THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 10 - 2014   GESELLSCHAFT 06.03.2014

 

Majestätsbeleidigung

Verfassungsgericht in Ungarn kippt Paragraph zu Kritik an Amtsträgern

Das ungarische Verfassungsgericht hat einen Absatz des am 15. März in Kraft tretenden neuen Zivilrechts (BGB) am Dienstag gekippt, der öffentliche Kritik an "Amtsträgern" stark einschränken sollte. Dabei ist diese "Lex Lázár", die vor allem Redaktionen und Opposition beeindrucken sollte und offen gegen Grund- und Verfassungsrechte verstieß, nur eine kleine Facette der heute exerzierten, postdemokratischen Auslegung von Öffentlichkeit.

Illustration: varanus.blog.hu

Die Richter führten aus, dass die "freie gesellschaftliche Debatte" als "Grundwert der Verfassung" von "außerordentlicher Bedeutung" ist und kein nachgeordnetes Gesetz die Meinungs- und Pressefreiheit derart einschränken darf. Die Verfassungswächter kritisierten neben der prinzipiellen Kollision mit Verfassungsbestimmungen außerdem die schwammige, zu politischem Missbrauch einladende Formulierung des Artikels, der Kritik an "Personen in öffentlichen Ämtern" "nur zulässig" machte, wenn die Kritik "im legitimen, öffentlichen Interesse, notwendig und angemessen" ist.

Kritiker sahen in dem Gesetz von Anfang an eine "Lex Lázár", benannt nach dem so eitlen wie dünnhäutigen Amtsleiter Orbáns, der sich regelmäßig auf Schmerzensgeld gegen Zeitungen, Personen und Online-Portale durch die Instanzen klagt - und auch schon gewann, aber eben nicht immer. Der Absatz im neuen BGB war ein Versuch, sich ein Elitenrecht zuzulegen, von der eigenen Überlegenheit gegenüber dem normalen Volk wie selbstverständlich ausgehend. Auch diese Attitüde ist ein weiterer Hinweis auf die Strategie zum Aufbau eines ständischen Staatswesens.

Tatsache ist nämlich, dass üble Nachrede, Beleidigung, Verleumdung etc. allesamt durch das Strafrecht abgedeckt waren und sind - und zwar für alle Bürger. Die Aufnahme ins Zivilrecht für die begrenzte Gruppe “öffentlicher Amtsträger” dagegen den Weg für Unterlassungs-, Schadensersatz- und Schmerzensgeldklagen seitens staatlicher Behörden oder Einzelpolitiker gegen unliebsame Kritiker geebnet hätte, mit denen man Medien, aber auch Einzelpersonen, also z.B. Oppositionspolitiker bequem hätte mundtot machen können. Das schien umso gebotener, je mehr sich die Regierungspartei die Aneignung öffentlicher Werte gesetzlich absicherte. Ganz in diesem Sinne, wollte man sich über den Gesetzesweg auch für verbal unberührbar erklären lassen. Im Gegensatz dazu müssen sich Personen des öffentlichen Lebens in elaborierten Demokratien sogar deutlich mehr gefallen lassen als der Normalbürger.

Nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtes - die Klage von Ende Juli 2013 war übrigens die letzte gute Tat des letzten unabhängigen Ombudsmannes für Grundrechte Szabó - ist der Artikel zunächst annulliert, allerdings hat die Regierung Orbán in der Vergangenheit meist sehr resolut die Urteile des Verfassungsgerichtes ausgehebelt und umgangen, u.a. in dem ein neues, leicht verändertes Gesetz auf den Weg gebracht, die Kompetenzen des Gerichtes beschnitten oder der Kerntext der Verfassung selbst geändert wurde, womit es der Prüfung des Gerichtes, das die Einhaltung der Verfassung zu prüfen hat, entzogen wäre. Dieses Vorgehen kumulierte mit den 4. Verfassungsänderungen zu einem regelrechten Umsturz der Verfassungsordnung.

Neben dem Mediengesetz (vor allem Paragraph 13 sowie Rolle und Besetzung des Medienrates), gab es in den vergangenen vier Jahren zahlreiche direkte und indirekte Versuche, die Meinungsfreiheit, -vielfalt und den Informationsfluss zwischen Behörden und Bürgern durch die Gesetzgebung einzuschränken. So wurden etwa im Nachklang zum Video-Skandal von Baja investigative Journalisten mit Haft bedroht oder im Zuge des Fidesz-Tabakhandelsmonopols die Informationsfreiheit der Bürger und Auskunftspflicht von Ämtern empfindlich eingeschränkt.

 

Auch die Einstufung von (regierungs)amtlichen Dokumenten zu "nationalstrategischer Bedeutung" und damit die Verhinderung der Publikation, wird inflationär angewendet. Gerade versucht die Antiterroreinheit TÉK mit Hinweis darauf, dass es "gefährlich" sei, "Kritik an der Polizei" zu üben, Journalisten zum Schweigen zu bringen, nur weil die Diskrepanzen im Finanzgebahren der Sondereinheit ansprachen. Weiterhin gibt es absurde Gesetze, die z.B. die "Schmähung" der "heiligen Krone" mit bis zu einem Jahr Haft bedrohen oder es dem Geheimdienst erlauben, Öffentlich Bedienstete wochenlang ohne jeden Grund ausspähen zu dürfen. Der konsequente Ausbau der Medienmacht sowie der propagandistische "Neusprech" der Regierung runden das Instrumentarium der postdemokratischen Einschränkung des öffentlichen Diskurses ab.

Es fehlt in Orbáns Ungarn eigentlich nur noch ein Paragraph zur Majestätsbeleidigung, wiewohl dieser Tatbestand eigentlich schon erfüllt ist, wenn es die Lakaien vom Verfassungsericht einmal wieder wagten "gegen das Gerechtigkeitsempfinden des Volkes", also gegen Orbáns Meinung ein Urteil auszusprechen.

red.

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