THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 37 - 2014   BOULEVARD   11.09.2014

 

Alles nur Zirkus oder Der kleine BER in BUD: Heftige Zusammenstöße zwischen Politik und Medien in Ungarn

Ein Schlaglicht auf die wachsende Hybris unserer Politvorderen werfen zwei aktuelle Zusammenstöße zwischen hohen Amtsträgern und Medien. Ein Regierungskommissar und Ex-Minister drohte einem eigentlich sehr regierungsfreundlichen TV-Sender für eine harmlos scheinende Frage mit der Abschaltung und Parlamentspräsident Kövér versuchte, das polnische Staatsfernsehen zu zensieren. Dabei verwickelte er sich schlimm im Netz der Ukraine-Krise.

Parlamentspräsident László Kövér, die Nr. 3 im Staate und daher natürlich Fidesz-Mann, nahm am 3. September an einer Diskussionsrunde mit Jugendlichen aus mehreren osteuropäischen Ländern, darunter Polen, Ukraine und Ungarn im Parlament in Budapest teil. Das Treffen fand im Rahmen der europäischen Veranstaltungsinitiative "Freiheitsexpress" zum 25. Jahrestag der Wende in Osteuropa statt. Nach ein paar Wortbeiträgen kam es zu einer Fragerunde, die sich nicht so entwickelte, wie sich Kövér das offenbar vorstellte.

Denn sehr bald kam das Gespräch auf die Ukraine-Krise, wozu ihm einige Jugendliche doch recht forsche Fragen stellten. "Die westlichen Medien lügen, wie früher die Prawda...", schwadronierte Kövér drauf los, "der ganze Prozess dort ist hochgeschaukelt", die "ganze Ukraine-Krise ein einziger Zirkus". Eine junge Frau insistierte und merkte mit bebender Stimme an, dass "dieser Zirkus meine Heimat ist, in der täglich Menschen sterben." Kövér wollte daraufhin ablenken und beschwerte sich darüber, dass er nicht "solche Fragen" und schon gar nicht "einen solchen Ton erwartet" habe. Einige Teilnehmer verließen dann den Saal, die Runde wurde alsbald beendet.

Ein mitschreibender Reporter der polnischen - natürlich linksliberalen - Zeitung Gazeta Wyborcza berichtete danach, dass daraufhin Mitarbeiter des Stabes des Parlamentspräsidenten sowohl ihn wie auch das anwesende Team des polnischen öffentlich-rechtlichen Rundunks TVP "bedrängt" hätten, die Sache nicht auszustrahlen bzw. zu zitieren und boten stattdessen ein Exklusiv-Interview mit Kövér an. Beide Medien gingen nicht auf die Sache ein, was zu heftigen Wortwechseln geführt haben soll, u.a. zur Unterstellung, die Polen wollten die Aussagen von Kövér manipulieren.

In einer Parlamentsaussendung - Tage später, und erst, als der Skandal über Warschau nach Budapest zurückschwappte - behauptete die Kövér-Mannschaft freilich, dass man "nichts unternommen hätte, um die Arbeit des TVP-Teams zu behindern". Das wäre auch dumm gelaufen, erst auf die westliche Lügenpresse zu schimpfen, um dann die geladenen Medienvertretern sozusagen zu Pravda-Mitarbeitern zwangszurekrutieren oder - um es noch brutaler auszudrücken: ihnen die ungarische Version von Pressefreiheit beizubringen.

Der "Zirkus-Sager" selbst blieb im Verbalgerangel im Hintergrund, denn dass Kövér, übrigens selbst
routinierter "Zirksudirektor" zur Fraktion der Putin-Fanboys gehört, überrascht - zumindest in Ungarn - niemanden. So wie für Putin überall Russland zu sein scheint, wo Russen leben, ist für Kövér tatsächlich "überall Ungarn, wo Ungarn leben", wie er schon einmal in der Slowakei verkündete, der er zuvor bereits mit der Entsendung von Truppen gedroht hatte.

Gegen László Kövér, der
das Parlament und dessen Debatten reichlich überflüssig findet und davon überzeugt ist, dass es mit Dekreten anstelle Gesetzen auch gehen müsste, ist Viktor Orbán praktisch noch ein Linksradikaler.  Kövér reiste nach Rumänien um dort - ganz offiziell - einen Blut-und-Boden-Schriftsteller und früheren Pfeilkreuzler-Politiker (ungarische Faschisten) des besetzten Siebenbürgens als "Vorbild" zu ehren. Kövér war auch der erste ungarische Politiker, der vom israelischen Parlament zur persona non grata deklariert wurde. Nun kann man über das "Hochschaukeln" des Ukraine-Konfliktes und Fehler auf allen Seiten sicher debattieren, besieht man sich jedoch die Putin-Fanschar (in West wie Ost) genauer, kann einem nur Angst und Bange werden - auch um Russland!

 

Der kleine BER in BUD

In unserem zweiten Fall geht es um einen anderen Laci, nämlich László L. Simon (Foto), der sehr kurzzeitig Kulturminister unter Superminister Balog war und nun als Staatssekretär im Amt des Ministerpräsident dient, um allerlei Sonderprojekte mit überschaubarem intellektuellen Anspruch, aber umso größeren fiananziellen Rahmen zu meistern.

Eines davon ist die Wiederherstellung des
Burgbasars, jenes lange vernachlässigten Entrée-Bereiches zum Budaer Burgberg, auf dem - sobald das Ensemble zu Orbáns Amtssitz ausgebaut ist - prächtige Staatsempfänge und andere Huldigungen abgehalten werden. Zwar wurde das mit Euro-Millionen finanzierte Prachtstück kurz vor der Wahl mit großem Pomp eröffnet, aber es war an vielen Ecken noch nicht fertig, Bauunternehmen klagten, warteten lange auf ihr Geld, andere lieferten Pfusch, am Ende wurde alles teurer -  und ist immer noch fertig. Das übliche also, ein kleiner BER in BUD sozusagen.

Vergangene Woche war L. Simon beim als äußerst regierungsfreundlich, ja geradezu arschkriecherisch devoten Orbán-Haussender Hír TV zu Gast, um sich mit der offenbar unverschämten Frage konfrontieren zu lassen, "Wann denn mit der Fertiggstellung eines Teils dieses historischen Komplexes" zu rechnen sei. Vielleicht hat Simon in dem Moment an andere "historische Komplexe" gedacht, denn er antwortete, "das kann weitere 200 bis 300 Jahre dauern" und womöglich "wird Hír TV die Fertigstellung gar nicht mehr erleben", um noch nachzuschieben, dass "das Leben für den Sender hart werden könnte", "wenn Sie fortfahren solche Fragen zu stellen."

 

Simons Fehlzündungen sind kein Einzelfall. Im Sommer ließ er einen Reporter des Staatsfernsehens einfach stehen, weil der nach einem Gesetz fragte, dass Simon zwar selbst ins Parlament eingebracht haben wollte, von dem er aber überhaupt kein Detail zusammenbrachte. In seinem Wahlkreis, Kishantos, platzierte er nicht nur seinen Weinberg, sondern vertrieb gleich noch einen altansässigen Biohof zu Gunsten handverlesener Günstlinge. Auch für seine Dichtkunst ist er berühmt, sozusagen der Philosoph auf dem Burgbasar.

Womöglich hängt also seine mediale Ungeduld einfach mit mentaler Überlastung zusammen, denn der Staatssekretär engagiert sich auch karitatitv bis zur Erschöpfung. So wurde nur zufällig bekannt, dass er seit Jahren Häftlingen auf seinen Weinbergen die Chance gibt wieder arbeitsame Mitglieder der Gesellschaft zu werden - solange sie nicht an den Trauben knabbern und dumme Fragen stellen, versteht sich...

al / red.

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