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(c) Pester Lloyd / 39 - 2012   POLITIK 24.09.2012

 

Katz´ und Maus - wer ist wer?

Gefährliche Planspiele: Ungarn riskiert Scheitern der IWF-Verhandlungen

Das Ringen der ungarischen Regierung mit dem IWF und mit sich selbst geht munter weiter. Während ökonomisch Beschlagene eine pragmatische Linie verfolgen und dabei vor allem die Stabilität des Forint sowie die Zinsaufschläge auf Staatsanleihen im Blick haben, mehren sich Stimmen im Regierungslager, die meinen, man könne auf die Hilfe des IWF ganz verzichten und das als großen politischen Sieg verkaufen. Eine mögliche ökonomische Instabilität wird ausgeblendet oder verleugnet, wie ein internes Papier verrät.

“Wir schaffen das selbst” - Wie Orbán die Wirtschaftskrise bekämpfen will. Gefunden auf: http://www.napiszar.com/

Von Orbán hört man nichts Fachliches

Die offiziellen Statements der Orbán-Regierung geben bei der Einschätzung des Standings Ungarn - IWF nur bedingt eine Hilfestellung, bestehen sie doch aus lauter Propaganda: Laut dem Premier kann "Ungarn seine Probleme selbst lösen", Schuld sind immer die anderen, was er im Prinzip schon seit mehr als zwei Jahren behauptet. Auf einem Treffen christdemokratischer Parteien in Rom Ende letzter Woche meinte er, dass Ungarn "seine Staatschulden reduziert und dabei gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit ankurbelt und neue Arbeitsplätze schafft." Vor allem letzte Behauptung ist eine glatte Lüge, wie aktuelle und offizielle Zahlen belegen.

Unter seiner, Orbáns Regierung "manage man die ökonomische Krise und die daraus folgenden sozialen Herausforderungen" geradezu vorbildhaft. Basis dafür sei die "moderne, auf christlichen Werten basierende Verfassung, eine Verfassung für das 21. Jahrundert." und im übrigen nehmen sich andere europäische Länder, ob sie es zugeben oder nicht, längst ein Beispiel am "ungarischen Weg." Applaus von den Schwesterparteien.

Chefverhandler zwischen den Stühlen

Etwas näher am Fach ist sein wichtigster Wirschaftsberater und Chefunterhändler mit dem IWF im Ministerrang, Mihály Varga. Er geht weiterhin fest davon aus, dass die IWF/EU-Verhandlungen in der zweiten Oktoberhälfte zu einem Ergebnis zu kommen, bis Jahresende sollte dann ein Abkommen stehen, was zwar diametral zu den Aussagen Orbáns steht, in Ungarn aber lange noch nicht als Widerspruch wahrgenommen wird.

Varga räumte auch ein, dass ein genauer Termin für das Wiedereintreffen der EU/IWF Delegation nach Ungarn noch nicht festgelegt wurde, denn der IWF koppelt diesen an klare Zusagen. Varga informierte die Öffentlichkeit auch darüber, dass Ungarn eine alternative To-Do-Liste an den IWF gesendet habe, mit Gegenvorschlägen zu der kürzlich lancierten "Todesliste" des IWF mit sozial tiefgreifenden Forderungen des IWF an Ungarn. Der Währungsfonds dementierte die Liste als ganzes zwar als nicht originär, widersprach den einzelnen Punkten darin aber kaum.

Alimentierung von Billigarbeit, statt struktureller Reformen

Interessanterweise stellte die Regierung in ihren Alternativvorschlägen nicht die Maßnahmen des Soziallabbaus in Frage, sondern Punkte wie eine Vermögens- und Immobiliensteuer, die "die Ungarn hart treffen müssten.", jedoch eigentlich eher die Besserverdiener und damit eine wichtige Wählerbasis der Nationalkonservativen. Varga hielt auch an dem umstrittenen
"Programm zum Schutz von Arbeitsplätzen" fest, das eine neue, weitere Budgetlücke in die Haushaltsplanung 2013 reißt und die Steuer- und Abgabeneinnahmen weiter verringert, dabei aber vor allem die Arbeitgeber alimentiert, in dem sie sie bei der Anstellung verschiedene benachteiligter Arbeitnehmergruppen von den Abgaben befreit. Kritiker entlarvten diesen Plan längst als einen weiteren ständische Schritt, einer Mittelschicht billige Lohnsklaven zuzuführen. Gesamtwirtschaftlich dürfte er ohne nennenswerte Impulse bleiben.

Nullsummenspiele zum Zeitschinden

Ansonsten stimmten Fraktion und Regierung überein, dass Ungarn "ein Sicherheitsnetz" vom IWF brauche, "um sich gegen die Schwäche der Eurozone und Verwerfungen am internationalen Finanzmarkt abzusichern", wie die offizielle Sprachregelung lautet. Neben den direkt das Budget betreffenden Forderungen, steht auch die Einbeziehung der Zentralbank in die Finanztransaktionssteuer weiter im Raum.
Der IWF sieht darin einen Eingriff in deren Unabhängigkeit, Ungarn hält daran fest, auch wenn der Schritt budgetär ein Nullsummenspiel darstellt. Schon bei der letzten Leitzinsentscheidung der MNB wurde offensichtlich, dass die Regierung das Ruder in der Zentralbank mehr und mehr übernommen hat. Aus dieser Grundsatzfrage für das IWF wird selbiger Ungarn nicht entlassen.

Dilemma zwischen Spar- und Machtpolitik

Auch der teure öffentliche Sektor ist ein weiteres Thema: Ungarn wendet jährlich fast 50% des BIP für die öffentliche Verwaltung (einschließlich die heute am Staatstropf hängenden Kommunen) auf und liegt damit rund 5 Prozentpunkte über dem Schnitt der Region. Bekäme man diese frei, wäre das ein gigantischer Schritt nach vorn. Erst kürzlich sprach die regierungsnahe Presse von Plänen, weitere "Tausende" Stellen abzubauen, was von der Regierung umgehend dementiert wurde.

An diesem Beispiel lässt sich das Dilemma der Fidesz-Politik klar darstellen: dass der Verwaltungsapparat überdimensioniert ist, ist allen klar, das Sparpotential ist offensichtlich. Doch wie vereinbart man einen "schlanken Staat" mit dem Anspruch, in möglichst allen Lebensbereichen eine möglichst umfassende Kontrolle über die Gesellschaft auszuüben? Immerhin wird die
Staatswirtschaft aus "nationalstrategischen Überlegungen", die sehr an vergangene Planwirtschaften erinnert, massiv aufgestockt, will man sogar die kommunalen Dienstleistungen aus der Hand der "Multis" nehmen und ganz allein bewältigen, was ohne Mehreinstellungen schlicht nicht funktionieren wird. Bei jeder mittelprächtigen Wurstbude will der Staat wegen der “Versorgungssicherheit” mittlerweile mitmischen.

Nicht zuletzt kann man über den öffentlichen Dienst natürlich auch eine gewisse Hebelwirkung auf die Loyalität der "Staatsdiener" erwirken, nicht nur für diese Regierung ein nicht zu unterschätzendes Argument. Halbherzig wird ein Staatssekretär vorgeschickt, der bis Jahresende eine Evaluierung darüber ankündigt, "wo es vielleicht Überlappungen" geben könnte. Das wird dem IWF nicht reichen, der Zukunft des Landes schon gar nicht.

Geheimpapier rechnet Überleben ohne IWF durch

Im Hintergrund rechnen Regierungsökonomen im Auftrag Orbáns längst auch Modelle durch, wie man mit einer Absage der IWF-Verhandlungen, von welcher Seite auch immer, umgehen könnte. In einer dieser Zeitung vorliegenden Studie des Nationalwirtschaftsministeriums kommt man zu dem Schluss, dass die Devisenreserven Ungarns von rund 34 Milliarden Euro völlig ausreichend seien, um genug Vertrauen bei den Finanzmärkten zu behalten, so dass die Zinsen auf Staatsanleihen in Fremdwährung nicht ausufern müssten.

Eigentlich sollten Fremdwährungsanleihen erst wieder nach einem IWF-Deal begeben werden, die rund 4 Mrd. EUR, die man 2013 zur Refinanzierung braucht, könnte man aber, so die Strategen, auch heute am Markt bekommen. Andernfalls müssten die "neuen strategischen Partner" der "Ostöffnung" einspringen, an erster Stelle hofft man hier auf China, aber auch andere Staaten, u.a. Aserbaidshan und verstärkt auch Kasachstan, aber auch Iran, Saudi-Arabien und andere, sind für diverse Deals "Staatsanleihen" gegen Investitionsvorteile, im Gespräch. China als Joker, das klingt für die im Reich der Mitte im Wochentakt anreisenden ungarischen Regierungsdelegation sehr verlockend, ist aber, natürlich, auch nicht zum Nulltarif zu haben. Den Preis zahlen ungarische Arbeiter u.a. schon durch ein neues Arbeitsrecht, dass chinesischen Standards näher ist als europäischen.

Orbán als Retter des Volkes "verkaufen"

Das erwartete Wirtschaftswachstum 2013 (rund 1,5%) würde die Budgetsituation indes so verbessern, dass auch Forintanleihen günstig zu haben wären und die Refinanzierung bis zu den Wahlen 2014 gesichert wäre. Was danach kommt, steht bisher nicht auf der Agenda. Was passiert, wenn das Wachstum ausbleibt, auch nicht.

Einen erneuten Rausschmiss des IWF aus Ungarn (2010 gab es den schon einmal), könnte man im Rahmen des "ökonomischen Befreiungskampfes" zudem politisch gut vermarkten. Man würde diesen so darstellen, dass sich Ungarn dem Westen und der Schuldenlogik nicht gebeugt hat und seine Probleme selbst lösen kann. Der IWF verlange ein Ausbluten des ungarischen Volkes, Orbán hat es - wieder einmal - davor gerettet.

Um diesen Effekt auf die Wahlen wirken zu lassen, hat Ungarn Interesse an einer zeitlichen Ausdehnung der Verhandlungen, so das als geheim eingestufte Papier. Das Katz´ und Maus-Spiel dürfte also anhalten, wenn nicht der IWF selbst die Tür zuschlägt, was u.a. eines Signals aus Brüssel bedürfte, das, aufgrund der dortigen politischen Gemengelage ausbleiben dürfte. Das Problem: die Ungarn glauben wirklich, sie seien die Katze...

Experten warnen vor Depression wegen Forintabsturzes

Auswärtige Experten warnen, Ungarn übersehe dabei einen wesentlichen Faktor. Ein Nichtzustandekommen eines IWF-Deals würde vor allem dem Forint schwer zusetzen, denn in dessen Kurs ist eine Vereinbarung praktisch schon eingepreist, er ist im Momant also überbewertet. Ein schwacher Forint aber würde die ohnehin dramatische Schuldenlage vieler Privathaushalte (Forex-Kredite), aber auch vieler kleinerer Unternehmen sowie über die Kommunen auch den Schuldenstand des Staatshaushaltes schwer belasten, die Zinsen für KMU-Kredite, so sie überhaupt welche bekommen und auch die Aufschläge für Staatspapiere nach oben treiben und die Inflation weiter ankurbeln, bei gleichzeitigem Rückgang von Investitonen und Konsum (was schon jetzt stetig der Fall ist), was alle Merkmale einer Depression erfüllen und sämtliche Haushaltsplanungen über den Haufen werden würde. Bisher mussten alle Budgets dieser Regierung durch nachträgliche Umschichtungen, oder Einmal-Maßnahmen korrigiert werden.

Ex-Premier: Orbán stürzt Ungarn in die Schulden

Scharfe Kritik am ökonomischen Handeln der Orbán-Regierung nach innen und außen kommt auch von Ex-Premier Bajnai, einem ausgewiesenen Wirtschaftsfachmann, der 2009/2010 an der Spitze einer Minderheitsregierung, Ungarn vor einer Totalpleite bewahrte, u.a. durch einen IWF-Notkredit über 20 Mrd. EUR. Sein Thin Tank "Heimat und Fortschritt" stellte in einer aktuellen Präsentation dar, dass die Orbán-Regierung "keine stabilisierende, einfache Wirtschaftspolitik" betreibt, sondern „sich vielmehr regelrecht in die Schulden stürzt.“. Orbán verfolge eine in sich völlig widersprüchliche Wirtschaftspolitik, die einerseits versuche, Steuern zu kürzen aber gleichzeitig einen Sparkurs meide, was ganz klar in einem 500 Milliarden Forint schweren Loch im Staatsbudget enden werde.

Strukturelle Probleme werden aufgeschoben, Volksvermögen wird "verbrannt"

“Die Ausgabenseite des Budgets hat sich irgendwohin verabschiedet, und die Antwort darauf ist eine unorthodoxe Wirtschaftspolitik, die auf Zeit spielt und wirkliche Maßnahmen von Halbjahr auf Halbjahr verschiebt“, sagte er, und fügte hinzu, dass die in Aussicht stehende Vereinbarung mit dem Internationalen Währungsfonds ebenso keine Lösungssuche sei, sondern abermals ein Aufschub, den Problemen wirklich ins Gesicht zu sehen. Er sagte weiter, dass die Hälfte der 3.000 Milliarden Forint der privaten Pensionsfonds an den Staat transferiert wurde und dafür genutzt wurde, die Schulden zu senken, während die andere Hälfte im Budget-Defizit verbrannt“ wurde.

Ungarn habe die Geduld ausländischer Investoren, die auf lange Sicht dringend gebraucht werden, durch die Erhebung zusätzlicher Steuern und der Bankensteuer, auf eine harte Probe gestellt. Die finanzielle Lage der Mehrheit der Ungarn hat sich verschlechtert, nicht zuletzt durch die sozial ungerechte und ökonomisch schädliche Flat tax.

Hazard mit der Volkswirtschaft

 

Einig sind sich fachlich versierte Beobachter in der Einschätzung, dass Orbán in der Wirtschaftspolitik und mit dem IWF ein Hazard-Spiel vollführt, dessen Ausgang aufgrund der vielen Unwägbarkeiten in einer globalisierten Welt unvorhersagbar und dessen Risiken unbeherrschbar sind. Anstatt die notwendigen Reformen voranzubringen, wird eine konsequente Klientelpolitik betrieben, anstatt die Finanzierung der Schulden auf viele Schultern zu verteilen, wird ideologisch gezockt und das Land von Europa, seinem wichtigsten Markt, entfernt, ohne dabei die Perspektiven für die Mehrheit der Ungarn zu verbessern.

cs.sz. / mb. / red.

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