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(c) Pester Lloyd / 41 - 2012   WIRTSCHAFT 08.10.2012

 

Etat fatal

Regierung in Ungarn verschlimmbessert Budgets 2012/2013 - Bargeld wird steuerpflichtig

Die Haushaltskorrekturen für 2012 und 2013 belegen das gewaltige Chaos in der Wirtschafts- und Fiksalpolitik, nur ein kleiner Teil davon geht auf die Kappe des IWF. - Wer an sein Geld heran will, muss dem Staat künftig eine Steuer entrichten. Die schon entwürdigend niedrigen Sozialleistungen werden weiter beschnitten, Banken und Reiche kommen davon. Große Teile des Maßnahmenkataloges sind nicht nachvollziehbar, andere dezidiert kontraproduktiv und wirtschaftsfeindlich.

Nationalwirtschaftsminister Matolcsy und ein Loch. Diese Illustration zur Präsenation des neuesten Maßnahmekataloges stammt von der Regierungswebseite....

Die Korrekturen sowohl am 2012 wie am 2013er Budget waren nötig geworden, als die abwegigen Prognosen zu Wachstum, Arbeitsmarkt, Investitionen und die offensichtlichen Fehlkalkulationen auf der Einnahmenseite nicht mehr zu leugnen waren, der IWF aber klar machte, dass es ohne einen konsistenten Haushaltsplan für 2013 und eine Planerfüllung 2012 nicht einmal einen nächsten Verhandlungstermin über den angestrebten Sicherheitskredit von ca. 15 Mrd. eUR geben würde. Auch die kostspieligen Ideen des Premiers, wie z.B. das Programm zum Schutz von Arbeitsplätzen, das ausschließlich die Arbeitgeber entlastet und alleine 1% des BIP kostet, machten weitere "Umschichtungen" notwendig.

Über die allgemeine Fehlleitung der Wirtschaftspolitik und die politische Instrumentalisierung der IWF-Frage hatten wir gerade kürzlich in dem Beitrag "Gulaschwirtschaft" berichtet, über das Vodoo-Budget insgesamt und die wahnwitzigen Zielvorgaben (Vollbeschäftigung) schrieben wir ebenso wie dezidiert über das IWF-Gezerre, weshalb wir uns hier ausschließlich auf den Maßnahmekatalog der Budgetkorrekturen konzentrieren können.

Politisch wichtiger Teil des Maßnahmenpaketes ist die Herausnahme der Zentralbank aus der Finanztransaktionssteuer, die durch den Wirtschaftsminister nach der übereilten Einführung zwar bereits einmal laut angedacht war, durch ein Machtwort von Premier Orbán jedoch wieder zurückgenommen wurde. Hier ist es ausschließlich der IWF, der diese Maßnahme, die letztlich eine weitere Aufgabe der Unabhängigkeit der Zentralbank bedeutet hätte, verhindert hat. Die Regierung erhöht damit aber die Bürden für die Bevölkerung.

Wer nämlich an sein Bargeld heran will, muss dem Staat dafür ab 2013 Steuern entrichten. Ob am Bankschalter oder am Geldautomaten, Barbehebungen fallen dann auch unter die Finanztransaktionssteuer von 0,3%, die bekanntermaßen bereits die Oma mit ihrem Zahlschein für die Stromrechnung und ihrem Sparbuch als “Spekulation” besteuern, genauso wie jeder Einkauf mit Karte, jede Überweisung. Die Regierung will mit den daraus erwarteten zusätzlichen 60 Milliarden Forint einen Teil der "neuen" Budgetlöcher stopfen und gleichzeitig den Bargeldverkehr einschränken, was wiederum dem Kampf gegen die Korruption helfen soll. Vielleicht sollte man der Regierung einmal erklären, dass man Bargeld nicht nur bei Banken und am Geldautomaten generiert...

Die Deckelung der Finanztransaktionssteuer, die einmal als "Spekulationssteuer" gedacht war, aber längst zu einer simplen zusätzlichen, gemeinen Steuer verkommen ist, die Deckelung dieser Steuer bei 6.000 Forint (17 EUR) je Aktion, bleibt jedoch erhalten und pervertiert die Sache vollends. Die Regierung zeigt dem Bürger, dass er die Unabhängigkeit der Zentralbank gefälligst aus eigener Tasche tragen soll, während Spekulation im großen Rahmen nicht sanktioniert werden, damit die Banken und Broker sich nicht endgültig aus Ungarn zurückziehen. Gleichzeitig schimpft die Regierung aber auf Multis und Banken. Ja, was denn nun?

 

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Die Regierung geht heute, nach einem langen Erkenntnisprozess von folgenden Eckdaten aus, die nun nur noch zehntelweise von den Einschätzungen wirklicher Experten abweichen: Makroökonomische Daten der Regierung (jeweils das Ist 2011, sodann die Prognosen für 2012, 2013, 2014:

> BIP-Wachstum: 1.6 -1.2 (die Prognose lautete vor einem Jahr noch: +3%) 1.0 2.5
> Entwicklung privater Konsum: 0.0 -0.8 -0.2 1.3
> Exporte: 8.4  2.6 6.6  6.8
> Importe: 6.3 1.4  5.1 5.4
> Entwicklung der Beschäftigungsrate: 0.8 1.1 0.9 1.5 (einschließlich
kommunaler Beschäftigungsprogramme
> Arbeitslosenrate 15-74jährige: 10.9 10.9 10.7 10.5% (exklusive Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger in kommunalen Beschäftigungsprogrammen, Zielgröße 2013 hier etwa 250.000 Personen, Arbeitslosenrate wäre dann bei 16%).
> Die Inflation wird in diesem Jahr rund 6% betragen und in den nächsten nur leicht rückläufig sein.

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Nachfolgend die budgetären und fiskalen Maßnahmen - sowohl 2012 wie 2013 betreffend - im Einzelnen:

- zusätzliche Ausgabenkürzungen (Einfrierungen) für fast alle Ressorts von ca. 133 Mrd. Forint (470 Mio. EUR) (2013)
- "Verbesserung der Bilanz" des Nationalen Kultur- und des Forschungsfonds (4 Milliarden Forint), sprich weitere Ausgabenkürzungen (2012)
- "Änderungen der Regeln" für den Zugang zum Ausbildungs- und Forschungszuschuss für Unternehmen (soll 15 Milliarden Forint sparen, hat aber unmittelbare Auswirkungen auf Investitionen und damit auch den Arbeitsmarkt)
- Ausweitung der Finanztransaktionssteuer von 0,3% auf alle Bargeld-Behebungen in Banken und an Automaten, was weitere 60 Milliarden Forint Einnahmen bringen soll
- Herausnahme der Nationalbank aus der Transaktionssteuer (die ihre Gewinne ja ohnehin an den Haushalt ausschüttet), dafür Erhöhung des Steueranteils des Schatzamtes um 40 Mrd. HUF
- Kampf gegen Mehrwertsteuer-Betrug (
siehe Wurstkarrussell), der lt. Schätzung der Regierung 500 Mrd. Forint im Jahr ausmacht. Eine "Kette von Maßnahmen" soll schon 2013 eine Verringerung der Ausfälle um 120 Mrd. Forint einbringen. Welche Maßnahmen das im Einzelnen sind, wird nicht gesagt.
- 400.000 elektronische Kassensysteme im Lande sollen direkt mit dem Finanzamt gekoppelt werden. "Allein diese Maßnahme wird die Einnahmen um 95 Milliarden Forint erhöhen", so der Nationalwirtschaftsminister, ohne dies weiter zu begründen.
- die nachträgliche Áfa-Rückzahlung (also erst nach Abführung der selbst eingenommenen) wird vom Getreidehandel auch auf den Schweinehandel ausgeweitet, soll 10 Mrd. bringen (warum man nicht allgemein so vorgeht, bleibt eines der vielen Geheimnisse der Regierung)
- die Deckelung der Sozialabgaben für Bruttoeinkommen von über 661.000 Forint im Monat wird (temporär) abgeschafft, was 51 Mrd. Forint Extraeinnahmen bringen soll. (An dieser Stelle zeigt sich einmal mehr die ständische Asozialität der Flat tax und ihrer Begleitmaßnahmen, am System selbst wird freilich nicht gerüttelt. Hier mehr zum
“Knausern bei den Ärmsten”)
- die bereits angekündigte Erhöhung der Lehrergehälter wird vom 1. September 2013 auf Januar 2014 verschoben, sollte das BIP-Wachstum über 1% liegen, macht man die Maßnahme wieder rückgängig. Laut Ministerium spart diese Maßnahme 73 Milliarden Forint, zumindest dem 2013er Budget, 2014 sind Wahlen und der IWF auch nicht mehr im Lande...
- Sozialhilfezahlungen und andere "materielle" Zuwendungen durch Staat oder Kommunen an Bedürftige werden ab 2013 auf 47.000 Forint (165.- EUR) begrenzt, die Summe, die ein Langzeitarbeitsloser, der 40 Stunden in den berüchtigten kommunalen Beschäftigungsprogrammen schuftet, maximal bekommen kann. Anmerkung: auch diese Summe ist steuerpflichtig (Flat tax von 16%), man erwartet sich Einsparungen von 8-10 Mrd. Forint, allerdings ist nicht klar, ob z.B. die Essensausgabe durch eine staatlich finanzierte Hilfsorganisation als "materielle Leistung" abgerechnet werden wird oder nur direkte cash-Zahlungen gemeint sind.
- Die Kofinanzierungsrate bei EU-finanzierten Projekten wird auch für budgetäre Organisationen von 15 auf 5% heruntergeschraubt, was dem Staat, der wie ein Staubsauger, die meisten EU-Gelder absorbiert weitere 55 Milliarden Forint ersparen und die Abschöpfung erhöhen soll, freilich häufig auf Kosten von KMU
- der öffentliche Dienst bekommt einen Einstellungsstopp, durch Pensionierung, Entlassung oder Kündigung freigewordene Stellen, werden in den nächsten drei Jahren nicht neu besetzt. Ausgenommen: Ärzte und Pflegepersonal sowie die nationale Sicherheit betreffende Positionen...
- 2013 werden insgesamt 22.000 Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut (die meisten jedoch durch Auslagerung in staatsnahe Unternehmen und Behörden und Umdeklarierung)
- öffentlich Bedienstete, die das gesetzliche Rentenalter erreichen, aber weiter arbeiten, erhalten nur ein Gehalt, keine zusätzliche Rente, was 30 Mrd. einsparen soll
 - weitere "effizentere Gehaltskontrolle" im öffentlichen Dienst soll beachtliche 73 Milliarden Forint einbringen, was ziemliche Verschwendung erahnen lässt, aber nicht mit tiefergehenden Infos hinterlegt wird
- Erhöhung der Tabaksteuer wird auf 1. Dezember vorgezogen (2 Milliarden), diese Steuer wurde bereits einmal im Januar sowie im Juli erhöht
- weitere Anhebungen von Verbrauchssteuern 30 Mrd. HUF
- Einfrierung "einiger der außerplanmäßigen Regierungsmaßnahmen aus der allgemeinen Reserve", 20 Mrd. Forint (keine näheren Angaben)
- "Bilanzverbesserung" des Arbeitsamtes (16 Mrd. HUF) - keine näheren Angaben
- "Einsparungen" beim Nationalen Bodenfonds um ca. 5 Milliarden Forint - keine näheren Angaben
- Reduzierung von Bürokratie - 30 Mrd. HUF - keine näheren Angaben
- effizientere Steuereintreibung, 120 Milliarden Forint
(hier mehr dazu)
- 100 Milliarden sollen im Unterbudget für die Kommunen eingespart werden (die Regierung hatte per Dekret fast alle kommunalen Institutionen unter die eigene Aufsicht gebracht) Einige Beispiele, wie hier Geld gespart werden soll: 20 Milliarden, weil Kommunen nur noch Anleihen mit Erlaubnis der Regierung begeben dürfen..., 15 Milliarden durch Mittelstreichung von Zuschüssen aus dem Zentralhaushalt
- 10 Milliarden (von den o.g. 100 Mrd.) sollen durch die Reduzierung der Zuschüsse für die BKV, den Budapester Nahverkehr erreicht werden, nach Expertenmeinung verschiebt das nur das Sanierungsproblem. Hier noch ein Wort zu Budapest: die ungarische Hauptstadt muss sich offenbar auf deutliche Zuschusskürzungen seitens des Staates einstellen, die Rede ist von einer Budgetkürzung von bis zu 25%, d.h. die Stadtregierung müsste dann mit 200 Mio. EUR im Jahr weniger, die Bezirksregierungen insgesamt nochmals mit 196 Mio. EUR weniger zurecht kommen. Grund sind neben den BKV-Kürzungen und den "Umstrukturierungen" auch persönliche Verwerfungen zwischen Premier Orbán und OB Tarlós (beide Fidesz). Letzterer hat es sich offenbar derart mit der eigenen Fraktion verscherzt, dass man schon über eine mögliche Kooperation der Fidesz- mit den MSZP-Abgeordneten spekuliert, um Tarlós abzulösen. Im Hintergrund geht es um eine Unterwerfung der Budapester Strukturen unter die Zentralregierung.
- die Finanzierungsregeln für Schulen ändern sich wie folgt: in Gemeinden mit mehr als 3000 Einwohnern, ist die Kommune für den Erhalt von Schulen und Kindergärten verantwortlich, einschließlich der Essensversorgung, der Staat finanziert die Lehrergehälter und deren Fortbildung sowie Schulen und Kindergärten in Gemeinden unter 3000 Einwohnern. Angeblich soll auch diese Regelung Geld sparen, was jedoch nur durch Stelln- oder Stundenkürzungen ginge. Wie Kommunen bei Mittelkürzung Schulen unterhalten sollen, bleibt ebenfalls offen
- die dauerhafte Kürzung bzw. Fast-Streichung des Medikamentenzuschusses, unabhängig vom Therapiebedarf und unabhängig vom materiellen Status der Patienten, bleibt bestehen
- (nicht neu) Einführung eines E-Maut-Systems (30 HUF/km Autobahn, 18 HUF/km Landstraße) für LKW ab Juli 2013, soll bereits im selben Jahr 75 Milliarden Forint einbringen.

 

Kurz nach der Präsentation des Paketes am vergangenen Freitag, stieg der Forintkurs spürbar, "Analysten" begrüßten die Maßnahmen, sie würden "dazu beitragen, Gespräche mit den internationalen Geldgebern zu einem erfolgreichen Abschluss zuführen", ein Vertreter der EU-Kommission "begrüßte" die "Eliminierung der Transaktionssteuer für die Zentralbank", so könnten die Gespräche, die ja nie beendet worden seien, bald fortgeführt werden, allerdings brauche man schon etwas Zeit, um alles zu verstehen... Nur wenige Beobachter beunruhigt, dass ein Korrekturpaket dem nächsten folgt, noch weniger bemerken die offene Asozialität vieler Maßnahmen und den Umstand, dass viele Verwerfungen einfach ins nächste Jahr verschoben worden sind.

cs.sz. / ms. / red.

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