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(c) Pester Lloyd / 31 - 2012     POLITIK 31.07.2012

 

Schuss ins Knie

Politisches Sondertribunal in Ungarn gescheitert

Die "Abrechnung mit den Vergehen der Vorgängerregierungen" wurde kleinlaut abgebrochen, Sonderkommissar Budai wegen Erfolglosigkeit ins Sommerloch entsorgt. Ausschlagebend war die Verfahrenseinstellung in der Causa Gyurcsány. Korruption und Amtsmissbrauch sind eben kein exklusiver Habitus einer politischen Gruppe und auch ein geschrumpfter Rechtsstaat kann noch funktionieren. Doch das Wirken von Orbáns Racheengel ist ein Fanal für eine aufkommende Postdemokratie und auch Budais Rückkehr im Schafspelz schon beschlossen.

Orbáns Sonderermittler in seiner Lieblingspose. Als nimmermüder Spürhund mit Akten unter dem Arm vor der Generalstaatsanwaltschaft. Doch schon das reine Hochstapelei. Der Parlamentarier Budai hatte für diese Behörde nicht einmal einen Dienstausweis, nur einen Schriebs von Orbán, dass er eben ist, wer er ist, Legislative hin, Exekutive her, Judikative sowieso egal...

Der von Premier Orbán eingesetzte Sonderkommissar für "Abrechnung mit den Vergehen der Vorgängerregierungen", Gyula Budai, wird Ende August seinen Posten verlassen, teilt uns die Regierung, sichtlich leisetretend und beschämt über das Amtsblatt mit, weil man glaubt, das liest sowieso keiner. Was sie verschweigt, ist der Grund für die vorzeitige "Entlastung", denn ursprünglich wollte Budai im November noch mit einem großen Abschlussbericht aufwarten und erklärte, dass er bis kommenden Oktober noch einige spektakuläre Enthüllungen vorhabe. Im April sah er 90% der Vorgängersünden aufgearbeitet, nun ist davon plötzlich nichts mehr geblieben? Dass Orbán gleichzeitig mit Budai auch András Levente Gál verabschiedete, den Staatssekretär, der für ein "Good Governence"-Konzept bestellt war, spricht in diesem Zusammenhang Bände.

Aufgrund fortgesetzter Erfolglosigkeit entsorgte man den persönlichen Racheengel des Premiers, auch "Orbáns Bulldoge" genannt, dieser Tage ins Sommerloch. Er wird bald wieder auftauchen, doch dazu am Ende mehr. Entscheidend für die Ablösung war letztlich die in der Vorwoche verkündete Verfahrenseinstellung in der Causa Gyurcsány / Sukóro.

 

Die "Gerechtigkeitszuführung" (hier mehr zum ungarischen Neusprech) des Ex-Premiers war das zentrale Ziel der Regierungspartei, ganz offen postulierte man, dass man ihn, sowie seinen Vorgänger Medgyessy und seinen Nachfolger Bajnai "hinter Gitter bringen" wolle und plante sogar eigene rückwirkende Gesetze für “exzessive Haushaltsverschuldung”, eine “Lex Gyurcsány”. Man kam schnell auf den Trichter, dass man sich damit bald selbst ein Bein stellen könnte und ließ die Konzepte schreddern.

Eine Idee verkommt zur Posse

Ganz so einfach scheint ein reines Polittribunal mit ungarischen Richtern heute noch nicht machbar, weshalb sich die öffentlichkeitsheischende Wühlarbeit allmählich zum wahlarithmetischen Risiko wandelte, bringt die ungarische Bevölkerung nämlich immer weniger Verständnis für den Gerechtigkeitssinn von Politkern auf, die auf andere mit einem Finger zeigen, der selbst nur noch ganz knapp aus dem eigenen Sumpf ragt. Nicht zuletzt war Budais Ruf selbst angekrazt und womöglich war der Racheengel auch in das aufzudeckende System verstrickt, nun, auch der Teufel war einst ein Engel, Lucifer genannt. Am Ende wurde Budai mehr von seinen Opfern verklagt als er diese verklagen konnte, die ganze Idee verkam zur Posse.

Lauttönender Trittbrettfahrer der Staatsanwaltschaft

Die Bilanz Budais wird vom Regierungssprecher so dargestellt: 1.434 Berichte von "Bürgern" über "Misswirtschaft und Amtsmissbrauch in der vorherigen Regierungsperiode" wurden behandelt, 107 davon führten zu "Ermittlungen oder Prozessen", wobei hier die Zahl der eingestellten Ermittlungen wohlweislich verschwiegen wird, auch die Zahl derjenigen Prozesse, die auch ohne das Büro Budai stattgefunden hätten (wie z.b. jene gegen den ehemaligen Verteidigungsminister und seine Staatssekretäre, die Immo-Schiebereien der MSZP-SZDSZ-Bezirksmafiosi oder der besonders beispielhafte BKV-Fall des MSZP-Vizebürgermeisters Hagyó). Budai sattelte auf die meisten "Skandale", die eigentlich Fälle waren, nur auf, da sie längst einen Verhandlungstermin hatten. Noch 50 Fälle seien offen. Ein paar Fragen bleiben auch offen: wer verantwortet sich eigentlich für diesen Angriff auf den Rechtsstaat und wer entschädigt den zerstörten Leumund der zahlreichen Rufmordopfer des Gyula Budai, denn schließlich hat er sowohl die Persönlichkeitsrechte wie auch die Unschuldsvermutung mal eben außer Kraft gesetzt.

Die "Landliebe" ist Rechts wie Links ähnlich groß

Die zentrale Causa Gyurcsány (konkret hier der Fall King´s Casino / Sukóro) gab strafrechtlich nichts her. Die ungarische Staatsanwaltschaft hat das seit langem laufende Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány aus Mangel an Beweisen eingestellt. Untersucht wurde ein umstrittener Landtausch nahe der Stadt Sukóro am Velence See, wo ein Casino Monster entstehen sollte, der für den Staat Nachteile in einer Größenordnung von etwa 1 Mrd. HUF (3,5 Mio. EUR) brachte. Mehr dazu.

Man hatte Gyurcsány sogar schon als "Beschuldigten" am Wickel, der Prozess schien in greifbarer Nähe, die Bilder vom Ex vor dem Kadi waren ganz nach dem Geschmack der Fidesz-Strategen. Doch ganz ohne Beweise und Taten, die im Strafrecht als solche sanktionswürdig aufscheinen, ging es eben nicht. Auch Gyurcsány, selbst ein politischer Taschenspieler bar jeder Selbstreflexion, zog alle Register: Demos seiner Anhänger vor dem Gericht, Unschuldsbeteuerungen, eine selbst initiierte Immunitätsaufhebung im Parlament, angeblich sogar Drohungen gegen die Ermittler: wenn es einmal wieder anders kommt und - als Beweis, dass auch Schmierenkomödien parteiübergreifend eingeübt wurden - die Tochter vor dem Verhör im Arm (siehe Foto).

Der materielle Schaden bestand jedoch real, doch die direkte Einflussnahme Gyurcsánys auf die krumme Entscheidung ist juristisch offenbar nicht nachweisbar, nun hielt man sich an den Investor, der praktischerweise auch noch ein Israeli ist, was wiederum der rechten Flanke der Nation von großem Nutzen gewesen war.

Volkswirtschaftlicher Schaden aus dubiosen Landgeschäften? Zu diesem Thema geht den Ungarn ein Name in letzter Zeit nicht mehr aus dem Ohr: Felcsút. Der Heimatort des Ministerpräsidenten Orbán. Die Geschichten, die wir von dort in den letzten Monaten zu erzählen hatten, legen nahe, dass die "Landliebe" bei den Fidesz-Kameraden ähnlich ausgeprägt ist wie bei den MSZP-Genossen. Vielleicht auch das ein Grund, nicht mehr zu tief zu bohren?

Gyurcsány als Namensgeber eines Systems

Dass man Gyurcsány über die Gerichte nicht "gesamtverantwortlich" ans Leder kann, ist moralisch und gesellschaftlich bedauerlich, andererseits wurde er vom Wähler politisch abgestraft, dabei hat es wohl zu verbleiben. Eine weiße Weste hat der ehemalige sozialistische Regierungschef, der als Chef einer neuen Partei immer noch glaubt, er sei der eine, der die Nation retten kann, zwar keineswegs, schließlich laufen gegen Dutzende Mitglieder seiner Administration, ehemalige Parteifreunde, korrupte Beamte und "nahestehende" Geschäftsleute etliche Verfahren, doch in diesem Fall schossen die Fidesz-Gerechtigkeitsexekutoren deutlich über das Ziel hinaus. Entsprechend herrscht dort jetzt betretenes Schweigen. Ebenfalls kürzlich kam der Einstellungsbescheid bei der "Philosophenjagd" , einem absurden Schauspiel politischer Verfolgung, über das wir hier ausführlich berichteten.

Viele kleine Budais in den Startlöchern

 

Unsere Bilanz besagt: Ein kompletter Schuss ins Knie. Es hat sich herausgestellt, dass ein außerhalb der Judikative stehender Sonderermittler stalinistischen Angedenkens selbst in einem geschrumpften Rechtsstaat auf Dauer nicht arbeitsfähig ist. Möglich, dass man ihn bald nicht mehr braucht, weil der Rechtssaat bald so getrimmt wird, dass viele kleine Budais seine Funktion ganz legal in den Gerichten erfüllen können. Doch so weit ist es noch nicht, immerhin hat ja auch im Falle der Richtersäuberungen das Verfassungsgericht ein knappes, aber klares Urteil gefällt und jenes der EU dazu steht noch aus. Der Verfassungserichtspräsident musste jedoch schon kurz nach dem Urteil öffentlich darauf hinweisen, dass Urteile seines Hauses keine Vorschläge, sondern bindende Festlegungen sind, und man nach dessen Beschlüssen die beanstandeten Gesetze und nicht die Kompetenzen des Gerichtes oder gleich die ganze Verfassung zu ändern habe.

Staatssekretär für "Nationales Wohlergehen"

Sowohl die Ein- wie die Absetzung, am meisten aber das Wirken des Sonderkommissars sind zwar ein kräftiger Schuss ins politische Knie gewesen, jedoch auch beunruhigende Fanale einer sich anbahnenden Postdemokratie. Und wie jede Geschichte aus dem heutigen Ungarn, hat auch diese eine sehr eigene Pointe: Budai wird, so teilt man regierungsseitig mit: dem Land weiter dienen und es weiterhin beschützen. Als Staatssekretär für das "Nationale Wohlergehen" an der Seite Orbáns. Wohl bekomm´s!

red. / ta. / ms.uf

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