THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 32 - 2014 MEDIEN 08.08.2014

 

(K)ein Funke Hoffnung: hvg, der "ungarische Spiegel", geht in eine ungewisse Zukunft

Die Funke Mediengruppe - bis 2013 WAZ-Gruppe - hat entschieden, sich von ihrer 75%-Beteiligung am führenden ungarischen Wochenmagazin HVG zu trennen. HVG (Abkürzung für Heti Világgazdaság: Wöchentliche Weltwirtschaft) hat in Ungarn in ungefähr einen Stellenwert, wie der SPIEGEL in Deutschland in seinen besten Jahren. Der Abgang der Deutschen hat betriebswirtschaftliche und strategische Gründe, aber auch eine politische Dimension, die von den Investoren gerne negiert wird.

Das Blatt wurde 1979 von Personen rund um die Wirtschaftstageszeitung "Világgazdaság" gegründet und galt damals als eine der wenigen Publikationen, die auch regimekritisch berichtete, vor allem fand man dort erstmals wieder kritische Berichte zur wahren Wirtschaftslage im Lande. Diesen Ruf - systemkritisch, investigativ und fern der Macht zu sein - erhielt man sich auch in den Jahren nach der Wende und deckte reihenweise Skandale von linken und rechten Regierungen auf, die nicht selten zu mittleren politischen Erdbeben führten. Markante, provokante und häufig satirische Titelbilder der Wochenausgabe wurden zum Markenzeichen des Magazins.

Titelbild zur steuerfinanzierten Fußballeuphorie der Orbán-Truppe

In den vergangenen Jahren baute man massiv das Online-Portal aus, auch um unabhängiger von den hohen Fixkosten im Printbereich und damit von der Gunst der großen Werbetreibenden, die immer mehr von der Regierungspartei gelenkt sind, zu werden. hvg.hu gehört heute neben index.hu, portfolio.hu und origo.hu zu den Marktführern im News-Bereich, außerhalb der offiziösen Angebote, versteht sich.

 

Stabil, trotz Verlusten? Online-Segment wächst rasant

Die Verkaufszahlen des HVG-Flagschiffs, also des Magazins, sanken - wie fast überall im Zeitungsgeschäft - kontinuierlich, doch Funke spricht davon, dass das Haus "finanziell stabil", sei, trotz 3 Mrd. Forint (rund 9,5 Mio. EUR) Verlusten im Vorjahr, die wohl letztlich auch den Ausschlag für den Ausstieg gegeben haben dürften - und natürlich auch politische Gründe haben. Immerhin halte man in "unserem Segment" 50% Marktanteil. Dass man sich dafür immer weniger kaufen kann, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Die Online-Ausgabe, das Portal hvg.hu und Zusatzangebote generiert durchschnittlich 400.000 Besuche am Tag, bei 10 Mio. Einwohnern kein schlechter Wert, pro Woche summieren sich alle digitalen Angebote auf rund 1 Mio. User, 250.000 Facebook-Fans untermauern diese Popularität, immerhin 50.000 mehr als der Premier Orbán vorweisen kann.

Der innere Kreis des Fidesz als mafiöse Herrenrunde, Orbán als Pate...

Zukunft offen und sehr unsicher

Der Ausstieg der Funke-Gruppe (früher WAZ) aus der HVG wird offiziell mit Umstrukturierungen im Zuge der fast 1 Mrd.-EUR schweren Übernahme von Springer-Regionalblättern und einigen Spartenmagazinen begründet. Dieser Schritt erfordere ein "Umdenken" beim "Engagement in Osteuropa" hieß es in einer Mitteilung auf hvg.hu. Freilich "fühle man sich immer noch verantwortlich" für die künftige Marktposition der HVG und wolle daher an der "Neuordnung der Eigentümerstruktur" mitwirken. Möglicherweise geht es dabei um eine Erhöhung des Anteils der Mitarbeiterholding (derzeit 25%). Am 28. August soll es zum Thema eine außerordentliche Hauptversammlung geben. Ein neuer Chefredakteur und Manager soll allerdings erst im September ernannt werden, womit nur sicher ist, dass nichts sicher ist. Auch eine Aufspaltung in Print und Online ist nicht ausgeschlossen, denn nur Letzteres ist profitabel.

Rückzug ausländischer Medienhäuser aus Ungarn epidemisch

Die HVG ist somit das nächste - nichtregierungsnahe - Medium, dessen Zukunft - auch durch das Handeln ausländischer Beteiligter - gefährdet wird. ProSiebenSat1 hatte den TV-Sender TV2, Nr. 2 im Markt, kürzlich
an regierungsnahe Manager verscherbelt, die Mehrheitsanteile der führenden linksliberalen Tageszeitung Népszabadság wurden vom Schweizer Ringier Verlag an eine österreichische Beteiligungsgesellschaft ausgelagert, um Auflagen des ungarischen Medienrates zur Gründung einer Ostmedien-Holding gemeinsam mit Springer zu erfüllen. Zukunft auch hier sehr ungewiss. Das Newsportal origo.hu erlebte nach der politisch motivierten Kündigung des Chefredakteurs seitens des Eigentümers Magyar Telekom (Tochter der Dt. Telekom) einen handfesten Skandal und einen Exodus an Journalisten und ist in punkto Glaubwürdigkeit beim Publikum erledigt.

Regierung sitzt am längeren Hebel

Mit einer
zugeschnittenen Werbesteuer von bis zu 40% (!) auf die Umsätze versucht die Regierung gerade TV-Marktführer RTL Klub (Bertelsmann) in die Knie zu zwingen, das daraufhin plötzlich politische Kämpferqualitäten entdeckte und sich vom Boulveard- zum Widerstandssender mauserte. Die kleine und sehr linke Traditionszeitung Népszava klammert sich seit Jahren schon an den letzten Strohhalm, auch deren aktuelleste Rettungsbemühungen sind sehr bezeichnend für die Lage in Ungarn.

Pressefreiheit auf Ungarisch. Titelbild der hvg nach dem Mediengesetz.

Vor allem über den Hebel der Anzeigenschaltung durch Staatsbetriebe, Behörden und hörige Unternehmen, werden nichtregierungskonforme Medien immer weiter ausgehungert, während genehme gefördert werden. Ziehen sich die genervten Investoren dann wegen mangelnder Profitabilität zurück, findet sich schnell ein gut vernetzter Aufkäufer. So gelingt die Erosion der Pressefreiheit ohne direkten Zugriff. Im Bereich lokaler Medien (Lokalfernsehen, Gemeindeblättchen, Rundfunk), vor allem aber im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ist die Umgestaltung zum reinen Parteifunk bereits abgeschlossen. Der Rest eine Frage der Zeit. Und Orbán hat Zeit...

Eine Zwischenbilanz nach drei Jahren Mediengesetz lesen Sie hier.

Bequeme Ausreden der großen Medienhäuser

Andrea Lukács, Redakteurin bei HVG.hu, hat sich in einem
offenen Brief über das deutsche Handelsblatt zum Ausstieg der Funke-Gruppe geäußert. Ihr Brief ist, selbst wenn man ein paar verträumte Sentimentalitäten in einem harten Business ausblendet, eine verständliche Erinnerung daran, dass ein Engagement im Medienbereich, nicht nur eine Frage von Profitinteressen sein sollte und sein kann.

 

Gerade die in Ungarn bis dato stark engagierten deutschen bzw. westlichen Medienunternehmen waren bisher für die unabhängigen Blätter und Sender ein gewisser Garant für Meinungsvielfalt und Pressefreiheit, denn sie ließen ihre Redaktionen (meist) ihre Arbeit machen. Eine verkaufbare Qualität, ein klar strukturiertes Profil war den Herausgebern allemal wichtiger als Regierungsnähe. Doch die immer häufiger werdenden Rückzüge, die durchaus auch als Feigheit vor dem Feind der Pressefreiheit zu werten sind, untergraben die Medienfreiheit und damit einen demokratischen Grundbaustein immer weiter, auch wenn das explizit von den Playern so nicht gewollt sein mag und diese sich mit dem gängigen Strategiegefasel bequem herausreden können.

red. / m.s.

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