THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 18 - 2014   GESELLSCHAFT 02.05.2014

 

Misshandlungen an der Tagesordnung

Europarat übt heftige Kritik an Zuständen in ungarischen Haftanstalten

Ein Expertenausschuss des Europarates legte am Mittwoch die jährlichen Berichte zu den Zuständen in europäischen Gefängnissen vor, dabei wurden alle 47 Mitgliedsländer untersucht. In Ungarn sind die Gefängnisse chronisch überfüllt, Häftlinge regelmäßig verbaler und körperlicher Gewalt ausgesetzt, die nicht selten rassistisch motivierten Täter kommen meist davon. Besonders übel ergeht es Aslysuchenden, die als gewöhnliche Straftäter "gehalten" werden. - Die Regierung leugnet und fährt ihre anachronistische Law-and-Order-Strategie fort.

Schnappschuss in einen ungarischen Gefängnishof...

Ungarn gehört, neben Serbien (160%), Italien (145%), Zypern (140%) und Belgien (132%) mit einer durchschnittlichen Belegung von 139% zu den Ländern mit chronisch überfüllten Haftanstalten. Der Wert liegt nochmals 9 Punkte über dem unter den Vorgängerregierungen. Thorbjorn Jagland, Generalsekretär des Europarates erinnerte die Länder daran, dass auch für Inhaftierte Menschenrechte gelten und schlägt vor alternative Korrektivmaßnahmen wie Bewährungsauflagen, Hausarrest, gemeinnützige Tätigkeiten, Therapien oder Fußfesseln mehr in Betracht zu ziehen.

In Ungarn kamen mit Stichtag 1. September 2012 auf 12.668 Haftplätze 17.585 Gefangene, die den Staat täglich je 27,60 EUR kosteten. 2013 hatte die Regierung eine umfangreiche Strafvollzugsreform umgesetzt, die jedoch vor allem in der weiteren Streichung von Eingliederungsmaßnahmen und "Privilegien" (TV, Freizeit- und Sportangebote, Ausbildungen. Gebühren für Kühlschrank, Warmwasser!) sowie dem massiven Ausbau von Gefängnisarbeit mit dem Ziel "Selbstversorgung" bestand. Dabei wurde u.a. bekannt, dass der zeitweilige Kulturstaatssekretär Simon Häftlinge in seinem Weinberg arbeiten ließ, in einem anderen Falle ließen Wärter Häftlinge Nazi-Memorablia anfertigen, die sie später verkauften.

Zudem wurden durch rassistisch beeinflusste ("Zigeunerkriminalität)
Umbauten im Strafrecht (Fidesz ließ sich hier von den Parolen der neonazistischen Jobbik treiben) und dem neuen BGB die angedrohten Haftstrafen für viele Delikte verschärft, was - zusammen mit dem sozialen Verfall im Lande (die Armut in Ungarn wächst über dem EU-Schnitt) sowie der von der Verfassung gestützten Kriminalisierung von Obdachlosen - ein weiteres Anwachsen der Gefangenenzahlen für die kommenden Jahre bedeuten muss. Es gibt bereits Pläne für EU-finanzierte Gefängnisneubauten sowie eine teilweise Privatisierung (Outsorucing) des Betriebes der Anstalten.

Noch härter als mit der Überbelegung geht der Europarat in seinem sog. SPACE I-Bericht, der
in Kürze hier publiziert werden wird, jedoch mit dem Umgang mit Gefangenen sowie mit gefangen gehaltenen Asylbewerbern (nicht in obiger Statsitik, wenngleich wie Häftlinge behandelt) durch das Aufsichtspersonal ins Gericht.

Nach einem Besuch einer Kommission im April 2013, kommt man zu dem Schluss, dass "verbale und körperliche Misshandlung" in den geschlossenen Asylzentren des Landes, den sechs U-Haftanstalten sowie den zehn Gefängnissen des Landes "an der Tagesordnung sind". Nicht wenige der dokumentierten Vorfälle seien "rassistisch motiviert", so das Komitee in seinem Bericht, der sowohl Fälle gegenüber Asylsuchenden wie Fälle von ungarischen Roma dokumentiert.

Weiterhin werde die Strafverfolgung von solchen Übergriffen durch mangelnden Informationsfluss zu den Angehörigen, mangelhafte Rechtsvertretung und Kumpanei in den Behörden häufig unterbunden oder behindert. Man empfiehlt hier - endlich - die Einführung von anonymisierbaren Berichtsmöglichkeiten auch für Beamte, damit diese bei der Meldung von Verfehlungen nicht der Rache ihrer Kollegen ausgesetzt werden.

Die Regierung wies die Vorwürfe auf ganzer Linie zurück, was man als "Gewalt gegen Gefangene" beschreibe, sei "bei nährer Untersuchung" meist nur "der angemessene Einsatz von Zwangsmitteln" als "Reaktion auf das Verhalten der Inhaftierten". Man werde dem Europarat hierzu aber noch eine detaillierte Stellungnahme zukommen lassen, die, so das Innenministerium "die wahren Verhältnisse schildere".

Im Falle des Mordes an einem U-Häftling durch zwei Polizisten auf einer Polizeiwache im Vorjahr, "versicherte" Innenminister Pintér den Europarat, dass es sich dabei um einen "absoluten Einzelfall" handelte, der "nicht die ungarische Polizeikultur charakterisiere". Ein Rumäne mit Wohnsitz in Ungarn wurde wegen des Verdachts auf den Diebstahl einer Kettensäge von zwei Polizisten auf der Wache regelrecht zu Tode gefoltert.

 

Die Zustände, speziell in den ungarischen Gefangenenlagern für Asylsuchende, waren bereits mehrfach Thema internationaler Kritik, sowohl von NGO´s als auch der UNO und führten dazu, dass mehrere Richter in anderen EU-Staaten, darunter in Deutschland, das EU-Mitgliedsland Ungarn nicht mehr als "sicheren Drittstaat" nach Dublin II (Abschiebung von Asylsuchenden ins erste Antragsland) ansehen mochten.

Das Oberste Gericht beugte sich sodann der UN-Kritik, woraufhin die Regierung - zum Trotz - eine Gesetzsänderung vornahm, die Flüchtlinge gänzlich zu behördlichem Frewild deklariert. Mehr zur katastrophalen Lage von Flüchtlingen in Ungarn in Weggesperrt und angepöbelt und im Beitrag Lebenslang im "Integrationscontainer".

Ungarn sah sich 2013 mit einer für hiesige Verhältnisse enormen Flüchtlingswelle konfrontiert, die Zahl der "nicht regulären Grenzübertritte" hatte sich gegenüber dem Vorjahr verzehnfacht. Steigende, auch von Schleppern forcierte Armutsfluchten vom Balkan und Kriegsflüchtlinge aus den arabischen Krisenstaaten waren der Hauptgrund. In diesem Jahr sieht man sich als Nachbar der Ukraine bereits mit dem nächsten Spannungsherd konfrontiert, wobei die Flüchtlinge von dort in zwei Klassen eingeteilt werden: jene, die das Blutrecht auf einen ungarischen Pass mitbringen (Karpatoungarn), was sie zu gleichwertigen ungarischen Bürgern macht auf der einen, Slawen, Roma und andere Völker auf der anderen Seite...

red. / a.l., m.s.

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