THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 36 - 2014   NACHRICHTEN   05.09.2014

 

Ungarn kündigt "2. Große Staatsreform an", 34,5 EU-Milliarden für Autobahnen und gezielte "Wirtschaftsförderung"

Kanzleramtsminister János Lázár, die Nr. 2 im Staate, sieht die Zuteilung von bis zu 34,5 Milliarden Euro seitens der EU für die Budgetperiode 2014-2020 für Ungarn als einen Triumph über "Kräfte, die ständig versuchen, die EU zu benutzen, um Ungarn zu schaden". Triumphieren werden nun Kräfte, die Ungarn und die EU benutzen, um sich auf Kosten von Volk und Demokratie zu bereichern.

Der mit umfangreichen Machtbefugnissen, u.a. der alleinigen Kontrolle über die EU-Gelder ausgestattete János Lázár gab sich erfreut und überrascht, dass der für die Budgetperiode 2014-2020 bereitgestellte Betrag rund 10 Milliarden Euro über dem liegt, was ursprünglich avisiert war. Allerdings handelt es sich dabei um den beizusteuernden Eigenanteil der Projektträger bzw. des Staates.

Ironischerweise machen diese 10 Mrd. EUR "mehr" genau die Summe aus, die sich Ungarn von Russland für den Ausbau des AKW Paks leihen wird und gar nicht hat. Doch auch ohne diese Belastung, ist Ungarn auf die EU-Zahlungen existentiell angewiesen, ohne die es praktisch keine öffentliche Investitionstätigkeit in dem mit 85,1% des BIP verschuldeten Land mehr geben würde. Die EU-Mittel entsprechen jährlich rund 6% der Wirtschaftsleistung.

 

Die Mittel aus der Vereinbarung, die am 11. September von Barroso und Orbán unterzeichnet werden wird, sollen vor allem für "Klein- und Mittelbetriebe eingesetzt werden", wobei die "Nahrungsmittelindustrie" hier besonders "zu den Gewinnern" zählen soll. Der Anteil der Mittel, die "direkt in die Wirtschaftsförderung" fließen, solle von angeblich 16% bisher auf 60% gesteigert werden. Wer mit der Vergabepraxis in Orbáns Ungarn halbwegs vertraut ist, dürfte verstehen, was unter "Wirtschaftsförderun" gemeint ist. Hier ein paar Fallbeispiele.

Die ersten Ausschreibungen für die neue Budgetperiode könnten noch im Herbst starten. Zwar gibt es noch einige Abrechnungslücken in der alten Budgetperiode, u.a. für rund 300 Mio. EUR aus dem Straßenbau und offene Fragen zur Vergabe von Geldern an Firmen mit Off-Shore-Hintergrund, doch grundsätzlich hat sich die EU mit der Aneignung der Vergabekontrolle durch das Amt des Premiers abgefunden. Mehr dazu.

Die Betonung auf Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie ist ein Hinweis auf eine gezielte Steuerung der Mittel auf die neuen Fidesz-Gutsherren, die ihren neuen Landbesitz meist unterverpachten, die EU-Fördergelder aber einbehalten. Lázárs “Familie” selbst ist in diesem Business sehr aktiv. Auch einschlägige, politisch wichtige Oligarchen werden zu den Profiteuren gehören: Denn nicht zufällig schloss die Regierung gerade eine “strategische Kooperationsvereinbarung” mit Bonafarm, jener Holding von OTP-Bankchef Csányi mit 6.000 Mitarbeitern in rund 50 Betrieben, die als beispielgebend für die Verquickungen zwischen Staat und Privatwirtschaft gesehen werden kann.

Gleichzeitig sollen mit den rund 5 Mrd. EUR pro Jahr auch umfangreiche Autobahnbauprojekte in Ungarn angeschoben werden, "bis 2018 soll jede ungarische Autobahn eine Staatsgrenze erreichen." so der Minister. Das betrifft vor allem den Ausbau der M3 im Osten des Landes bis zur Ukraine, die M4 soll südlich von Debrecen bis nach Rumänien geführt werden und die nördliche Route wird von Miskolc bis Kosice in der Slowakei ausgebaut werden, auch die M2 wird bis in die Slowakei geführt.

Dass Lázár gleichzeitig eine umfassende "zweite, große Staatsreform" ankündigte, ist kein Zufall, dient diese doch der ntowendigen strukturellen und personellen Absicherung der hierzulande verübten Version von "Wirtschaftsförderung".

 

Lázár lockt mit einer Verkürzung von Behördenfristen und einer Senkung der Kosten für staatliche Dienstleistungen, z.B. beim Ausstellen neuer Passdokumente. Schwerwiegender jedoch sind die Ankündigungen eines lebensbegleitenden "Karrieremodells" für alle öffentlich Bediensteten nach dem Vorbild der Lehrer sowie einer Verdopplung der sogenannten "Regierungsfenster" auf landesweit über 220. Diese mit treuen Fidesz-Parteisoldaten besetzten Regierungsbüros in der Provinz sollen offiziell Ansprechstellen für die Bürger sein, dienen aber in der Praxis der weiteren Zentralisierung der Macht zu Lasten der Selbstbestimmungsrechte der Kommunen. Von hier werden nicht nur Direktiven an Bürgermeister hinsichtlich der Planerfüllung bei den Beschäftigungsprogrammen oder Vorgaben für die staatlich verwalteten Schulen weitergeleitet, sondern auch die "förderungswürdigen" Unternehmen kontrolliert und ausgestattet.

Kurz gesagt: die 1. Staatsreform umfasste die legislative und konstitutionelle Umgestaltung der Republik zu einem Ein-Parteien-Staat, die 2. behandelt nun die exekutiven und personellen Feinheiten der Ausführung beim Einfahren der Ernte. Ein Eu-finanzierter Raubbau am Volk und den demkratischen Grundpfeilern des Landes.

red.

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