THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 33 - 2014 POLITIK / WIRTSCHAFT 15.08.2014

 

In die eigenen Füße geschossen: Orbán kritisiert EU-Sanktionen gegen Russland

Der ungarische Premier hat Recht. Sanktionen sind kein geeignetes Mittel, um den Ukraine-Konflikt zu "lösen" oder wenigstens zu entschärfen, richtiger gesagt: den kriegerischen Machtpoker zwischen den USA, der EU und Russland auf dem Rücken der Menschen in der Ukraine. Doch Orbáns Warnungen sind weder von politischer Vernunft getrieben oder gar von der Sorge um das Wohl Europas, sondern nur sein Teil eines "Teufelspaktes" mit Gazprom, Rosatom und Putin. Bevor die "Regimeskeptiker" Orbán als Einem zujubeln, der "endlich mal die Wahrheit sagt", sollte man ein paar Dinge wissen...

Reuters meldete es, der Spiegel meldete es. Die russischen Staatsmedien bringen es als Headline-Meldung. Orbán hat gesprochen. Die EU habe sich mit den Sanktionen gegen Russland "...selbst in den Fuß geschossen", erklärte Premier Orbán am Freitag in seiner regelmäßigen Sendung "180 Minuten" (Volksmund: Freitagsgebet) im staatlichen Rundfunk "Kossuth Rádió".

Denn die Strafmaßnahmen auf "das, was die Russen tun", mögen zwar als "notwendige politische Konsequenzen" in Europa betrachtet werden, "schaden uns selbst aber mehr als Russland". Daher müsse die EU jetzt "nicht nur die betroffenen Produzenten - seien sie Polen, Slowaken, Ungarn oder Griechen, kompensieren, sondern die gesamte Sanktionspolitik überdenken." Eine Haltung, die er mit seinem slowakischen Amtskollegen Fico und anderen Stimmen in Europa teile. Andere sollten sich "mir anschließen". So weit, so schlüssig.

Orbáns Klientel drängt auf “Sonderwege” mit Russland

 

Die ungarische Industrie- und Handelskammer, Vertreter vor allem “gut vernetzter” Geschäftsleute, rechnet mit Ausfällen von jährlich rund 300 Mio. EUR für die vom russischen Importbann betroffenen Agrarprdouzenten. Das würde das Ende von Dutzenden, ja Hunderten Klein- und Mittelbetrieben bedeuten, wenn die nicht schnell Hilfen oder neue Abnehmer bekommen. Daher fordert die Kammer nicht nur einen Ausgleich durch EU-Fonds, sondern auch direkte Verhandlungen mit Russland über die (gesetzlich verankerte) bilaterale Regierungskommission, um "Sonderlösungen" für Ungarn zu finden (gemeint hier z.B. Sanktionsumgehung über Drittländer). Dass er sich mit seinen Äußerungen für solche Verhandlungen gutes Wetter bereiten will, liegt auf der Hand.

Das Landwirtschaftsministerium allerdings spielte die Größenordnung der zu erwartenden Sanktionsschäden in der Agrarindustrie deutlich herunter und sprach davon, dass es sich lediglich um 1% der Agrarexporte des Landes handele und nur rund 30% der landwirtschaftlichen Produkte, die nach Russland geliefert werden, auch auf der Sanktionsliste stünden. UPDATE: Mittlerweile präzisierte das Ministerium seine Schätzungen auf 70 Mio. Forint Ausfallschäden pro Tag, ca. 223.000 EUR, was sich zu einem Jahresbetrag von knapp 82 Mio. EUR summiert.

“Puszta-Putin” hat das Land auf 30 Jahre an Moskau verpfändet und jagt NGO´s schon wie der große Bruder...

Orbán hat jeden Grund, sich mit Russland gut zu stellen. Sein Land hat er erst kürzlich mit einem 10 Mrd. EUR-Kredit (ca. 12% des BIP) bei Russland verschuldet, um das AKW in Paks ausbauen zu können, mit dem er zum "regionalen Energie-Player" aufsteigen will. Laufzeit: 30 Jahre. Kosten des Atomdeals: 2 Prozentpunkte über marktüblichen Krediten mit einer "Take it all"-Klausel bei Zahlungsrückständen für den Gläubiger.

Kritiker wie Fachleute werfen ihm vor, sich damit auch in eine schwere politische Abhängigkeit begeben zu haben und zudem den Putin-Stil mehr als geboten zu kopieren. Zuletzt konnte man das an seinen Äußerungen über die "Erfolgsmodelle" Russland, China etc. (effizient, kein demokratisches Herumgelaber) erkennen und er stellt sich das "neue Ungarn" nicht mehr als eine "liberale Demokratie" vor. Gegen NGO´s geht er als "Agenten fremder Interessen" vor, mittlerweile auch polizeilich. Das sollten die in den Foren jetzt jubilierenden Regimeskeptiker wissen, bevor sie Orbán als Einem zujubeln, der "endlich mal die Wahrheit sagt". Über die Kreditbedingungen mit Moskau hatte er sein Volk übrigens bis zuletzt belogen - und nicht nur dazu. Kurz: Orbán erfüllt die ihm verliehene Titulierung des “Puszta-Putin” immer mehr mit Leben.

Energieabhängigkeit Ungarns größer als im Rest der EU

Doch auch der praktischen Probleme sind noch mehr und können noch mehr werden: die Energieabhängigkeit (Atomstrom, Erdgas, Öl, sogar Holz zum Heizen) Ungarns von Russland übersteigt bereits wieder die 80%-Marke. Wegen ideologisch und günstlingswirtschaftlich motivierten Verstaatlichungen und windigen Handelsgeschäften (übrigens auch mit der Ukraine, was man in Moskau sehr wohl registriert hat) mit staatlich kontrollierten Erdgasvorräten sind die strategischen Lager des Landes derzeit nur rund zur Hälfte gefüllt.

 

Im Unterschied z.B. zu Deutschland, hängt Ungarns Erdgasbelieferung aber zu mehr als zwei Dritteln von der Durchlieferung russischen Gases durch die Ukraine ab. International erfahrene Akteure, wie z.B. E.ON-Gas, die über alternative Einkaufswege und -routen verfügen, hat man mit der Brechstange vom Markt genommen. Der Winter kann also kalt werden - zumal sich die europäische Solidarität nach den ständigen Diffamierungen ("Brüssel, das neue Moskau", deren “verntwortungslose Bürokraten” ständig "ungarische Familien angreifen" etc.) in Grenzen halten dürfte.

Im Zuge der strategischen "Ostöffnung" zur Verminderung der "Abhängigkeit von der EU" (Ungarn ist Mitglied), gab Orbán die Zielvorgabe aus, den Handelsanteil mit der EU von 2/3 auf die Hälfte zu Gunsten "alternativer Handelspartner" zu senken. Ein Super-Plan, so mitten in einem globalen Konflikt mit den "Alternativen" und in einem Land, dessen Wirtschaft und auch deren sporadisches Wachstum fast zur Gänze von EU-Geldern und westlichen Investoren getragen wird.

Seine “Strategie” könnte Orbán nun - um in seiner beschränkten Metaphernwelt zu bleiben - auf die Füße fallen, was für einen ökonomisch praktisch Einbeinigen zum echten Handicap ausarten kann und dafür sorgen könnte, dass er selbst irgendwann zur "Fußnote" wird. Vielleicht ist das aber seine größte Angst und der eigentlich Motor für den verbalen Vorstoß für den neuen (alten) “großen Bruder”.

cs.sz. / red.

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