkrete Beweise legte Gyurcsány, dessen eigener Wohlstand in den Zeiten der "grauen Privatisierungen" in den Neunzigern - und da vor allem in exzellenten politischen Kontakten - gründete, noch nicht vor. Ein Ergebnis des Frontalangriffs dürfte jedoch schon gewiss sein: eine Gegenklage der Orbán-Seite und der ausführlich zelebrierte Hinweis auf die korrupten Vorgänge unter seiner Regierung. Ob die Offensive Gyurcsánys mit den Bündnispartner der Wahlallianz abgesprochen worden ist, darf bezweifelt werden, ist der Ex-Premier doch gerade "der Richtige" für einen solchen Vorwurf. Für die Regierungsparteien ist jedenfalls jede Wortmeldung Gyurcsánys eine dankbare Vorlage, dessen Ruf im Wahlvolk ist dermaßen ramponiert, dass die Zuspitzung auf ein Duell mit dem “heimlichen Führer der Linken” genau in Fidesz` Drehbuch passt.

Einige Anhaltspunkte zum materiellen Hintergrund der Familie Orbán finden Sie im Bericht über seinen Heimatort Felcsút und auch über seine Frau und “Freunde”, aber auch in aktuellen Entwicklungen im Weingebiet Tokaj. Eine gründliche Erklärung zum Fidesz-System der Geldbeschaffung über EU-Mittel lesen Sie hier. Die Frage, warum Familie, Freunde und “Geschäftsleute” Orbáns explosionsartig zu Wohlstand kommen, der Premier aber praktisch nur Zugewinne mit Buchtantiemen angeben kann, drängt sich geradezu auf. Viel mehr als “sich seinen Teil denken”, bleibt dem Normalbürger freilich nicht.

UPDATE, 14.2., 19:17 Uhr: Regierung kontert

Eine Stunde, nach dem Ex-Premier Gyurcsány seine Vorwürfe der Kapitalflucht und der falschen Vermögensdeklaration gegen Premier Orbán publizierte, feuert die Regierung über ihre Medien zurück. Sowohl der Staatsfunk (Híradó) als auch die Tageszeitung "Magyar Nemzet" veröffentlichten die erwartbaren Statements der Regierungssprecher, wonach die Linke nur mit billigen Tricks vom der Simon-Affäre ablenken will, das Land ruiniert hat und sowieso überhaupt nicht satisfaktionsähig ist. Mit den Vermögensdeklerationen des Regierungschefs sei alles in Ordnung. Im Gegensatz dazu müsse sich Gyurcsány - einmal mehr - unbequemen Fragen stellen.

Regierungspresse kramt in der Gyurcsány-Kiste

Der regierungsnahe Privatsender Hír TV steuerte - hinlänglich bekannte - Geschichten über den Kauf einer Immobilie unweit des Parlamentes durch eine von Gyurcsány kontrollierte Firma im Jahre 1995 bei, die anschließend zu einer horrenden Miete auf 10 Jahre an eine staatseigene Firma vermietet wurde. Der Deal sei nur wegen Verjährung nicht vor die Gerichte gekommen. Auch der Kauf eines Unternehmens in Mosonmagyaróvár im Wert von damals rund 5 Mio. EUR, finanziert über den Kredit einer Bank, in dessen Vorstand damals Gyurcsánys Schwiegermutter gesessen hatte, wurde nochmals erwähnt. Gyurcsány habe sich stets damit verteidigt, ein erfolgreicher und gkücklicher Geschäftsmann und erst danach auch Politiker gewesen zu sein. Nach der "Wende" 2010 war es dem Fidesz, trotz unermüdlichen Einsatzes eines "Regierungskommissars" nicht gelungen, Gyurcsány "zur Rechenschaft" zu ziehen, ihn also vor Gericht stellen und verurteilen zu lassen. Es gab zwar einige Prozesse, in denen die Rolle Gyurcsánys bearbeitet wurde (King´s Casino), doch ihn für die Verfehlungen seiner Parteigänger, von denen etliche verurteilt wurden, mit haftbar zu machen, misslang gründlich.

Beweise bitte...

Die jetzige Reaktion der Regierungsseite ist ungefähr genauso dünn belegt, wie bisher die Vorwürfe Gyurcsánys an Orbán und dessen so sprungartig wohlhabend gewordenem persönlichen Umfeld. Das Volk wird über diesen Schlagabtausch nur resigniert den Kopf schütteln, sieht es sich doch nur darin bestätigt, dass es sich ihre politischen Eliten - egal welcher Coleur - immer richten können. Nur für den Fall, dass die Linke wirklich konkrete Beweise für ein gestzlich relevantes Fehlverhalten Orbáns vorlegen kann, könnte der Skandal mehr als eine Medieneintagsfliege werden. Denn gegenseitige, unbelegte Anschuldigen quer durch das Sortiment des Strafrechtes, sind in Ungarn an der Tagesordnung und spitzen sich im Wahlkampf naturgemäß zu. Bisheriger Höhepunkt waren die Anschuldigungen zum organsierten und amtlich unterstützten Steuerbetrug seitens eines Ex-Mitarbeiters des Finanzamtes. Auch er blieb bis heute Beweise schuldig, was die Regierungsseite nicht davon abhielt, den “Kronzeugen” systemtaisch zu diffamieren und zu kriminalisieren. Hier mehr.

Die allgemeine Meinung darüber lautet, dass fast immer etwas dran sein dürfte, man die Herrschenden aber ohnehin nicht drankriegt. Diebe bezichtigen Diebe, Diebe zu sein. Das Magazin HVG fasste die Entwicklungen so zusammen: Fidesz "simonisiert", die Linke "simicskisiert"...

ms.

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