Kleinanzeigen für
Ungarn und Osteuropa
ab 35.- EUR / 30 Tage

 

Hauptmenü

 

 

 

(c) Pester Lloyd / 37 - 2012   WIRTSCHAFT 14.09.2012

 

Fliegende Würste

Unternehmen in Ungarn kämpfen mit Pleitewelle - Staat kämpft mit

"Nationales Interesse", "strategische Überlegungen", "Versorgungssicherheit". Die Überschriften für die nationalökonomische Hybris der Orbán-Regierung sind immer die gleichen. Die "Rettungsaktionen" für insolvente ungarische Betriebe werden getrieben vom Machthunger der Entscheider in Budapest, die sich bei ihren Aktionen aber immer mehr verzetteln. Sie kosten das Land schon heute viel Geld und verbessern kaum die Perspektiven der Unternehmen.

Ein Malév-Flugzeug als Pick-Salami “getarnt”. Beide rettete das nicht vor der Bruchlandung. Während Pick bei einem Bankoligarchen landete, dräut der neuen Malév ein “Weltabenteuer”.

Nachdem wir im gestrigen Leitartikel Probleme der Haushalts- und Wirtschaftspolitik und ihren Zusammenhang mit den IWF-Verhandlungen behandelten, widmen wir uns heute einigen sehr konkreten Beispielen in der Realwirtschaft. Pleiten sind freilich Alltag in der Marktwirtschaft, zumal in Krisenzeiten, Probleme bei ungarischen Fleischbearbeitern sind schon gar nicht nichts neues. In diesem Jahr meldete bereits die traditionsreiche Gyulai Húsipari Insolvenz an, ihre Zukunft ist noch immer nicht gesichert, auch wenn der Staat eine ungefähre Unterstützung zugesichert hat, ca. 4 Mio. EUR wären hier als Ersthilfe nötig.

 

Vor Jahren schon konnten sich die weit über die Landesgrenzen hinaus bekannten Salamimarken Herz und Pick nur duch einen Notverkauf an die Bonafarm-Holding des Lebensmittelmagnaten und OTP-Bankchefs Csányi retten, der exzellente Beziehungen zum aktuellen Regierungschef hat und zu den vorherigen immerhin gute hatte. 2011 schloss sich u.a. der Hersteller von Müsli und anderen Getreideprodukten Cerbona der Pleitewelle an und wurde zerschlagen. Andere, weniger namhafte Unternehmen gingen in die Pleite, wurden unter lokalen Mafiosi aufgeteilt oder gingen an ausländische Investoren, gerade letzteres soll zukünftig verhindert werden.

Seit Januar diesen Jahres stützt die ungarische Regierung Lebensmittelproduzenten notfalls auch mit direkten Geldhilfen, mit der Begründung, so die "Versorgungssicherheit" zu gewährleisten. Dabei beschränkt man sich aber auf als "von nationaler Wichtigkeit" eingestufte Unternehmen, der seit wenigen Tagen in Insolvenz befindliche Safthersteller der Marke Hey-Ho gehört offenbar nicht dazu.

Die Angestellten werden einfach nach Hause geschickt

Anders ist die Lage bei den Betrieben der Kapuvári Hús und Kapuvári Sonka, die für den Staat "von großem strategischem Interesse" seien. Die Alarmmeldung, dass die Produktion des Fleischproduzenten nach und nach zum Stillstand gekommen ist und massive Umsatz- wie Gewinneinbrüche zur Entlassung von bis zu 400 der 800 Arbeiter führen könnte, ruft nun den Staat auf den Plan. Die Jahreshauptversammlung des Unternehmens wurde mehrmals verlegt und soll nun bis zum 27. September hinausgezögert werden, in der Hoffnung bis dahin einen "weißen Ritter" gefunden zu haben. Am letzten Freitag gab es eine Gewerkschaftsdemo vor den Werkstoren, um auf das Missmanagement aufmerksam zu machen. Die Angestellten würden nach und nach einfach nach Hause geschickt und hätten keine Ahnung wie es mit ihnen weitergeht. Kaum machte der Staat die Deklaration, die Kapuvári Würstchenbude ist von “strategischem Interesse”, zogen die Genossen, pardon, Manager die Produktion wieder hoch. Also. Es geht doch?

Wenn sich der Staat einmischt, gehen die Probleme oft erst richtig los

Staatliche Geldspritzen an notleidende Unternehmen sind aus mehreren Gründen problematisch. Zum einen verstoßen sie als unzulässige und wettbewerbsverzerrende Subventionen oder Kredite außerhalb der marktüblichen Verzinsung grundsätzlich gegen das EU-Wettbewerbsrecht, zum anderen werden die strukturellen Schwächen des Unternehmens im Management, der Produktion und / oder dem Marketing nicht abgestellt, das Leiden oft nur verlängert. Auch eine staatliche Beteiligung verkompliziert meist nur die Abläufe im Unternehmen selbst. Kritiker der paternalistischen Hilfsaktionen vermuten außerdem noch, dass sich die Regierung durch ihr Engagement vor allem Einfluss auf die Auswahl eines nachfolgenden Eigentümers sichern will und dabei parteinahe Klientel bedienen könnte, die bei der jetzigen Regierungspartei gerade im Lebensmittel- und Landwirtschaftsbereich besonders zahlreich ist.

Ungarn vor einer neuen Planwirtschaft?

Die staatlichen Interventionen betreffen jedoch längst nicht nur den Lebensmittelmarkt. Von Banken bis zum Porzellanhersteller erstreckt sich das Engagement der Staatsmanager, ja man kann fast von Anzeichen einer allgemeinen neuen Planwirtschaft sprechen. Vor allem im Energiebereich agiert der Staat wie ein nimmersattes Raubtier und frisst alles, was ihm vors Maul kommt. Nach dem Kauf von knapp einem Viertel der MOL-Anteile, der Ankündigung, die Energieversorgung für Privathaushalte unter Non-Profit-Regeln laufen zu lassen , was einer Verstaatlichung bzw. Kommunalisierung gleichkäme, dem vom Premier sehr vorlaut vorgetragenem Kaufinteresse an den E.ON-Gastöchtern, stellt nun das Bakonyi Erömü, ein Heiz- und Dampfkraftwerk des Oligarchen und reichsten Ungarn Sándor Demján das aktuellste Projekt dar.

Fehlentscheidungen, Machtspielchen und Überlebensfragen

Wie berichtet, hat das Kraftwerk massive Schulden aufgehäuft, weil der größte Kunde, die MAL, die für die Rotschlammkatastrophe vom Herbst 2010 verantwortlich ist, dem Kraftwerk über 1,5 Mrd. Forint schuldet. Diese offenen Forderungen nimmt der Staat Demján, der ebenfalls häufig einen kávé mit Orbán nippt, nun durch eine Übernahme "im nationalen Interesse" ab und will das Kraftwerk durch die MVM (u.a. auch Betreiber von AKW Paks) kaufen.

Damit gewinnt man selbstverständlich auch ein weiteres Druckmittel gegen die MAL, die roten Privatisierungsbaronen der "linken Reichshälfte" zuzuordnen ist, die bis zu einem Insolvenzantrag gehen könnten. Allerdings hängen sowohl bei Bakonyi wie bei MAL tausende Arbeitsplätze, ja die Existenz ganzer Regionen mit dran, weshalb es zwar um Machtfragen, aber auch um Überlebensfragen geht. MAL steht mit der verhängten Strafe für "Umweltschäden" in Höhe von run 130 Mio. EUR ohnehin mit dem Rücken zur Wand, abgesehen von den vielen noch anhängigen zivilrechtlichen Fragen.

Gefangen im Dschungel aus Verpflichtungen und artfremder Tätigkeit

Der Stahlkocher Dunaferr entlässt 800 Mitarbeiter und schließt ein seit 1947 laufendes Walzwerk, Flextronic und Nokia bauen - weltkonjunktur- und arbeitskostenbedingt - hunderte Arbeitsplätze ab, fast täglich gibt es neue Entlassungsankündigungen, von den massenhaften Pleiten bei KMU ganz abgesehen. Wem wird man helfen, wem nicht?

Auf der einen Seite die klamme Staatskasse, auf der anderen Seite das Versprechen möglichst allem und jedem helfen zu wollen, führt den Staat in einen immer tieferen Dschungel von Verpflichtungen, Kosten und kaum absehbaren Belastungen, ganz abgesehen von dem immensen Verwaltungs- und Managementaufwand für die Bürokraten, die sich immer häufiger als Manager produzieren sollen, es aber naturgemäß selten können.

Der Nutzen für die "Nation" ist längst nicht ausgemacht. Denn den Beweis, dass der Staat seinen Kunden das Gas, den Dampf, die Wurst billiger und besser verkauft als die Privatwirtschaft, wurde bisher noch nirgends angetreten. Im Gegenteil, die Preise an MOL-Tankstellen feierten seit der Staatsbeteiligung fünf Allzeitrekorde, der Gewinn brach dennoch ein, zwar wegen den Baustellen Syrien, Irak und Kroatien, doch schon wird erkennbar, dass der Staat mit einem Geschäft auch das Geschäftsrisiko kauft.

Die Staatshilfen werden verbraucht, das Werk geht pleite, das Geld ist weg

 

Die Malév-Pleite hätte der Regierung eigentlich eine Lehre sein müssen. Der Staat (die sozial-liberale Vorgängerregierung) musste nach einer gescheiterten Privatisierung das Unternehmen zurückkaufen, butterte Milliarden in dieses fliegende Faß ohne Boden bis die EU "Njet" rief und den letzten Anstoß dafür gab, die Fluglinie ihrem natürlichen Schicksal zuzuführen. Genauo so könnten obige Engagements auch enden, ob bei der Gasversorgung oder den Würsten aus Gyula. Doch statt sich die Finger nicht weiter zu verbrennen, lebt Orbán den Traum vom Alleskönner weiter, auch bei der Malév, sozusagen, seiner fliegenden Wurst. Die letztwöchige geradezu phantastische Präsentation der "Hungarian World Airline" fußt auch auf großzügigen Unterstützungszusagen aus Regierungskreisen, wie wir aus dem Ministerium für Nationale Entwicklung erfahren konnten. Auch der aktuelle Dunaferr-Fall ist gleich gestrickt und lehrreich, die Staatshilfen von über 40 Mio. EUR aus dem Jahre 2009 sind aufgebraucht, das Werk pleite, das Geld für immer weg. Warum sollte das bei Würsten aus Kapuvár plötzlich anders sein?

Teuer erkauftes "Wir haben eh alles im Griff"-Image

Die Alternative zu diesem ausufernden Engagement wäre, dem Markt seinen freien Lauf zu lassen, was automatisch zu einer Pleitewelle führen müsste, die den tatsächlichen Zustand des ungarischen Marktes spiegelt. Das, und den möglichen weiteren Abverkauf "nationaler Unternehmen" (obwohl es natürlich private sind) durch ausländische Investoren, will bei Fidesz niemand, es widerspräche dem Parteiprogramm und dem "Wir haben eh alles im Griff"-Image, das man nur noch mühsam, dafür mit umso mehr Aufwand sich und den Untertanen vorgaukelt, übrigens eine lange gepflegte Tradition in diesem Land.

Den Abzweig auf den Mittelweg, nämlich die Schaffung einer günstigen Atmosphäre für Produzenten und Käufer, durch Investitionsanreize, verlässliche Steuerpolitik und sozial ausgewogenes Handeln im Interesse der Mehrheit des Volkes (nicht der Wählerklientel) hat man bereits vor zwei Jahren genauso verpasst, wie vor vier, acht und zehn Jahren. Seit der Wende befindet sich das Land auf einem nationalökonomischen "Higway to hell" und nimmt dabei immer noch an Fahrt auf, wie an diesen aktuellen Entwicklungen verfolgt werden kann.

cs.sz. / red. / mb.

___________________________________

Zwischenbericht in eigener Sache:
Spendenziel zu 75% erreicht - DANKE!!!
>>>
___________________________________