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(c) Pester Lloyd / 03 - 2014 WIRTSCHAFT 16.01.2014

 

Ungestörte Kreise...

Wettbewerbsamt in Ungarn ermittelt gegen Agrarkartell und gerät selbst ins Fadenkreuz

Gegen mehr als zwei Dutzend Hersteller und Händler von Pestiziden und Insektiziden in Ungarn wird vom staatlichen Wettbewerbsamt GVH ein Verfahren wegen des Verdachts der illegalen Kartellbildung, resp. Preisabsprachen eingeleitet. Doch die Kartellwächter werden von der Politik Schritt um Schritt entmachtet, ihre Tätigkeit marginalisiert oder gezielt instrumentalisiert. Bestimmte Kreise lassen sich nicht gern stören...

Auf der aktuellen Liste der Verdächtigen (das GVH führt jährlich hunderte Ermittlungen durch) finden sich eine Reihe Tochtergesellschaften prominenter, internationaler Player wie: Monsanto, BASF, Bayer, Cemtura, Dow AgroSciences, DuPont, Arysta LifeScience, Cheminova u.a., aber auch einheimische Hersteller bzw. Joint ventures und ungarische Händler, darunter Dr. Szabó Agrokémiai, IKR, KITE, Kwizda Agro Hungary und weitere sowie auch die Branchenvereinigung NMKSzE.

Der Verband soll als Plattform für die illegalen Preisabsprachen seit 2008 bis heute gedient haben, die vor allem der ungarischen Landwirtschaft zum Nachteil gereichten. Dies ist wiederum mehr und mehr unter der Kontrolle von Fidesz-Landbaronen, weshalb das GVH gute Chancen hat, mit ihren Ermittlungen fortfahren zu dürfen, zumindest, was die ausländischen Beteiligten betrifft. Monsanto und Co., Gen-Pflanten weiter als verderblich für die ungarische Scholle zu brandmarken und zu verbieten, passt ins Konzept, während man gleichzeitig gegen Tierschutzorganisationen einen juristischen und propagandistischen Feldzug entfacht, die gegen die ungarische Gänse- und Entenstopfmast, also gegen industrielle, vorsätzliche Tierquälerei agieren. Moral ist teilbar, Ethik nur ein Fremdwort. Es kommt immer darauf an, auf wessen Seite man steht...

Am 19. Dezember 2013 jedenfalls waren die Ermittlungen, laut GVH, so weit gediehen, dass man eine Reihe unangekündigter Durchsuchungsaktionen in den Geschäftsräumen der genannten Unternehmen durchführen ließ. Die Antikartellbehörde hat nun zunächst 6 Monate Zeit, ein Urteil zu fällen und - im Falle eines Schuldspruchs - Bußgelder zu verhängen, kann diese Periode jedoch bis zu zwei Mal um weitere 6 Monate ausdehnen. Das GVH weist darauf hin, dass bis zu einem Urteil die Unschuldsvermutung gilt, eine Bestrafung kann gerichtlich angefochten werden.

 

Der staatliche Rechnungshof veröffentlichte fast gleichzeitig eine Stellungnahme, wonach der Verdacht besteht, das GVH habe einige Fördergelder zweckentfremdet verwendet, benennt aber keine konkreten Anhaltspunkte. Das GVH geriet in den letzten Jahren immer wieder auch mit Fidesz-Politikern, u.a. im Landwirtschaftsministerium aneinander, die aufgedeckte Wettbewerbsverzerrungen u.a. durch Preisabsprachen für legitim halten. So wurde von Staatssekretär Budai u.a. ein Melonenkartell zuerst per Dekret, später sogar per Gesetz legalisiert, weil es "nationalen Interessen" dient, zumindest aber den Interessen gut vernetzter und mit Politikern eng verbandelter Kreise.

Eine neue gesetzliche Bestimmung gibt diesen Lobbyisten im Kostüm der Volksvertreter nun die Möglichkeit, das GVH bei nicht näher eingegrenztem "nationalem Interesse" von vornherein von unliebsamen Untersuchungen abzuhalten. Bisher geschah dies nur auf dem kurzen Dienstweg, ohne legislative Absicherung.

In Regierungskreisen wird derzeit gezielt daran gearbeitet, das GVH noch stärker an die Regierungskette zu legen (die Direktion hatte man schon Ende 2010 ausgetauscht, aber nicht gründlich genug umstrukturiert), um u.a. Verfahren gegen "ausländische" Marktteilnehmer nach Belieben forcieren, solche gegen eigene Interessensgruppen oder schützenswerte "Multis" (Stichwort: "strategische Kooperationsvereinbarungen) unterdrücken zu können. Heute ist es also für das Verständnis notwendig, die ermittelnden Aktivitäten des GVH jeweils nach den dahinterstehenden Interessenslagen abzuklopfen.

Best of GVH:

Regierung will staatliches Kartellamt bei "nationalem Interesse" umgehen (2013)
Fruit Ninja: Politik entmachtet Wettbewerbsamt und legalisiert Preiskartelle (2012)
Aufseher im Akció-Zoo: Wettbewerbshüter ziehen zwiespältige Bilanz (2010)

Rekordstrafe für Banken in Ungarn wegen illegaler Preisabsprachen (2013)
Banken- und Kreditkartenkartell in Ungarn abgestraft (2009)
Wettbewerbsstrafen gegen Aldi und Penny in Ungarn (2013)
Kartellstrafe für Eisenbahngesellschaften (2012)
Wettbewerbsstrafe gegen Lidl (2011)
Wieder Strafe für Tesco wegen unfairen Wettbewerbs (2010)
Wettbewerbsstrafen gegen SPAR und RTL (2011)
Wettbewerbsstrafe gegen Vodafone (2010)
Wettbewerbsaufsicht nimmt Preispolitik von MOL unter die Lupe (2010)
Wettbewerbsstrafe gegen die "Wunderpille" Olimpiq StemXcell (2009)
Mühlenkartell in Ungarn muss Millionenstrafe zahlen (2010)
Wettbewerbsamt untersucht Springer-Preispolitik (2011)
Wettbewerbsstrafe für Axel Springer in Ungarn wegen verkleideter Werbung (2010)

red.

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