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(c) Pester Lloyd / 23 - 2014 POLITIK 04.06.2014

 

Die Origo-Affäre oder Business as usual: Ungarische / Deutsche Telekom beugt sich politischem Druck von Orbáns Amtschef

Am Dienstag ist der Chefredakteur des Nachrichtenportals origo.hu entlassen worden, das, ähnlich wie index.hu oder 444.hu, zu den einflussreichen, aber parteiunabhängigen regierungskritischen Online-Plattformen zählt(e). Die offizielle Version des Herausgebers besagt, dass wegen einer "Änderung der Kundenwünsche" "Umstrukturierungsmaßnahmen" notwendig wurden. Doch in Wirklichkeit geht es um einen schmutzigen Deal - auf Kosten der Pressefreiheit.

Für den Betroffenen, Gergő Sáling, seit 12 Jahren bei Origo, aber auch eine Reihe seiner Kollegen, führende Oppositionspolitiker und über tausend Sympathisanten, die sich gestern vor dem Redaktionssitz in der Dob utca zu einer Protestkundgebung versammelten und von dort zum Amt des Ministerpräsidenten zogen, ist es offensichtlich, dass eine Intervention von Orbáns illustrem Amtschef János Lázár zu dem Rausschmiss geführt hat.

Diesem wurden von origo.hu in der Vorwoche
eine Reihe Aufenthalte in ausländischen Luxushotels auf Steuerkosten nachgewiesen, für die es keinerlei erkennbaren politischen oder protokollarischen Notwendigkeiten gab - und bis heute nicht gibt. Offiziell unkte das "Kanzleramt" auf Nachhaken von origo.hu etwas von "nichtmilitärischen Geheimdienstoperationen" mit denen Orbáns rechte Hand im Staate beauftragt gewesen sein soll, doch der Entblößte überwies nach der Aufdeckung mit einer zynischen Bemerkung die rund 9.000 EUR zurück an die Staatskasse. Ein erzwungenes, indirektes Schuldeingeständnis, das bei Lázár offenbar einen seiner gefürchteten Racheschübe auslöste.

Für die Öffentlichkeit war nun klar, dass auch diese Ausflüge (in Begleitung) nur weitere Verhaltensauffälligkeiten im elitären Gehabe des Orbánschen Ziehsohns waren. Erst Tage zuvor kam eine Rechnung zu Tage, bei der Lázár
eine Fasanenjagd im November in Tschechien für fast 70.000 EUR bezahlt hat, die er sich "mit Freunden teilt", wie er zu erklären suchte, nachdem ein Oppositionspolitiker vorrechnete, dass er so viel Geld - laut seiner amtlichen Vermögensdeklaration - gar nicht zur Verfügung haben kann. Doch getreu seinem sprichwörtlich gewordenen Motto "Wer arm ist, ist selbst daran schuld...", scheinen diesem Vertreter der "neuen Politikergeneration", nicht nur weitere Quellen zur Verfügung, sondern er selbst auch über dem Gesetz zu stehen.

Protestmarsch gegen den jüngsten Angriff auf die Pressefreiheit am Dienstag in Budapest...

Lázár versucht schon seit längerem massiv und auch mit legislativen Mitteln die den ungarischen Medien gebliebenen Freiheitsräume immer mehr zu verengen. Gerade erst bestätigte das Verfassungsgericht eine Gesetzesverschärfung des Obersten Gerichtshofes, wonach Internetportale hinfort für das Verhalten ihrer Leser in den Kommentaren mit haftbar gemacht werden, selbst wenn sie strafrechtlich relevante Posts löschen. Dieser Passus kam auf persönliche Initiative Lázárs zu Stande und beruht auf einem Exempel, das er vor einem ordentlichen Gericht gegen eine Online-Zeitung statuieren ließ, die zu freisinnige Kommentare über die Abwicklung eines tödlichen Verkehrsunfalls, in den Lázár im Vorjahr involviert war, zuließ.

Ein weiteres Beispiel von Anlassgesetzgebung zum Schutz privater Interessen: Auch die gesetzliche
Einschränkung der Informationsfreiheit im Zuge unbequemer Nachfragen zur Vergabe der Tabakhandelslizenzen an Fidesz-Günstlinge geht auf Lázárs Konto, der sein Projekt der Fideszschen "Selbstversorgung" nebst gesetzlicher Gewinngarantie, nicht durch zu viel Informationen in der breiten Öffentlichkeit madig machen wollte. Zu diesem "neuen System" gehört auch jenes der Landvergabe nach intransparenten Verfahren durch den nationalen Bodenfonds. Dort organisierte Lázár Unternehmen und Familien aus seinem unmittelbaren Verwandschafts- und Freundeskreis zuletzt 1.800 Hektar. Land, das zuvor Jahrzehnte von alteingesessenen Bauern beackert wurde, die nun bei den neuen Besitzern als Unterpächter anheuern müssen.

Der Fall Origo allerdings wirft nicht nur auf die schon bekannten Verabscheuer von Demokratie und Pressefreiheit im engeren Machtzirkel um Orbán ein bezeichnendes Licht, ist nicht nur ein weiterer Mosaikstein im Medieneroberungsfeldzug, sondern charakterisiert auch treffend das Wesen der Herausgeber bzw. Eigentümer des News-Portals origo.hu. Dabei handelt es sich um die Magyar Telekom, mehrheitlich in Besitz der Deutschen Telekom. Diese ließ auf die empörten Reaktionen auf den Rücktritt des Chefredakteurs nur kühl ausrichten, dass man "keinem politischen Druck" ausgesetzt war, dem man sich hätte beugen müssen. Doch allein schon die Formulierung, dass sich die "Kundenwünsche" des Portals geändert hätten, zeigt, wie die Telekom ihr Medienporjekt sieht. Normale Zeitungen und Webseiten haben zunächst einemal Leser oder User, erst dann auch Kunden.

Doch Lázár (auf dem Foto oben links),
demnächst Minister im allmächtigen Amt des Premiers, Aufseher über die EU-Milliarden, bald auch oberster Herr über den öffentlichen Dienst, die Außenwirtschaftsförderung und die Antiterroreinheit, hat noch weitaus mächtigere Hebel in der Hand als nur die Drohung, origo.hu durch Intervention bei staats- oder parteinahen Unternehmen um Werbeumsätze zu bringen.

Das geschäftliche Schicksal der Telekom in Ungarn selbst hängt in großem Maße von der Politik ab. Sei es über die Schraube "Sondersteuern", die Vergabe oder Verlängerung der existentiellen Mobilfrequenzen über die - selbstredend - Fidesz-kontrollierte Medienbehörde oder öffentliche Ausschreibungen für IT- und Kommunikationsaufträge der Regierung oder ihr nachgeordnter Behörden vom öffentlichen Dienst bis zum Militär. Lázár hat die Macht, in jeden einzelnen dieser Aspekte einzugreifen.

Es ist daher nicht nur möglich, sondern geradezu unumgänglich, dass solche Überlegungen bei der Telekom im Zuge der "Umstrukturierungen" von origo.hu eine Rolle gespielt haben. Der fast grenzenlose Opportunismus der Wirtschaft gegenüber der Politik ist bei der Maßgabe der Profitmaximierung praktisch ein Naturgesetz. Die deutschen Unternehmen in Ungarn - ob sie nun im Medienbetrieb aktiv sind oder in anderen Branchen - haben sich im Sinne der Anbiederung und des Augenzudrückens stets besonders ausgezeichnet, solange Steuer- und Arbeitsrecht und andere "Investitionsbedingungen" in ihrem Sinne gestaltet wurden.

Timotheus Höttges, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom machte im Februar in Budapest seinen Diener vor Orbán. Beim Abschluss einer “Strategischen Kooperationsvereinbarung”, die im Grunde besagen: “Ihr lasst mich meine Politik machen, dann lasse ich Euch Geld machen. Herzlich, Euer Viktor.”

Wir erinnern uns mit Schaudern an die Deals, die RTL und TV2 im Zuge der Mediengesetze ausgehandelt haben, um ihre Werbeminuten und product placement-Wünsche umsetzen zu können. Genutzt hat es ihnen nichts, TV2 blieb unprofitabel und wurde über einen schrägen Deal an Regierungsfreunde verscherbelt, RTL bekommt es jetzt mit der Anzeigensteuer zu tun und wird das einzige Unternehmen sein, auf das der Höchstsatz von 40% zukommt. Es wird sturmfreif besteuert. 4 Mrd. Forint (13 Mio.) jährlich steckt selbst RTL auf dem kleinen ungarischen Markt nicht einfach so weg.

Doch auch außerhalb der Medienbranche "arrangiert" man sich. Merkel unterband bei der EU Interventionen zur regelwirdrigen Orbánschen Planwirtschaft, als die Regierung die E.ON-Gastöchter
zu einem überhöhten Preis erwarb und so einen "goldenen" Ausstieg aus Ungarn ermöglichte. Uns klingen die geradezu höhnischen Sprüche der deutschen Industrievertreter, ob DUIHK, DWC oder wer auch immer, in den Ohren, die angesichts massiven Arbeitsrechtabbaus hin zu einem reinen Untertanenstaat von "dauerhafter Treue", "strategischen Partnerschaften" und "verbesserten Investitionsbedingungen" schwadronieren und sich in Hinterzimmern und lauwarmen Buffets gegenseitig Honig ins Maul - und wer weiß, wohin sonst noch, schmieren - auf den Rücken der ungarischen Arbeiter.

 

Insofern ist die lapidare Reaktion der "Ungarischen" Telekom, deren deutsche Mutter übrigens zu 14,5% im Eigentum des deutschen Staates ist, dass es im Falle Origo.hu "keinen politischen Druck" gegeben habe, auch gar nicht so abwegig. Es geht ihnen nicht um Politik, es geht um "Business as usual"... Dass nicht alle so einfach "käuflich" sind, beweist der Schritt eines der Origo-Mitgründer, Péter György, der heute - nach 18 Jahren - seinen Rückzug aus dem Portal und seinem Lebenswerk mit den Worten vollzog: "Origo wird keine richtige Zeitung mehr sein...".

Zwar berichtete origo.hu heute über den Protest, nicht aber ohne am Ende das halbmilitärische Konzerngeschwurbel von der "strategischen Ausrichtung" als "integrierter Contenprovider" und der damit verbundenen Notwendigkeit eines "vereinheitlichten Managements der redaktionellen Einheiten" wiederzukäuen.

red.

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