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(c) Pester Lloyd / 22 - 2013   NACHRICHTEN 29.05.2013

 

Der ausgezeichnete Herr Balog...

Deutschlands Präsident ehrt Minister für Humanressourcen in Ungarn. Wofür eigentlich?

Ein Orden mag für viele nur protokollarische Routine sein, doch ihn im Namen eines Staates und seines Volkes zu überreichen, ist immer auch ein Statement. Manchmal auch ein Schlag ins Gesicht. Der deutsche Bundespräsident Gauck ließ über den Botschafter in Budapest, Matei I. Hoffmann, dem ungarischen Minister für Humanressourcen, Zoltán Balog, den dritthöchsten Orden der Bundesrepublik, das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband, übergeben. Wir reichen eine dringend notwendige “Laudatio” nach.

Zoltán Balog und Joachim Gauck

Wie die ungarische Regierung mitteilt, kommt die Ehrung aus Deutschland für die "Anstrengungen zur Stärkung der deutsch-ungarischen Beziehungen". Balog ist im Rahmen der Regierungs-PR immer mal wieder in Deutschland zu Gange und kommt dort mit seiner unaufgeregten Art und seinem intellektuellen Nimbus recht gut an, zumal er auch exzellent Deutsch spricht. Worte zählen manchmal mehr als Taten und die Form wirkt in manchen Kreisen stärker als der Geist. Doch zuletzt initiierte er, zusammen mit deutschen Behörden und Unternehmen gemeinsame Praktikanten- und Ausbildungsprogramme für ausgesuchte ungarische Roma. Doch gerade für die, wie auch für die Ex-Kollegen Gaucks, die heutigen Bürgerrechtler in Ungarn, ist diese Auszeichnung ein Schlag ins Gesicht.

Das Roma-"Brückenprojekt" erwähnt auch das deutsche Präsidialamt in seiner Aussendung, die von der deutschen Botschaft publiziert wurde, würdigt darin aber vor allem die "Mittlertätigkeiten" während der "kommunistischen Diktatur" und seine Zeit als Pfarrer. Gauck und Balog sind ja praktisch Kollegen mit ähnlichen Karrieren vom Dissidenten-Pfarrer über den Bürgerrechtler zum Minister bzw. Präsidenten. In ihrer Aussendung legt die ungarische Regierung zudem wert auf die Aufzählung einiger Mitordensträger: so haben der frühere EP-Präsident Pöttering (CDU, der so einen ähnlichen Orden gerade in Ungarn erhielt und annahm), die Choreographin Pina Bausch und ein gewisser Joseph Ratzinger den gleichen Orden "mit Stern und Schulterband" erhalten. Bei der Feierstunde am Dienstag in der Botschafterresidenz waren auch Premier Orbán und Parlamentspräsident Kövér, der nicht überall erwünscht ist, anwesend.

Veritable Böcke geschossen

Wen hat Präsident Gauck da eigentlich geehrt? Zoltán Balog, Kalvinist und früher Pfarrer der deutschsprachigen reformierten Gemeinde in Budapest, dann Staatssekretär für Soziale Integration (Roma) und von dort zum "Superminister" für Humanressourcen (Bildung, Soziales, Kultur, Sport, Jugend etc.) aufgestiegen, hat in den letzten Monaten einige veritable Böcke geschossen. So sorgte seine Überreichung von hohen staatlichen Auszeichnungen an drei Gestalten des rechtsextremen Spektrums (einen offen antisemitisch-rassistischen "Journalisten", den Sänger einer Nazi-Rockband sowie einen völkisch-esoterischen Jesus- und Magyarenforscher) für einiges Aufsehen im In- und Ausland. Balog gab sich von seinen Mitarbeitern uninformiert
und stellte die Sache als Betriebsunfall dar, forderte aber nur von einem der "Ausgezeichneten" die Ehrung zurück. Es bleibt also festzuhalten, dass Balog die Auszeichnungen an die zwei anderen Rechtsradikalen für völlig in Ordnung hält.

Hoffnung für die komplexe Romaproblematik

Anfänglich setzten viele große Hoffnungen in seine Bemühungen um eine Lösung der komplexen Probleme zwischen Roma und Mehrheitsgesellschaft, vor allem, da Balogs Analysen meist tiefergehender, seine Ansätze ambitionierter waren als die undifferenzierten Law-and-order Methoden anderer Kabinettsmitglieder. Balog hob sich verbal vom Mainstream, auch dem in der Regierung herrschenden ab. Doch die engagierte Empathie, die Balog im Rahmen der Einführung einer nationalen und europäischen Romastrategie während der EU-Ratspräsidentschaft 2010 noch erkennen ließ, wandelte sich binnen zwei Jahren zu treuer Gefolgschaft der nationalistischen Orbán-Ideologie, ob aus Opportunismus, Karrieredrang oder aus Überzeugung, ist nicht erkennbar. Orbán dankte ihm die Treue nicht nur mit der Beförderung zum wahrscheinlich zweitwichtigsten Minister des Landes (nach Nationalwirtschaft), sondern auch, in dem er ihn bereits zweimal als "Vorgruppe" zu seinen Reden zur Lage der Nation auftreten ließ.

Leugnung und Schönreden

Balog leugnete zuletzt zunehmend überhaupt die Existenz von Diskriminierung der Roma in Ungarn, verneinte, trotz amtlicher Beweisführung, dass staatliche Maßnahmen
Elemente von "Zwangsarbeit" enthalten und amtlichen Rassismus zumindest ermöglichen könnten, obwohl dieser in der Praxis längst belegt war und verteidigte sogar die Kooperation mit nazistischen Bürgermeistern bei den fehlgeleiteten Programmen der Kommunalen Beschäftigungsprogramme.

Die Erfolge der "Romastrategie" lobt er weitgehend faktenfrei, wiewohl die Maßnahmen entweder zu sporadisch und daher in Summe wirkungslos sind oder gezielt auf Elitenbildung, besser -herausschälung zielen, einen "brain drain" bei der asozialisierten Minderheit riskierend. Diese Selektion, die Guten in Förderprogramme, die Schlechten unter polizeiähnliche Aufsicht, zieht sich wie ein roter Faden durch die "Nationalstrategie". Sie ist nicht nur kontraproduktiv, sondern diskriminierend, wenn sie die gleichen Chancen nicht allen bietet und genau das ist in Ungarn nicht gegeben.

Dass die "nationale Romastrategie" scheitern musste, vor allem, weil man die Mehrheitsgesellschaft darin nicht mit in die Pflicht nimmt und außerdem jede Beteiligung und Selbstbestimmung der betroffenen Minderheit auslässt, wird in Ungarn genauso wenig anerkannt, wie anderswo. Eigenartiger Weise läuft es dort besser, wo das erkannt und gelebt wird und wo Herr Balog seine offiziellen Finger nicht mit im Spiel hat und man gewinnt immer mehr den Eindruck, dass das Fernbleiben von offiziellen "Strategien" sogar eine Bedingung für ein positive Entwicklung sein könnte. Hier ein Beispiel.

Einschwenken auf Orbán-Linie

Die deutschen Behörden und Unternehmen, die sich an den oben erwähnten Ausbildungsprogrammen beteiligen, fördern damit diese Fehlentwicklungen, auch wenn das natürlich nicht in deren Absicht liegt. Zuletzt musste erst ein Gericht dem Minister klar machen, dass einige seiner Hilfsprojekte als Fortsetzung von schulischer Segregation mit staatlicher Unterstützung zu werten sind und damit gegen geltendes Recht verstoßen (Fall 4 in diesem Beitrag). Balog nahm das zum Anlass das Recht entsprechend zu ändern und folgt damit im kleineren Maßstab der gleichen Linie, die Orbán bei der Verfassung und in allen anderen Gesellschaftsbereichen vorgibt. Was nicht passt, wird passend gemacht. Die Mehrheit im Parlament hat das letzte Wort, auch wenn damit Grundwerte außer Kraft gesetzt werden. Mittlerweile mobilisiert Balogs Politik sogar Bürgerrechtler und Romaaktivisten zu Demonstrationen.

Wer Europäer ist, bestimmt der Herr Pfarrer

Zuletzt schwang Balog auch ideologisch auf Orbáns frömmelnde Linie ("Beten und Arbeiten als Rezept für Europas Genesung") ein und
maßte sich in einem Statement an, all jene, die sich nicht von den 10 Geboten des Christentums leiten lassen wollen, das Europäersein abzusprechen. Balog sagte auch jener Akademie der Künste, deren Leiter Fekete sich offen antisemitisch und antifreiheitlich äußert, seine Unterstützung bei der weiteren Indoktrination und Einengung der Kulturinstitutionen Ungarns zu. Dem - offenbar ehemaligen - Bürgerrechtler, Bundespräsident Gauck, sollten die genannten Fakten und Umstände bekannt gewesen sein, so schlampig wie die ungarische Administration dürfte die deutsche bei Auszeichnungen doch kaum sein können. Oder doch?

Keine protokollarische Routine, sondern ein Statement

 

Als Gauck die Entscheidung traf, Balog - Mitglied der Regierung Orbán - auszuzeichnen, jenes Regierungschefs, der Brüssel für "das neue Moskau" hält und die Verfassungsordnung seines Landes stürzte, in dem er die Verfassung zu Parteistatuten machte, macht er sich nicht nur dessen und deren Handlungen und Einstellungen in bestimmtem Maße zu eigen, sondern deklariert - zumindest indirekt - den dokumentierten Rechtsstaats- und Demokratieabbau in Ungarn im Namen des deutschen Volkes für auszeichnungswürdig. Das ist keine protokollarische Routine, sondern ein Statement, mit dem man den Bürgerrechtlern in Ungarn direkt ins Gesicht schlägt.

So wie die CDU, zumindest seitens der Parteispitze, die Kameraderie mit ihrer Schwesterpartei Fidesz bisher stets über die europäischen Grundwerte stellte, stellt Fidesz seine Ideologie über den Rechtsstaat und die Demokratie. Ein Prinzip, das übrigens auch in der DDR als Handlungsgrundlage der Machthaber diente, wie sich der Herr Bundespräsident Gauck vielleicht noch dunkel erinnern mag und dem er sich durch seinen Orden an Minister Balog nun anschließt...

m.s.

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