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(c) Pester Lloyd / 34 - 2012   POLITIK 25.08.2012

 

Laudatio aus dem Kartenhaus

Premier von Ungarn schwelgt in Eigenlob und putzt sich an Europa ab

Glaubt man Orbáns Worten vor über 100 Diplomaten des Landes, läuft Ungarns Krisenmanagement derzeit „prächtig“ und der Euroraum ist der einzige Problemherd, der seinem Land zu schaffen macht. Die "Konflikte mit der EU" habe man "gezielt" losgetreten und letzlich auch gewonnen, man bleibe auf dem Weg der "unorthodoxen" Maßnahmen. Die ungarische Realität sieht - schon allein in der Wirtschaft - ganz anders aus. Aber diese spielte bei Fidesz-Strategen noch nie eine große Rolle. Wir machen den Gegencheck.

Ungarn läuft prima, nur Europa schwächelt... Orbán vor seinen Diplomaten

Am Mittwoch lobte der ungarische Regierungschef vor der jährlichen Versammlung ungarischer Auslandsvertreter, bei der selbige traditionell für das nächste Jahr geeicht werden, vor allem sich selbst und die Rolle Zentraleuropas insgesamt, das die aktuelle Finanzkrise wesentlich erfolgreicher als die westlichen Länder, gemeistert habe. Ungarn habe sich großartig geschlagen, dabei, so der Premier, sei das eigentliche Krisenmangement „noch nicht einmal richtig in Gang gekommen“. Man habe natürlich gehofft, die Eurokrise dauere kürzer an, doch jetzt scheine sie sich eben etwas hinzuziehen. Dabei kritisierte er die europäischen Krisenmanager, die Verantwortung scheuen und wichtige Entscheidungen aufschieben.

 

Die vielen Konflikte, die das Land hinsichtlich seiner Legislative mit der EU ausgefochten habe (Richter, Nationalbank, Mediengesetz etc. etc.), seien "von uns gezielt so" entfacht worden, behauptete er weiter. Man werde auf dem Weg der "unorthodoxen Maßnahmen" weitergehen. Die ungarische Regierung werde es unter gar keinen Umständen zulassen, dass der staatliche Schuldenreduzierungsplan aufgrund eines mangelnden EU-Krisenmanagements auf Spiel gesetzt werde.

Wenn die Schulden eines Landes bereits über 90% des Bruttoinlandproduktes erreichen, befinde es sich, so Orbán, bereits in der Kategorie „der „Hoffnungslosen“. Ungarn befinde sich erst in der „Gefahrenzone“ mit einer "Verschuldung von über 70%" (es sind derzeit 77,5% Anm.), fügte er hinzu. Ungarn werde in Zukunft weder davon abrücken, seine Schulden weiter herrunter zu schrauben noch davon, die vorhandenen Belastungen auf alle Sektoren zu verteilen, sagte Orbán.

Staatsverschuldung ist kein Verdienst der Wirtschaftspolitik

Einiges ist hier zu korrigieren: Orbán erwähnte weder, dass die Staatsverschuldung in Ungarn nur wegen der EUR-Schwäche und des deshalb relativ starken Forints und weiterer Zwangsverstaatlichungen bei der ehedem obligaten privaten Rentenversichung abnahm, das Land offiziell wieder in der Rezession steckt, der Arbeitsmarkt mindestens stagniert oder nur perspektivlose Sklavenarbeit zum Hungerlohn zu bieten hat, Investitionen und Konsum ausbleiben, noch, dass viele Bürger mit geringeren Einkommen durch die, den Besserverdienern gewidmete Flat tax, Einkommensverluste hinnehmen müssen, die sie massenweise unter die Armutsgrenze drücken und die der Staat (teilweise) durch teure Lohnkompensationszahlungen wieder auffangen muss. Die Schere zwischen oberem und unterem Einkommensdrittel ging bereits im ersten Jahr der "Flat Tax" um 34% auseinander, das kostete auch den Staat Einnahmen, die rund 2% des BIP entsprechen, geschätzte 3 Mio. der 10 Mio. Ungarn gelten als unter der Armutsgrenze lebend, weitere gefährdet, deutlich mehr als noch vor wenigen Jahren, sogar mehr als unter Gyurcsány und Co.

Lastenverteilung ist ungerecht, Regierung zementiert "Oben" und "Unten"

Auch kann von einer Lastenverteilung bei der erhöhten Steuerlast keine Rede sein. Die höchste Mehrwertsteuer in Europa (27%), die Finanztransaktionssteuer (auf alle Finanztransaktionen, einschl. Löhne, Einkäufe, Zahlung von Mieten etc., jedoch gedeckelt für größere Transaktionen ab 36 Mio. HUF), die angehobenen Verbrauchssteuern, der gezielte Sozialabbau zu Gunsten einer rigoros "ständischen" Ordnung, verschwieg Orbán natürlich. Durch ein teilweise steuerfinanziertes Forex-Kreditablösemdell konnten sich in erster Linie die Besitzenden weiter entlasten. Die ansteigende Verarmung breiter Bevölkerungsschichten, damit ihre Entwürdigung und die immer eingeschränkteren Perspektiven für die Jugend sind Fakten, die die gleichzeitige Machtzementierung einer postdemokratischen Autokratie in ihrer Wirkung illustriere und widerlegen, dass Orbán irgendwelche “Erfolge vorweisen” könnte, wie das einige seiner offenbar wissens- und gewissensbefreiten Getreuen auch in diesem Zusammenhang wieder öffentlich behaupten.

Wenn alles so prächtig läuft: wozu braucht es dann den IWF-Kredit?

Dass das "großartig" wirtschaftende Ungarn bei IWF und EU um einen "Sicherheitskredit" in Höhe von 15-20 Mrd. EUR, also rund 15% des BIP, bitten muss, auch das sparte Orbán in seiner Jubelrede aus und ersetzte, wie er es seit zwei Jahren tut, Selbstkritik und Wahrheit durch Europa-Bashing. Wirtschaftlich existiert Ungarn fast ausschließlich durch die Konjunktur der EU, vor allem Deutschlands und dessen produzierende Investoren im Lande, die, im Unterschied zu Banken, Handelsketten etc., hofiert oder wenigstens in Ruhe gelassen werden.

Nur der wirtschaftlichen Stabilität der starken Partner (trotz Eurokrise) sowie einmaliger Effekte (Rentenbeitragsbeschlagnahme) verdankt Ungarn bisher das ökonomische Überleben. Im Orbánschen Neusprech klingt das dann so: "Wir brauchen keinen IWF-Kredit, sondern nur ein vorbeugendes Sicherheitsnetz, falls sich die Lage am internationalen Finanzmarkt durch die anhaltende Schwäche des Euroraumes verschlechtern sollte"...

Gesten wie Worte voll Eigenlob und Selbstbezogenheit

Neoliberalismus + Protektion

Das angekündigte "Auf-die-eigenen-Beine-stellen" der Wirtschaft, so schlüssig und folgerichtig es klingen mag, ist bisher in einer großmäuligen, nicht enden wollenden Planungsphase steckengeblieben, zuletzt mit dem
Arbeitsplatz-Rettungsplan, der wieder nur eine Umverteilung zu Gunsten der Arbeitgeber, kaum aber produktive Anreize und fairere Chancen für die Durchschnittsbürger bietet. Der turbo-neoliberalen Steuerpolitik steht eine protektionistische und ständische Wirtschaftsförderpolitik gegenüber, eine tödliche Mischung: Von den groß angekündigten Kredit-, Hilfs- und Investitionsplänen war bisher kaum etwas spürbar. Dass der Mittelstand, abseits der Auserwählten, in Agonie steckt, für Orbán ist das kein Thema. Wie auch, hätte er dann schließlich auch über die wunderliche Auftrags- und Landvermehrung bei parteinahen Unternehmen und befreundeten Familien Auskunft geben müssen.

Orbáns "Glück" hat einen Namen: Europa. Kurz gesagt: er lügt.

Das Management des Staatshaushalts, die
Steuer- und Wirtschaftspolitik muss in Summe als fachlich mangelhaft eingeschätzt werden. Ausgleichende und korrigierende Eingriffe durch Kontrollinstanzen vom Rechnungshof, über den Haushaltsrat bis zum Verfassungsgericht, finden durch Gleichschaltung oder Kompetenzbeschneidung nicht mehr statt, auch die Zentralbank ist gerade einem erneuten Angriff ausgesetzt, da die letzten Attacken gerade mühsam durch IWF-EU-Druck abgewandt wurden.

 

Der Regierungschef hält stur am Nationalwirtschaftsminister Matolcsy fest, der seine Inkompetenz dutzendfach unter Beweis gestellt hat. Orbán war und ist die Durchsetzung seiner Ideologie sowie der Machterhalt wichtiger als die Erledigung seiner Fürsorgepflichten für das Land, das hat er nach innen und außen in zwei Jahren durchgängig bewiesen und das längst nicht nur, aber besonders konsequent auf dem Gebiet der Wirtschaft. Bisher blieb das "Glück" in Form eines ausbleibenden Zusammenbruchs auf seiner Seite und es trägt den Namen "EU-Integration". Kurz: Orbán lügt, so wie es seine Vorgänger auch schon taten.

Moralisch auf dem Niveau der Vorgänger, nur lauter und gründlicher

Dass sich Orbán an der Gemeinschaft dennoch derart abputzt, zeigt, dass ihm das Schicksal seines eigenen Volkes genauso gleichgültig ist, wie seinen es ausplündernden sozial-liberalen Vorgängern. Das moralische Niveau, mit dem das Land geführt wird, ist letztlich das gleiche geblieben, nur die strukturellen Schäden für die Zukunft und der Lärm sind deutlich größer als zuvor, was für die zwangsläufig irgendwann erfolgende Gegenbewegung nichts Gutes für den sozialen Frieden im Lande erahnen lässt.

cs.sz. / m.b. /  m.s.

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