THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

 

Hauptmenü

 

 

 

 

(c) Pester Lloyd / 34 - 2014   WIRTSCHAFT   23.08.2014

 

Das pickt ins Herz des "Schweinekönigs": Wie hart treffen die russischen Agrar-Sanktionen Ungarn wirklich?

Russland ist - nach der EU - der zweitgrößte Absatzmarkt für ungarische Agrarprodukte und Lebensmittel. Werden die Sanktionen Moskaus die Branche jetzt erschüttern? Pflichtgemäß ruft die Regierung in Budapest laut um Hilfe in Brüssel und Orbán fordert die EU sogar zu einem Kurswechsel auf. Doch nach innen beruhigt man, denn die nackten Zahlen eigenen sich kaum zum Dramatisieren, zumal Russland schon lange als unzuverlässiger Abnehmer bekannt war und die größten Ausfälle ausgerechnet einen regierungsnahen "Oligarchen" treffen.

Die Grafik zeigt links die Entwicklung des gesamten Handels zwischen der EU und Russland (graue Linie Importe aus Russland (Löwenanteil darin natürlich Rohstoffe), rote Linie Exporte nach Russland) in Mrd. EUR. Der rechte Teil beleuchtet die Agrar- und Lebensmittelexporte Ungarns nach Ländern im Jahre 2013. Quelle: Landwirtschaftliches Agrarforschunginstitut / MTI.

Ungarn exportierte 2013 Agrarprodukte und Lebensmittel im Gesamtwert von rund 8,1 Milliarden Euro. Nach Russland gingen davon Waren im Wert von ca. 276 Mio. EUR, das sind ca. 3,5%. Das klingt nicht viel, aber Russland ist damit - nach der EU - der zweitwichtigste Markt für die ungarische Agrar- und Lebensmittelindustrie. Waren im Wert von jährlich rund 80 Mio. EUR sind seit 6. August von den Sanktionen gegen Fleisch, Fisch, Obst, Gemüse, Milch und Milchprodukte betroffen, so die offizielle Schätzung des Landwirtschaftsministerium, was einen Ausfall von täglich ca. 220.000 EUR für die betroffenen Bauern und Lebensmittelproduzenten bedeutet.

Das klingt, gesamtwirtschaftlich gesehen, verkraftbar, schließlich betrifft es nur ca. 30% der Russland-Exporte in der Agrar- und Lebensmittelbranche und nur etwas über 1% der gesamten Agrarexporte des Landes. Diese Information jedoch nutzt den Produzenten, die davon am härtesten betroffen sind, recht wenig. Vor allem aber fürchten die Exporteure den langfristigen Verlust der Geschäftskontakte, da ihre Abnehmer sich nun nach anderen Partnern umschauen werden und es schwer sein wird, dann wieder einen Fuß in die Tür zu bekommen.

Mit am härtesten trifft es die Exporteure und Produzenten von Schweinefleisch und Schweinehälften in gekühltem wie in gefrorenem Zustand, denn 2013 gingen 13,6% ihrer Exporte nach Russland, die Geflügelproduzenten lieferten dagegen nur 3% ihrer Exportware dorthin. Noch übler ergeht es den Produzenten von Schinken, Salamis und ähnlichen "Dauerwürsten", für die Russland sogar noch vor der EU der wichtigste Exportmarkt geworden ist und 2013 einen Anteil von über 60% der Ausfuhren erreichte mit einem Volumen von rund 8 Mio. EUR.

 

Größter Player in diesem Markt ist übrigens der Oligarch Sándor Csányi (Foto), gleichzeitig Vorstandschef der größten Bank Ungarns, OTP und Präsident des nationalen Fußballverbandes, dessen Lebensmittel-Holding - Bonafarm - sich Dank seiner guten Kontakte zu den jeweils Mächtigen, für wenig Geld die berühmten Salami-Marken Pick und Herz, aber auch Délhús und andere sicherte als diese Pleite oder es fast waren. Sie passten gut in die Wertschöpfungskette, denn die Holding zieht auch selbst die Schweine auf (er importiert die mangels ausreichenden Mengen und Qualitäten sogar, was ihm bereits den Vorwurf einbrachte antiungarisch / unkoscher zu arbeiten), betreibt eigene Schlachthöfe und baut sogar die Futtermittel zum großen Teil selbst an. Mittlerweile firmiert Csányi als "Schweinekönig" von Ungarn.

Bekanntermaßen nahmen die Verkäufe der Hauptprodukte aus diesen Fabriken gen Westen seit der Wende kontinuierlich ab, sowohl aus preislichen Gründen, aber auch aus mangelndem Innovationsehrgeiz, - man mochte auf den sich ändernden Geschmack der Europäer, die nach weicheren, geschmacklich variableren Würsten (z.B. französische und italienische Salamis) verlangten, nicht reagieren und bot ihnen weiter stur die klassische Wintersalami, Marke "Túrista", an, noch dazu zu einem längst nicht mehr konkurrenzfähigen Preis. Der Export in die osteuropäischen Länder der EU, aber vor allem auch nach Russland, in die Ukraine und auf den Balkan wurden existentiell, immerhin geht rund die Hälfte der Produktion ins Ausland.

Dass die Ausfälle nun hart treffen, ist also zum Teil auch ein hausgemachtes Problem der "hausgemachten" Salami. Csányis Gruppe wird die Ausfälle kompensieren können, immerhin ist er im Lebensmittelbereich breit - von Joghurts bis zum Wein - aufgestellt, kleinere Zulieferer und Produzenten mit Nischenprodukten dürften mehr leiden, vor allem aber jene u.a. mit Steuergeldern
von den Kommunen und unter großem PR-Rettungs-Pomp der Regierung aufgefangenen Wurstverarbeiter, die schon vor den Sanktionen am freien Markt nicht mehr bestehen konnten. Die lauten Rufe nach der Aufstockung von EU-Hilfen ist also auch diesen Blickwinkeln zu betrachten. Der Wirtschaftsminister in Ungarn ist nämlich gleichzeitig Finanzminister und sein Budget - auch Dank des Orbánschen Nationenvaterkomplexes (mehr in: Fliegende Würste) - immer kurz vor der Implusion.

Ungarischen Produzenten ist außerdem die Sprunghaftigkeit russischer Einfuhrbehörden, ob aus politischen Motiven oder wegen der Einflussnahmen lokaler Player, nichts Neues und man tat schon in der Vergangenheit gut daran, sich an die Abnahmemengen aus Russland nicht allzu sehr zu gewöhnen. Bereits Mitte Mai diesen Jahres verhängte die russische Lebensmittelkontrolle aus "gesundheitlichen Gründen", offiziell ging es um Sorgen wegen der Schweinegrippe in Afrika, ein Einfuhrverbot für Fleisch- und Wurstwaren gegen ein Dutzend ungarische Unternehmen, darunter die nahmhaftesten Hersteller wie Hungerit Geflügelverarbeitung, die Hungary Meat, Pápai Hús (eine dieser staatlich geretteten Unternehmen) und auch Pick Szalámi. Der Einfuhrstopp, der ungarisches Fleisch praktisch gänzlich vom Markt fegte, galt auch für Weißrussland und Kasachstan, die Bruderstaaten der "Eurasischen Union". Man war also vorgewarnt, Experten gingen davon aus, dass Ungarn jederzeit damit rechnen musste, vom "russischen Fleischmarkt" gedrängt zu werden und die Aktion im Mai sozusagen eine Art Vor-Sanktion darstellte. (Andere Beobachter sprechen davon, dass Ungarn durch eine Modifikation im Steuerrecht Anfang des Jahres einen Preiskrieg losgetreten hatte, gegen den sich russische Konkurrenten nun auf diese Weise wehrten.)

Zwar dürften nun noch einige auf Tiefkühlfertigprodukte getrimmte Produzenten als Leidtragende hinzukommen, doch der Verlust dieser Hersteller ist rein numerischer Natur und eigentlich kein Verlust für ein zukunftsweisendes Portfolio der ungarischen Lebensmittelindustrie. In den anderen Segmenten halten sich die Ausfälle dafür in sehr engen Grenzen: Für nur rund 4 Mio. EUR wurden 2013 Früchte und Nüsse nach Russland geliefert, Probleme, wie sie die polnischen Apfelbauern haben, wird man in Ungarn also nicht bekommen.

Andere Segmente sind nahezu gänzlich zu vernachlässigen, Rindfleisch z.B. erreichte gerade ein Volumen von 300.000 EUR, Milch und Joghurts nicht einmal 250.000 EUR, nicht viel mehr als ein paar LkW also. Die bedeutenderen Sektoren Getreide, Futtermittel, Energiepflanzen, Speiseöle, Wein und Schnäpse ist noch nicht von den Sanktionen betroffen, - Putin wird wissen warum und hat hier noch einigen Spielraum, um sich das eine oder andere EU-Mitglied notfalls einzeln vorzuknöpfen. Auch darum wird es wohl in den anberaumten Gesprächen der bilateralen Wirtschaftskommission gehen. Ungarische Branchenvertreter - ideologisch viel flexibler als die Regierung - fordern eine Besinnung Richtung EU und EU-Kandidaten wie Serbien oder Bosnien, anstatt des krampfhaften Festhaltens an der "Ostöffnung" mit Partnern, auf die auf perspektivisch kaum Verlass sein wird, nur um die EU politisch herauszufordern.

 

Dass sich Wirtschaftsminister Varga regierungsseitig nach EU-Hilfen, neuen Abnehmern oder "wenn nötig, nach Vermittlern" umschaut, um die Sanktionen auszugleichen oder - so Varga wörtlich - "zu umgehen", stellt eine politisch übermäßige Dramatisierung der Lage dar, die wohl eher eine Rechtfertigung für Orbáns Fundamentalkritik an der vom Westen losgetretenen Sanktionsspirale darstellt als tatsächlich die ökonomischen Lasten der ungarischen Erzeuger zu spiegeln. Mag sein, dass sich die EU, wie Orbán sagte, sich “in die eigenen Füße schießt”, in Ungarn betreffen das aber nur ein paar gut gepolsterte Zehen.

Dass die ungarische Regierung gar nicht anders kann, als auch auf diesem Gebiet für sich eine Sonderrolle und Sonderwege in Anspruch zu nehmen, überrascht wenig, aber bringt dem Land auch wenig.

cs.sz. / red.

Der Pester Lloyd bittet Sie um Unterstützung.

 

 

 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.